: Von Schuld und Sühne
Die Regionalfürsten beklagen sich über das mangelnde Verständnis der CDU-Spitze für die Sorgen der Länder
von SEVERIN WEILAND
Als wäre sie eine Sünderin, die um Ablass warb, trat Angela Merkel am Wochenenende vor die Parteifreunde in Schleswig-Holstein. Ihr sei da ein Fehler unterlaufen, der ihr nicht noch einmal passieren werde. Die Niederlage im Bundesrat lag da gerade einmal 24 Stunden zurück und Merkel tat das einzig Richtige, was jemandem in ihrer Lage verblieben war: Sie beschönigte nichts. Sie habe darauf vertraut, dass die Absprachen im CDU-Präsidium eingehalten würden, gestand sie in Neumünster. Und dann sagte sie einen Satz, der einem männlichen Parteivorsitzenden wohl kaum in den Sinn gekommen wäre: „Ich war vielleicht zu vertrauensselig.“
Friedrich Merz, der Fraktionschef, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verteidigungsschrift abgeschickt, die halb die eigenen Fehler eingestand, halb aber auch die Partei in die Pflicht nahm, die ihren Frontmann auf einem weiten Feld verbrennen ließ. In seinem Brief an die Fraktion schilderte Merz noch einmal lang und breit, wie die Führung sich auf eine Linie bei der Steuerreform geeinigt hatte. Auffallend häufig war da von „wir“ und „uns“ die Rede, als wollte Merz mit aller Macht den Eindruck verwischen, an ihm alleine sei der Blockadekurs festzumachen. „Ich hatte die Verhandlungsführung im Vermittlunsgausschuss entgegen meiner ursprünglichen Absicht übernommen, nachdem mich alle Mitglieder der Union – also auch die Vertreter der Länder – darum gebeten hatten.“ Es ist ein solcher Satz, der ein Stück weit Aufschluss darüber gibt, wie tief der Konflikt bei der Union gelagert ist.
Die Zeit der Vorwürfe hat begonnen – und sie wird, erstaunlich für die einst so diszipliniert wirkende Union, in diesen Tagen genutzt, wie man es vor einem Jahr von den rot-grünen Koalitionären gewohnt war. Während Merz in seinem Brief an die Einheit der Fraktion appelliert, zerfällt die Partei in ihre Einzelteile. Es sind diesmal die Regionalfürsten, die von den Rändern her in die Partei hineinrufen. Aus Bremen klagt der Finanzsenator Hartmut Perschau über das mangelnde Verständnis der CDU-Führung für die Sorgen der Länder. „Wenn wir mit der Bundesregierung verhandeln mussten, dann deshalb, weil innerhalb der Union die Solidarität mit uns sich ungewöhnlich in Grenzen hielt.“ Die hanseatisch-vornehme Kritik weicht in Berlin einem rauheren Tonfall. Eberhard Diepgen nennt Merz’ Vorwurf, die CDU-Länderchefs hätten sich „besondere Vorteile“ verschafft, „schlichten Unsinn“. Er mildert seine Worte dann zwar noch ab, spricht, wie andere in der Partei auch, davon, dass der Druck der Union schließlich zu Veränderungen bei der Steuerreform geführt habe. Aber am Ende wird nur der Satz vom „schlichten Unsinn“ haften bleiben. Übertölpelt fühlen sich jene CDU-Ministerpräsidenten, die – wie Peter Müller aus dem ebenfalls struktur- und finanzschwachen Saarland – den Lockungen des Bundesfinanzministers Hans Eichel widerstanden und nun mit leeren Händen nach Hause kommen.
Nach dem schwarzen Freitag von Bonn starrt die Union auf sich selbst. Die Enttäuschung über den Zustand macht sich in salopp-aggressiven Wortmeldungen Luft, wie sie vornehmlich von der CSU kommen. „Mit solchen CDU-Leuten ist der Bundesrat kaum ein geignetes Forum zur Durchsetzung besserer Unionskonzepte“, wütet Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber. Nicht zuletzt Bayern hatte Merkel und Merz dazu gedrängt, den Blockadekurs einzuhalten. Nun bleiben nur noch wenige Themen, an denen man die alte Strategie fortführen könnte. Da wäre zum einen die Homo-Ehe – ein Kippen einzelner Teile im Bundesrat wurde vor kurzem angekündigt. Doch beherzt klang das nicht, zumal die Union auch hier ein Vermittlungsproblem hätte: 55 Prozent der Deutschen sind für die Homo-Ehe, eine zunächst in der CSU angedachte Unterschriftenaktion wurde wieder fallen gelassen. Auch bei der Rentenreform sieht es kaum besser aus. Zwar machte Merkel deutlich, dass die Rente ein Feld sein wird, auf dem man hart bleiben könnte. Nur: Mit welchen Argumenten? Und will man das überhaupt? CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz überlegt schon öffentlich, ob die bisherige Strategie noch haltbar ist. In ihrer Verzweiflung scheinen sich Teile der Union der Rote-Socken-Kampagne zu erinnern. Die PDS soll jetzt dafür herhalten, die Gespräche über die Rente platzen zu lassen. Hatte doch der Kanzler dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, versprochen, eine Beteiligung der PDS an den Gesprächen zu prüfen.
Ob das aber ein Ausweg ist? Wer sich – wie der CDU-Vizevorsitzende Christian Wulff – bei der Rente auf die PDS einschießt, gerät in Gefahr, allzu sehr mit der Vergangenheit identifiziert zu werden. Schließlich erinnert die Rote-Socken-Kampagne nicht zuletzt an den Übervater, der sie verantwortete. Und der hieß nun mal Helmut Kohl.
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