Der West-Berliner

Jürgen Laska lebt seit 1978 in Berlin. Den Ostteil der Stadt will er bis heute nicht besuchen. Aus Prinzip. Er kämpft für das Gedenken an die Mauerstadt

von KIRSTEN KÜPPERS

Jürgen Laska ist ein großer, schlaksiger Mann. 43 Jahre alt, braun gebrannt. Die Haare sind lang und fransig, in Ohrenhöhe gibt es ausrasierte Stellen. Er behauptet, noch nie in Ostberlin gewesen zu sein. Der arbeitslose Krankenpfleger weiß, dass das außergewöhnlich ist. Also nennt er sich „West-Berlin-Spezialist“, Originalität als Beruf.

Zum Erzählen öffnet sich Laska erst mal eine Dose Bier. Endlich hört jemand zu. Es wird viel die Rede sein von Tankstellen, Feuer und dem Ku’damm. Die Karriere des Spezialisten beginnt 1978. Laska kam aus Frankfurt am Main nach West-Berlin, um Völkerkunde und Theaterwissenschaften zu studieren. Zwar bleibt er bei einer Weltreise längere Zeit in Kalifornien hängen, wo er als „Kampftaucher“ arbeitet. Aber Mitte der 80er-Jahre kommt er zurück: ins „Tankstellenviertel an der Heerstraße“. Sein Zimmer in einer Pension verdient er sich mit Portierschichten. „Die U-Bahn, Kennedy, der Ku’damm, das mit dem Tabak und der Währung früher“, erinnert er sich euphorisch an alte Frontstadt-Zeiten, „da ließe sich doch auch heute noch was draus machen.“ Findet er.

In seiner Pension an der Agip-Tankstelle hat Jürgen Laska auch den Mauerfall erlebt, per Radio und TV. „Erst über ein Jahr später habe ich mich von dem Abriss der Mauer selbst überzeugt. Das habe ich mir angesehen“, sagt er gut gelaunt. Rübergegangen in den Osten sei er jedoch nie. West-Berlin sei ausreichend schön.

1991 brannte es bei den Tankstellen. Aus Angst, dass alles in die Luft fliegen könnte, sprang Laska aus dem Fenster. Heute wohnt er in einer kleinen Ein-Zimmer-Wohnung in Spandau. Es riecht nach jahrealtem Zigarettenqualm. Lüften ist schwierig. Dem Öffnen der Fenster stehen die vielen Gummimäuse und Plastikfigürchen auf der Fensterbank im Wege. An den Wänden hängen nackte Frauen. Auf dem Bildschirm des Fernsehers klebt das Foto einer Bikinischönheit.

Laska nimmt noch einen Schluck Bier. Es ist 11 Uhr vormittags. Für ihn ist es schon spät. Jeden Tag steht er um 3 Uhr morgens auf und singt eine Stunde lang die amerikanische Nationalhymne. Vor dem Schlafengehen genauso. Ihm sei das alte West-Berlin eben wichtig, erklärt er. Dazu gehöre auch das Verhältnis zu den USA und das deutsch-amerikanische Volksfest. Darum mache er überhaupt den ganzen Zirkus. Er gehe nicht nach Ost-Berlin, weil er „was anderes zur Wiedervereinigung beisteuern will“. Am liebsten eine 100 Meter lange US-Fahne aus Leuchtstoffröhren am Platz der Luftbrücke. Für die Finanzierung hat er versucht, die Deutsche Bank zu begeistern. Bisher vergeblich. Wer positiv über Mauerzeiten denke, dem würde sofort eine aggressive Einstellung unterstellt, hat er festgestellt. Dabei müsse doch die Erinnerung an die eingemauerte Stadthälfte wach gehalten werden, findet er.

Sein Werbefeldzug für West-Berlin hält Laska auf Trab. Er geht zu Radiosendern und Stadtmagazinen, schreibt Briefe an alte Arbeitgeber, an Anwälte, Behörden, Banken, Burger King und die Love-Parade-Macher. Ansonsten läuft er den ganzen Tag zu Fuß durch West-Berlin. Wer ihm nicht glaube, dass er noch nie im Osten war, könne ihn ja an einen Lügendetektor anschließen, sagt er trotzig. Die Stimme wird laut.

Helmut Höge hat neulich über den Sozialwissenschaftler Richard Herding berichtet. Der erforscht das Querulantentum. Diese individuellen Rebellen sind demnach hartnäckige, einsame Einzelkämpfer – „unfähig, sich Ersatz zu suchen und zu finden“. Jürgen Laska ist auch so ein Querulant. Für andere ist er einfach ein Opfer der Großstadt.