: Movimento mori
Seit 150 Jahren wird in der Lausitz gebaggert. Erst wurden die reichen Braunkohlevorkommen im Süden Brandenburgs zum Motor der Industrialisierung, dann zum Garanten von Hitlers Kriegsplänen. 78 Dörfer wurden bisher weggebaggert. Heute, zehn Jahre nach der Wende, toben die letzten Gefechte um den Tagebau. Teile der Lausitz sollen nun zum Freizeitpark werden. Das Porträt einer aufgewühlten Landschaft
von HELMUT HÖGE (Texte) und LORENZ KIENZLE (Fotos)
Eine Studie der TU Dresden über das „Bleibeverhalten“ Jugendlicher kam 1998 zu dem Ergebnis, dass es im ländlichen Osten – speziell in der Lausitz – ein „Auswanderungspotenzial“ von etwa 60 Prozent gebe, in vergleichbaren Westregionen nur ein Drittel. Wobei es die Mädchen eher als die Jungen schaffen wegzuziehen. (…)
Im Braunkohlerevier wird wie verrückt gebaut und renoviert. Aus Cottbus und anderen größeren Orten ziehen die Leute weg aufs Land. Die Grundstücke sind – u. a. wegen der oft nahen Braunkohleförderanlagen – besonders billig. Andersherum siedelt die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) laufend Leute aus Orten, die weggebaggert werden, in neue Siedlungen um. Im Tagebau Welzow derzeit etwa die Bewohner des Dorfes Haidemühl. Sie werden von einem „West-Umzugsprofi“ beraten: „Die Haidemühler fahren eine Doppelstrategie“, sagt der; sie seien zwar gegen die Umsiedlung ihres frisch renovierten Ortes, wollten aber bei den „Modalitäten“ dieser „größten Umsiedlungsaktion seit dem Ende der DDR“ mit entscheiden. Anderswo bietet die Laubag den „Braunkohlevertriebenen“ an, in den vom Bagger verschonten Dorfteilen ihre leer stehenden Häuser billig wieder zurück zu erwerben – wie in den „Geisterdörfern“ Klingmühl und Pritzen.
Die Abriss- und Bauwut in der Lausitz hat etwas Gespenstisches: Ganze Kirchen, Kriegsdenkmäler und sogar uralte Linden sind auf Wanderschaft. 78 Dörfer wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts in diesem sorbischen Siedlungsgebiet weggebaggert, 39 teilweise. Dabei wurden 25.600 Menschen umgesiedelt. 1940 schlug der Reichsführer SS Heinrich Himmler vor, die Sorben zur Gänze nach Osten zu deportieren, wo sie „als führerloses Arbeitsvolk für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) zur Verfügung stehen“ sollten. Der 1912 in Hoyerswerda gegründete Dachverband aller sorbischen Kulturvereine, die Domowina, war 1937 verboten worden. Als die Rote Armee einmarschierte, gehörte dieser Dachverband zu den ersten wieder zugelassenen Organisationen.
Auch die SED unterstützte dann die sorbische Minderheit großzügig. Die Bundesrepublik zahlt jetzt der sorbischen Stiftung 15 Millionen Mark jährlich; zwei Sprachschulen wurden jedoch geschlossen, ebenso das Lehrerausbildungsinstitut. Dafür wurde 1994 ein „Sorben-Gesetz“ in die Landesverfassung aufgenommen. Was die Regierung nicht daran hinderte, die bis heute gegen die Abbaggerung kämpfende Sorbengemeinde Horno vier Jahre später verwaltungsjuristisch aufzulösen.
1997 veröffentlichte eine Projektgruppe des Instituts für Europäische Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität eine von der Laubag und der Sorbischen Stiftung finanzierte Studie über die südbrandenburgische „Lebenswelt im Umbruch: Skizzen aus der Lausitz“ (im Böhlau-Verlag, Köln).
Auf dem Vorfeld des Tagebaus Jänschwalde bei Grötsch entstand dieses Foto – im Juni 1997, kurz nach der Heuernte. Im Jahr darauf demonstrierten hier fünftausend Bergarbeiter mit einer kilometerlangen Menschenkette – für die Abbaggerung Hornos! Ihr Arbeitgeber gab ihnen dazu frei und argumentierte: Wegen des egoistischen Widerstands der Hornoer seien ihrer aller Arbeitsplätze gefährdet.
