: Wissenswertes über Dronten
Die neuen StipendiatInnen des Literarischen Colloquiums haben Quartier bezogen
Maike Wetzel hat es am besten erwischt: Sie logiert im Turmzimmer. Dort gibt es einen hübschen Balkon, und vom Schreibtisch aus kann sie auf den Wannsee schauen. Die anderen StipendiatInnen des Literarischen Colloquiums Berlin (LCB) sind nicht ganz so schick untergebracht. Trotzdem gefällt es ihnen in der Villa: „Ich bin in den drei Wochen seit ich hier bin schon ein gutes Stück vorangekommen“, sagt Melinda Nadj Abonji, die gerade an ihrem ersten Roman arbeitet.
Die Autorin wurde 1968 in Jugoslawien geboren und lebt seit ihrer Schulzeit in Zürich. Von dort hat sie „Jurczok 1001“ mitgebracht, eine menschliche Beatbox. Er unterstützt Abonji bei ihrer kurzen Textperformance, mit der sie sich am Dienstagabend beim LCB vorstellte: Während sie laut über Max spricht, der die riesige Baggerschaufel schätzte, oder über Rolf, der mehr Pfannkuchen essen konnte als alle anderen, hämmert und seufzt Jurczok dazu einen Rhythmus. Auch mit einer elektrischen Geige und einem Loop-Effekt illustriert die Autorin ihre präsize betonten Texte. Hoffentlich wird ihr Roman, in dem es um die Kindheitserinnerungen einer Frau geht, auch als Audiobook zu haben sein.
Die Texte von Bastian Böttcher funkionieren ebenfalls am besten live: Er ist Rap-Poet. Übersetzt in Kleidung sieht das so aus, dass Böttcher zu einem schwarzen Anzug ein graues T-Shirt mit der Aufschrift „Atari“ trägt. Seine Füße stecken in dezenten Sneakern. Mit den typischen Hip-Hop-Armbewegungen schleudert der schlaksige Böttcher Reime über Partytouren und coole Wintertage ins Publikum. Einen Beat braucht er dazu nicht: „Ich kann viel virtuoser mit der Sprache umgehen, wenn kein Vierviertel-Takt da ist“, sagt er.
Im Literarischen Colloquium wird Böttcher, der auch MC bei der Gruppe Zentrifugal ist, nicht schreiben, sondern vor allem Programmieren. Er bastelt an der „ersten interaktiven Freestyle- und Rap-Session im Internet“. Unter www.freestyler.de läuft bereits eine Demoversion des Projekts. Die Einladungen von Abonji und Böttcher zeigen, dass die dreiköpfige Jury des Stipendiums in diesem Jahr einen sehr offenen und aktuellen Literaturbegriff hatte. Aus über 100 Bewerbungen wählte sie sechs AutorInnen aus, die drei Monate lang in der Villa schreiben können. Neben Ruhe und Idylle bekommt jedeR zudem monatlich 2.000 Mark. Der Senat finanziert diese Förderung junger AutorInnen bereits seit Anfang der 80er-Jahre. Die Literaturreferentin Ingrid Wagner-Kantuser ist sicher, dass sich Berlin diesen „relativen Luxus“ auch in Zukunft leisten wird. Schließlich ist das Stipendium ein Erfolg: Für AutorInnen wie Rainald Goetz, Libuše Moníková und Norbert Gstrein war es eine Starthilfe ihrer literarischen Karrieren.
Schon einige große Schritte gemacht haben die übrigen LCB-StipendiatInnen, die alle bereits ein oder sogar mehrere Bücher veröffentlicht haben. Die 29-jährige Sahra Khan stellt gerade nach „Gogo-Girl“ ihren zweiten Roman fertig, und die für ihre Erzählungen („Hochzeiten“, S. Fischer) vielfach ausgezeichnete Maike Wetzel möchte an neuen Kurzgeschichten arbeiten. Worum es gehen wird, verrät sie noch nicht. Auch die Pläne des Wieners Daniel Kehlmann liegen noch im Dunkeln – er zieht erst im August ein. Der Hamburger Schriftsteller Thomas Klees hat mit „Spurlos verschwunden“ einen kleinen Gedichtband veröffentlicht. Er schreibt aber auch witzige Kurzgeschichten. Zum Beispiel über Dronten. Das ist eine ausgestorbene, ziemlich hässliche Vogelart, die Klees so sehr am Herzen liegt, dass er bei seiner Lesung sogar kleine Zeichnungen der Tiere verteilt. Vielleicht trifft er am Wannsee andere nette Wasservögel, die ihn ein bisschen trösten und zu neuen Versen inspirieren. NADINE LANGE
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