: Eine Säule namens Kai
Isa Genzken verbindet Popkultur und Minimal Art. Zwei Ausstellungen zeigen jetzt ihre Arbeiten
von ANKE KEMPKES
Seit einiger Zeit ist viel vom Subjektstatus von Kunstwerken die Rede. Schon vor ein paar Jahren tauchte W. J. T. Mitchells halbherziger Ansatz auf, Bilder könnten Handlungsimpulse geben wie Subjekte. Viel einflussreicher ist momentan aber die philosophische Fabel des französischen Theoretikers Georges Didi-Huberman vom „zurückblickenden“ Kunstobjekt: Das leere Volumen eines Minimalkubus etwa stehe für ein leeres Grab, den abwesenden Leichnam, eine negative Präsenz des Körpers. Es geht Didi-Huberman um eine neue Beschreibung der stetigen dialektischen Impulse zwischen BetrachterIn und Kunstobjekt. Die sensuell-assoziative Dynamik des Verlusts, die Leere des Minimalobjekts, soll die Vorstellung im Gegenüber freisetzen, selbst fortwährend im auratischen Feld des Kunstwerks neu entworfen zu werden.
Didi-Hubermans Theorie über die „Wiederkehr des Verdrängten in der Sphäre des Visuellen“ ist zum Bestseller in jungakademischen Kreisen geworden, während manche KritikerInnen den Ansatz als ein „Existenzialisieren“ von Kunst relativieren. Seine Schrift koinzidiert allerdings mit aktueller Kunstproduktion in der neuen Faszination, gerade nicht abzubilden, was von Bedeutung ist. Abstrakte Objekte und Bilder tragen einen Überschuss in sich, das „something else“, von dem der kalifornische Künstler Richard Hawkins schreibt. Kai Althoff etwa hatte in seiner letzen Ausstellung Teppichskulpturen gezeigt, die er „Engel“ nennt, Schwellengeschöpfe, Harmonisierer zwischen der Unversöhnlichkeit der Grenzsemiotiken seiner Bilder von Homoerotik, Homosozialität und Gewalt. Und Cosima von Bonin stellte im Kunstverein Braunschweig grotesk-geknickte Stoffskulpturen aus, denen sie die Namen ihrer Kunstszenefreunde gab.
Zur Zeit sieht man am gleichen Ort Isa Genzkens minimalistische Säulen, die ebenfalls Namen von Freunden tragen, wie „Kai“, „Lawrence“, „Karola“. Nun könnte man sagen, dass sich mit diesen Familienszenarien die Skulptur selbstgenügsam abschließt. Darüber hinaus geht es bei Genzken aber offenbar auch um die „Superstar“-Aura ihrer abstrakten Körper, um spezifische Existenzformen, eingefangen in einem autonomen Kunstgefäß, und um die Geschichtlichkeit dieses Subjektkonzepts, das sie formal thematisiert.
Isa Genzken ist eine der beeindruckendsten KünstlerInnen der 80er- und 90er-Jahre. Die strenge formale Logik ihrer Arbeiten weist auf eine intellektuelle Nähe zu den 60er- und frühen 70er-Jahren. So ist sie auch einer historischen Autonomie-Vorstellung verpflichtet: Kunst sei gerade wichtig, weil sie so „unpopulär“ ist, „weil das, was so wichtig ist, keiner erkennt, keiner sieht und nur im Nachhinein gesehen wird“. Dabei hat Genzkens Werk einen starken internationalistischen Touch: New York, Düsseldorf, Köln und jetzt Berlin – das sind Orte, die in ihren Werken eine Rolle spielen. Ihre Bekanntschaft mit Vertretern des New Yorker Kreises um die kulturlinke Zeitschrift October und die Debatten über Appropriation Art und konzeptionelle Fotografie sind in ihre Arbeiten eingegangen, im scharfen Kontrast zu den hiesigen neoexpressionistischen Entwicklungen Anfang der 80er-Jahre in der Malerei.
So waren ihre ersten minimalistischen Skulpturen, die „Hyperbolos“ und „Ellipsoiden“ – was den Zeitgeist anging – antizyklische Interventionen und wurden in jenen finsteren Zeiten noch als hysterische Phalli abgestraft. Die Atmosphäre ihrer Arbeiten ist eigenwillig, detouched und dann doch sehr anschlussfähig. Genzken pflegte besonders in Köln den Kontakt zu popkulturellen Szenen, ihre Arbeiten tragen Namen von Leuten, die ihr künstlerisch und persönlich oder im Nightlife nahe stehen. So heißt zum Beispiel eine der charakteristischen neuen Assemblage-Säulen, die in Braunschweig zu sehen waren, „Justus“, nach dem Kölner House-Musiker und Chansonier Justus Köhnke.