Von einstmals 130.000 Bergarbeitern arbeiten in der Laubag und in der Mitteldeutschen Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) derzeit noch etwa 10.000 – weitere Massenentlassungen wurden jedoch bereits angekündigt. Ebenso bei der Vereinigten Energiewerke AG (Veag), woraufhin tausend Mitarbeiter in Berlin und Potsdam für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten. Die Lausitzer sitzen in der Zukunftsfalle – mit ihren immer üppiger ausgebauten Häusern und den verschwindenden Arbeitsplätzen in der Braunkohlenindustrie und in der Energiewirtschaft. „Gott schuf die Lausitz, der Teufel gab die Kohle dazu“, heißt es bereits in einem alten sorbischen Lied.
Es begann harmlos – Mitte des 19. Jahrhunderts, als man entdeckte, dass sich aus Braunkohle durch Verschwelung Paraffin gewinnen lässt, mit dem billig Kerzen hergestellt werden konnten. Plötzlich winkten „ungeheure Gewinne“, und überall wurden Fabriken gebaut. Reich wurde damit vor allen anderen der zum Unternehmer aufgestiegene Bergarbeiter Adolf Riebeck – mit seinen „Montanwerken“. Nachdem es gelungen war, die nasse Braunkohle kostengünstig zu trocknen und als handliche Briketts auf den Markt zu bringen, kam es ab 1890 zu einem zweiten Boom im Braunkohlenrevier. Als Großabnehmer trat schon bald die Chemieindustrie auf den Plan.
Die AEG und Agfa zum Beispiel errichteten ihre neuen Werke direkt auf der Kohle. Mit dem Großkapital kam es bald zu immer neuen Fusionen in der Braunkohle, um im Preiskrieg zu überleben. Im Westen entstand daraus die „Rheinbraun“ von Paul Silverberg. Im Osten blieben schließlich die „Riebeckschen Montanwerke“ übrig, hinter denen die böhmischen Braunkohle-Industriellen Eduard Weinmann und die Gebrüder Petschek sowie der Berliner Bankier Carl Fürstenberg standen.
Aber dann erwarb Hugo Stinnes das bankrotte Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk in Essen – RWE. Das bot nun die Kilowattstunde Strom für konkurrenzlose 40, sogar nur 32 Pfennig an statt wie alle anderen Werke für 60. Bald hatte das RWE derart viele Großkunden, dass Stinnes neue Kraftwerke bauen ließ: direkt auf der Braunkohle. Im Osten bescherte der Erste Weltkrieg den Gruben die Auslastung: Wegen der englischen Seeblockade waren die Deutschen vom chilenischen Salpeter abgeschnitten, den sie zur Sprengstoffherstellung benötigten. Es gelang den Chemikern jedoch, Salpeter synthetisch herzustellen. Dazu wurden bald riesige Kalkstickstoffwerke gebaut sowie die notwendigen Großkraftwerke. Wenig später kamen Kunstdünger-Ammoniak-Werke (BASF) hinzu sowie eine Aluminiumfabrik. Auch das Heizöl für die deutsche Flotte wurde aus Braunkohle hergestellt. Nach dem Krieg erwarb Hugo Stinnes die Riebeckschen Montanwerke.
Als er starb, wurde sein Konzern von den Großbanken zerlegt. Einzig sein RWE überlebte, die Riebeck-Aktien wurden von der IG Farben AG erworben, zu denen auch die BASF gehörte. Ihr Standbein zur Benzinherstellung aus Braunkohle. Das „Kunstbenzin“ wurde jedoch zu teuer. In ihrer Not wandte sich die Konzernleitung an den zukünftigen Reichskanzler Adolf Hitler – und der versprach: Deutschland braucht die Kohlehydrierung, um von Ölexporten unabhängig zu bleiben. Diese mündliche Zusage reichte den Wirtschaftsführern: Es konnte losgehen. „Nun läuft ein Wirtschaftskrimi an, der die Machtverhältnisse auf dem Braunkohlemarkt so entscheidend verändert, dass die ‚Folgekosten‘ heute noch auf die neuen Bundesländer durchschlagen“, schreibt der Energiehistoriker Günter Karweina.
