: Leben im Show-Room
Schöner wohnen in Berlin: Zwei Fotobände dokumentieren ambitioniertes Hauptstadtwohnen und heimisches Repräsentieren in den 20ern und heute
von STEPHANIE TASCH
„Abends bei Piscator. Hübsche, helle Wohnung, von Gropius eingerichtet, sachlich, aber ansprechend, und die Menschen sehen darin gut aus“, notiert Harry Graf Kessler am 30. Oktober 1928 in seinem Tagebuch mit der Selbstgefälligkeit desjenigen, der die Berliner Society bereits um die Jahrhundertwende mit einer von Henry van de Velde entworfenen Jugendstilwohnung auf die Höhe des europäischen Geschmacks gebracht hatte.
Als der Lifestyle erfunden wurde, war Berlin ganz vorn. Die Dame aus dem Ullstein Verlag entwarf seit 1912 den Lebensstil der Großstadt und illustrierte den Blick auf die elegante Welt im aktuellen Medium Fotografie mit Pferderennen, zeitgenössischer Skulptur und Gesellschaftsmenschen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg entdeckte Die Dame die Home Story, und zu den zweiwöchentlich aktualisierten Nachrichten von Hausse und Baisse an Hutschleier und Rocksaum gesellte sich der vorbildlich gestaltete Innenraum.
Interieurs wie die von Kessler mit freundlicher Herablassung bedachte Piscator-Wohnung von Gropius finden sich in der von Enno Kaufhold aus dem Ullstein-Archiv geborgenen Sammlung von Fotografien Waldemar Titzenthalers (1869-1937) allerdings kaum. Der Fotograf nähert sich seinen schwer möblierten Motiven mit der respektvollen Distanz eines Butlers, der aus der Zimmerecke das Leben der Herrschaft im Auge behält. Die langen Belichtungszeiten machen die Bilder statisch, verlassen liegen die Herrenzimmer, Entrees und Kaminecken; zuweilen werden Gattinnen und Töchter in einer Reminiszenz an den fotografischen Piktorialismus sinnend auf Möbelstücke drapiert. Das Mobiliar ist zumeist historisierend und von festungsähnlichen Ausmaßen; über Eck arrangiert, verstellt es den Weg und erinnert an kritische Bemerkungen der Zeitgenossen wie Walter Benjamin, dessen „Passagen-Werk“ das schöne Wort vom „Maskenspiel der Stile“ enthält. Die Innenarchitektur erscheint als Bollwerk gegen die epochalen Veränderungen draußen. Titzenthaler konserviert die Wohnkultur des kaiserlichen Berlin, die Fenster, die das Bauhaus aufzustoßen half, sind in den meisten seiner Aufnahmen von samtenen Portieren verhangen.
Die Fotografin Martha Huth hat dann in den Zwanziger- und Dreißigerjahren in den Privatwohnungen prominenter Berliner Kunstsammler neues Wohnen dokumentiert. Ein Testament gründlich betriebener Sammelleidenschaft, das eine ebenso liebevolle Neuedition verdient hätte wie Titzenthalers gravitätische Schwarzweißwelten.
Wie vollständig das Berlin der Dame untergegangen ist, zeigt sich auch auf den Seiten des ebenfalls im Nicolai Verlag erschienenen Bandes „Berlin ganz privat“. Offensichtlich war der Moment gekommen, da man sich – in Berlin und als Berliner Verlag – der internationalen Konkurrenz des immer schöneren Wohnens gewachsen fühlte, die sich auf den Doppelseiten der coffee table books tummeln. Wo die Zimmerfluchten prominenter und semiprominenter Zeitgenossen von Paris bis Marrakesch gefeiert werden, kann Berlin sich nicht heraushalten.
„Berlin ganz privat“ blättert reichlich bekannte Protagonisten auf, wobei gerade die besonders glanzlosen Domizile der üblichen Verdächtigen aus Haar- und Nachtleben besonders vehement den Vergleich mit Hollywood herbeizuzwingen bemüht sind. In schönem Kontrast zur Aufgeregtheit der Texte wird beruhigend langweilig möbliert, mit ausgeprägt Westberliner Charakter. Gewohnt wird allenfalls bis Mitte; gern im Edel-Trödel der späten Siebziger, der bunten Welt der Achtziger oder einer gewissen Gediegenheit. Bei Titzenthalers visueller Hofberichterstattung konnte man sicher sein, nur in die besten Kreise gucken zu dürfen. In „Berlin ganz privat“ schaut man gleich ins Branchenbuch, da einige der Porträtierten die Selbstdarstellung nahtlos mit Eigenwerbung verbinden. Schönstes Beispiel ist das eine Haus, das in beiden Bänden erscheint: Die Villa Harteneck, 1911 von Adolf Wollenberg gebaut, ist heute ein ambitioniertes Blumengeschäft.
Das beantwortet immerhin eine Frage, die sich anlässlich der „Berliner Interieurs“ stellt und unbeantwortet bleibt, da der Bearbeiter Enno Kaufhold zwar die Bewohner, nicht aber die Häuser mit Biografien versieht. „Berlin ganz privat“ gibt sich hingegen öffentlich und praxisorientiert und lüftet spätestens im Anhang mit den Adressen von Architektenbüros über Hutmacherinnen bis PR-Agenturen den Vorhang, der die eigentliche Funktion des Bandes vor dem Auge des ungeübten Lesers verborgen hatte: Das private Domizil ist zuerst und vor allem ein Show-Room.
Enno Kaufhold: „Berliner Interieurs 1910–1930“. Fotografien von Waldemar Titzenthaler. 149 Seiten, Nicolai Verlag Berlin 1999, 128 DMSusanne von Meiss / Reto Guntli: „Berlin ganz privat“. 240 Seiten, Nicolai Verlag, Berlin 2000, 98 DM„Berliner Lebenswelten der Zwanziger Jahre. Bilder einer untergegangenen Kultur. Photographiert von Martha Huth“, hrsg. 1996 vom Bauhaus-Archiv und der Landesbildstelle Berlin
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