Andere Säulen heißen „Christopher“ und „Daniel“, nach dem Galeristen-Paar Müller und Buchholz aus Köln, die sie lange Jahre treu begleitet haben. Auch die „4 schwulen Babies“, merkwürdig manierierte Wandskulpturen aus verbogenem und mit Spitzen und rosa Bändern verflochtenem Küchengerät, sind Zeugen von Geschichten, die Genzken mit anderen teilt. Die Skulptur wird zum Superstar, ganz im Sinne Warhols. Wenn Genzkens Säulen die Namen von Freunden tragen, die subkulturelle Prominenz und Repräsentanten eines Lebensstils sind, entsteht ein sozialästhetischer Resonanzraum. Es geht um strategische Autonomie und brüchige Selbstüberschätzung, ein theatralischer Narzissmus, der im gleichen Maße das Objekt abschließt, wie er es emanzipatorisch öffnet: Die Prominenz des Superstars ist zugleich selbstredend und machtlos. Man bekommt so eine Figur nie ganz zu fassen, es wird immer an spezifischem Wissen fehlen. Sie verweigern sich einer feuilletonistischen Beschreibung. Somit hat man es mit zur Schau gestellter Geheimhaltung zu tun.
Ähnlich funktionierten schon die Wolkenkratzer „berühmter Architekten“, die Genzken in „Chicago Drive“ 1993 verfilmte. Auch sie waren, wie die späteren Säulen, hyperbole Subjekte von Geschichte und Großstadt. Es ist das ästhetische Prinzip Genzkens, an die Fundamente minimalistischer Formrestriktion und Autonomie dieses „something else“ anzuheften – kontingente, historische, erzählende Materialien, wie Warhols silbernes Aluminium an ihrer Säule „Andy“. Genzken synthetisiert, was in den historischen Originalen im Nebeneinander der Avantgardeauffassungen gedeihen konnte: Minimal und Pop. Diese Verbindung existiert in ihren Arbeiten auf verschiedenen Ebenen: als historisches Zitat, als Formexperiment, als atmosphärisches Spiel, in der Art, wie Diederich Diedrichsen Genzkens Arbeiten zum Anlass nahm, über das Verhältnis von Miminal und Psychedelic zu sprechen.
Isa Genzken hat zur Zeit gleich zwei große Ausstellungen. Im Frankfurter Kunstverein entwarf sie mit einem Architekten zusammen ein Sommerhaus für reiche Leute auf Long Island. Genzken fand, dass wahre Manhattener es nicht so gut aushalten auf dem Lande, wenn es da nicht einen Anklang an die bekannte Wohnform gibt, etwa ein Ein-Parteien-Hochhaus am Strand. Genzkens neue Fotos aus New York, die in Braunschweig zu sehen sind, bewegen sich wiederum in schrägen Winkeln an den Vertikalen der Hauswände entlang, porträtieren geschäftige Leute auf den Avenues, alles bekannte Motive in der Geschichte der Stadtfotografie.
Aber Genzken geht es gerade um den ewigen Modernismus New Yorks als Ideal der Einheit von Kunst und Stadtleben, das zugleich schon lange Nostalgie ist. Jene Schichten historischer Avantgarden einzufangen, diese wieder belebte Reminiszenz von Architektur, Urbanem, Metropolitanem und der bildlich verstummten Funkyness der 80er-Jahre, die diese Motive sanft antreibt und auf den Raum übergreift, das gelingt wahrscheinlich nur noch Isa Genzken. Und das liegt an dieser gewissen Credibility, dem Vertrauen, das sich zu diesen Arbeiten einstellt, begründet in dem Wissen der Künstlerin über die komplizierten Operationen von Autonomie und Kontingenz.
Nun bedeutet Credibility in der Kunst heute etwas anderes als früher. Das Künstlerbild hat sich gewandelt. Selbstverständlichkeiten von „Qualität“ stellen sich nicht mehr selbstredend über gesellschaftlich losgelöste Kategorien ein. Die Frage, nach dem „Experienced-Sein“ bedeutet für eine Figur wie Genzken, dass z. B. die soziale Position „Frau“ in der Kunst nicht mehr geleugnet noch ausgestellt werden muss. Die neue Selbstverständlichkeit liegt darin, dass diese Position als historischer Prozess sedimentiert ist, als Spur emanzipatorischer Kämpfe, was die coolen Oberflächen von Arbeiten wie die Genzkens erzeugt.
Isa Genzken: „Sie sind mein Glück“, bis 27. 8., Kunstverein Braunschweig; „Urlaub“, bis 6. 8., Frankfurter Kunstverein
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