Der Drahtzieher war Friedrich Flick. Er schaffte es, dass das RWE in einer Verschwörung gegen seinen eigenen Chefaufseher Silverberg die Rheinbraun erwerben konnte – und er dafür die Aktien der Harpener Bergbau bekam. Silverberg wanderte wenig später – als unerwünschter Jude – aus. Auch die Besitzer der besten Braunkohlengruben im Osten waren Juden – dazu noch Ausländer: die Petscheks aus Prag. Die expandierenden IG Farben forderten die „Übereignung“ ihrer deutschen Gruben – und sprachen persönlich bei Hermann Göring vor. Doch als die Arisierungsdrohung griff, hatte Flick bereits Görings Vetter mit einer fünfstelligen Summe bestochen – und bekam den Petschek-Konzern, der IG Farben verkaufte er anschließend einen – für sie günstig gelegenen – Tagebau. Und dann konnte es losgehen mit der erneuten Kriegsproduktion auf der Braunkohle.
Nach Gründung des Friedensstaates DDR ging es dann jedoch wieder andersherum. Nachdem die Sowjetunion ihr Ölkontingent für die DDR reduzierte, wurde die Braunkohlenförderung aber auch dort wieder kräftig forciert. Schließlich deckte der heimische Tagebau neunzig Prozent des Energiebedarfs des Landes. Mit Auflösung der DDR stellte Kanzler Kohl sofort und höchstpersönlich die flickschen Zustände wieder her, indem er die gesamte ostdeutsche Stromversorgung einem Konsortium unter Führung des Branchenriesen RWE zuschanzte: Ohne diesen Stromvertrag sei die Wiedervereinigung nicht zu haben, machte der CDU-Übergabeminister Günther Krause den anfangs widerständigen Ost-CDUlern klar.
Wenig später erwarb die RWE-Tochter „Rheinbraun“ bzw. deren Ost-Neugründung „Laubag“ auch noch den größten Teil der ostdeutschen Braunkohlenindustrie. Sie beanspruchte sogar Anteile an der für die Rekultivierungs- und Umwandlungsarbeiten an den stillgelegten Gruben, Brikettfabriken und Kraftwerken sowie für ihre Vermarktung zuständigen Lausitz-Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), die 2.000 Mitarbeiter hat (davon 700 Lehrlinge) und derzeit noch 5.000 ehemalige Bergarbeiter – auf SAM-(Strukturanpassungsmaßnahmen-)Basis – beschäftigt. Zudem trug sich die Laubag noch mit dem Gedanken, das angloamerikanische Konkurrenzunternehmen in Sachsen-Anhalt, die Mibrag, zu erwerben.
Die Finanzzuschüsse zum Bau neuer Braunkohlekraftwerke in Brandenburg wurden unterdessen von der EU als „unerlaubte Subventionierung“ moniert. Und der deutsche Berater von General Electric, Karl-Gustav Ratjen, kritisierte: „Monopole dieser Art werden hierzulande immer noch durch gesetzliche Regelungen aus den Dreißigerjahren gestützt.“
Dennoch ist nun alles in Bewegung geraten: Wegen der Fusionierungen unter den Stromkonzernen drängte das Kartellamt die RWE, sich aus der Laubag zurückzuziehen. Gleichzeitig haben die Veag-Eigner unter Führung der RWE jetzt auch noch diesen Braunkohleverstromer zum Verkauf ausgeschrieben: Die US-Firma Southern Energy und die Berliner Bewag haben bereits Kaufinteresse signalisiert, ebenso der schwedische Konzern Vattenfall und die Hamburger HEW. Die Belegschaft fürchtet in jedem Fall Massenentlassungen, zumal wenn auch noch die Subventionierung des zu teuren Braunkohlenstroms wegfällt und die zur Zwangsabnahme verpflichteten ostdeutschen Kommunen abspringen. Außerdem will man Laubag und Veag nun wieder – wie zu DDR-Zeiten – kostensparend zusammenfassen.
Foto oben:
Im halb weggebaggerten Ort Grötsch, wo an allen Ecken und Enden gebaut wird, gehört der schönste Hof inklusive der Dorfkneipe Friedrich Halke. In diesem Jahr wird er 92. Halke spricht sorbisch. Deswegen musste er bereits im Ersten Weltkrieg für die im Dorf einquartierten russischen Gefangenen dolmetschen. Einer blieb acht Jahre auf dem Hof: „Dann hat mein Vater ein Grundstück zum Bauen für ihn gekauft.“
1924 verließ Halke zum ersten Mal sein Dorf, 1936 wurde er eingezogen – und nahm dann am Ostfeldzug teil. 1945 gelangte er mit dem Schiff von Ostpreußen nach Kiel, von wo aus er zu Fuß zurück nach Hause ging. Seine Eltern waren krank und „alles war ausgeräubert“. Er fasste jedoch Mut und fing wieder neu an – kaufte eine Kuh und einen alten BMW, außerdem heiratete er.
Später wurde Halke Mitglied in der „LPG Wiesengrund Grötsch“. Zuletzt saß er noch im Aufsichtsrat der nach der Wende umgewandelten LPG. Von seinem Land musste er in dieser Zeit sechs Hektar Wiesen und zwölf Hektar Wald an das Braunkohlekombinat verkaufen. Er bekam dafür 333 Mark Entschädigung (drei bis neun Pfennig pro Quadratmeter): „katastrophal!“
Durch die Grundwasserabsenkung gingen bald alle Kirschbäume des Dorfes ein, und der Bagger fraß sich immer näher an das Kriegerdenkmal heran: „Wir waren mal ein schönes Dorf. Mein Vater war Schlachter, seine Würste verkaufte er in der Schänke. Es kamen viele Leute von außerhalb. Wir haben ein wunderbares Leben geführt. Das Wasser kam von Forst, wir hatten gute Wiesen mit Kleegras. Das war einmal. Jetzt kommt das Wasser künstlich im Rohr. Durch die Kohle ging langsam alles kaputt. Der Tagebau hat uns das Genick gebrochen. Die Frauen waren alle für den Umzug.“
Halkes Sohn ist heute Chef im Kraftverkehr Cottbus,und die Schwiegertochter arbeitet bei einem Westsubunternehmen der Laubag, ihr Chef hat sich gerade ein Grundstück in Grötsch gekauft, auf dem er bauen will.
Das Foto zeigt Friedrich Halke im Juni 1997 in seinem Garten, wo er gerade Mittagswache hielt, um seine jungen Enten vor einem Fuchs zu schützen. Dabei schlief er jedoch ein, und dem Fuchs gelang es, sich eine der Enten zu schnappen. Halke wachte vom Tumult auf, nahm seinen Stock und schlug auf den Räuber ein, der daraufhin die Ente vor Schreck fallen ließ. Sie überlebte.
Foto Mitte:
Lissy Halke in ihrem Garten neben der künstlichen Wasserversorgung für Grötsch, September 1997. Lissy Halke ist eine Zugezogene, sie spricht nicht sorbisch. Aber sie erinnert sich, dass einmal, kurz nachdem sie geheiratet hatten, 1945, eine Frau ankam, die sagte, sie sei eine Sorbischlehrerin und auf der Suche nach überlebenden Sorben. Die Halkes gaben ihr ein Zimmer. Sie besuchte nacheinander alle alten Leute. Dann wollte sie nach Horno weiter. Die Halkes fuhren sie mit ihrem BMW hin. Der Bürgermeister dort wollte sie jedoch nicht aufnehmen: „In Horno spricht niemand mehr wendisch!“
Das Ehepaar Halke konnte ihn aber überreden. „Sei doch bloß vernünftig“, sagten sie zu ihm. „Damals sind viele Leute in den Westen abgehauen, es standen Wohnungen leer. In eine durfte sie dann einziehen. Das war die sorbische Überführung nach Horno, wo sich jetzt der Widerstand gegen die weitere Wegbaggerung sorbischer Siedlungen konzentriert.“
Foto unten:
Der Bürgermeister von Grötsch, Klaus Kordian, ist ein Zugezogener aus Spremberg, der im Kraftwerk arbeitet und sich nach Meinung der meisten Bewohner sehr für das Dorf einsetzt. Seine Frau stammt aus Grötsch, sie arbeitet bei der Laubag, seit dem 1. Juli 1999 hat man sie jedoch auf Kurzarbeit gesetzt. Ihre Familie verkaufte Mitte der Siebzigerjahre „riesige Flächen“ an das Braunkohlekombinat.
Im Oktober 1998 stellte Klaus Kordian sich für den Fotografen an die – „von Holländern errichtete“ – Schallmauer aus rostigem Wellblech, die den bis 1993 übrig gebliebenen Teil von Grötsch vom Tagebau Jänschwalde trennt. Obwohl es bereits zu DDR-Zeiten eine Bürgerinitiative in Grötsch gab, will er in seinen Auseinandersetzungen mit der Laubag jetzt einen anderen Weg als das Dorf Horno gehen – und beispielsweise Zugeständnisse machen, aber nur gegen Sicherheitsgarantien für die Arbeitsplätze der letzten fünf noch in der Braunkohle beschäftigten Dorfbewohner. Er kann sich dabei auf einige von Kausche nach Drepkau umgesiedelte Laubag-Mitarbeiter berufen, aber auch auf einige Hornoer, denen man im Falle ihres Wegzugs ebenfalls einen Kündigungsschutz anbot.
Die meisten Grötscher gingen bisher freiwillig: „Der halbe Ort wurde in Groß-Gaglow angesiedelt, in Neubauten.“ Der Bürgermeister arbeitete 1997 einen elf Punkte umfassenden „Grötsch-Vertrag“ aus, aber schon am ersten Punkt – zur Arbeitsplatzsicherheit – scheiterten bisher alle Verhandlungen mit der Laubag. Dabei ist das Hauptproblem die Arbeitslosigkeit; sie liegt in der Region real bei fast fünfzig Prozent.
Zu dem, was den Leuten in Grötsch sonst noch auf den Nägeln brennt, gehört die Kohleverladung am Dorfrand, „die Lärm und Dreck produziert“. Weil ihm das Messteam des Senftenberger Bergamts nicht objektiv genug war, trägt sich der Bürgermeister mit der Absicht, ein eigenes Lärmmessgerät anzuschaffen. Ferner klagt die Gemeinde gerade gegen ein Forster Planungsbüro, das für den aus Mitteln der Dorfverschönerung gebauten neuen Teich im Ortskern verantwortlich war – und dabei anscheinend schlampige Arbeit leistete: Der Weiher verliert ständig Wasser. Die üppigen Grünanlagen des Dorfes betreuen inzwischen (wieder) die Vorruheständler und Rentner, auf Basis von „Pflegeverträgen“ mit der Gemeinde.
1994 wurde die Abbaggerung von Grötsch gestoppt, damals wohnten noch 48 Leute dort. Jetzt sind es wieder 72. Die meisten kommen aus Cottbus, sie zahlten etwa acht Mark pro Quadratmeter Bauland. Und weil einige von ihnen bei der Laubag oder im Veag-Kraftwerk „Jänschwalde“ arbeiten, nehmen sie auch den Baggerlärm in Kauf.
Abgesehen von diesem Standortnachteil kommen demnächst noch einmal Fördermittel zur Dorfverschönerung auf Grötsch zu, denn der Ort gehört neuerdings zum Territorium des IBA-Expo-Projekts „Cottbuser Ostsee“ im ehemaligen Tagebau „Cottbus-Nord“. So unterschiedlich die Vorstellungen für diese zukünftige „Seen- und Erholungslandschaft“ auch sein mögen, in einem sind sich Planer und Verantwortliche jetzt schon einig: “Die Charakteristik der Dörfer und ihre Siedlungsstruktur müssen bewahrt bleiben und ihre Vorzüge deutlich gemacht werden.“ So steht es im IBA-Katalog, sowie auf der Webseite www.iba-fuerst-pueckler-land.de. Weitere Homepages: lausitzring.com, laubag.de, lmbv.de und kulturland2000.com.
Foto rechts:
Ich mache meinen Frieden“, sang 1993 der Baggerfahrer Gerhard Gundermann aus Hoyerswerda, „mit jedem samurai mit jedem kamikaze / mit jedem grünen landei und auch mit jeder glatze / die die welt nicht bessern können aber möchten / mit viel zu kurzen messern in viel zu langen nächten.“
Wie in vielen Regionen des Niedergangs richteten sich die Erwartungen – auch in der Lausitz – zunächst auf den Aufstieg der lokalen Fußballmannschaft. Der FC Energie Cottbus gehört zu den wenigen im Osten übrig gebliebenen Profifußballvereinen. Mit „Hotline“, „Fanartikel-Shop“ und dem letzten DDR-Nationaltrainer, Eduard Geyer, als prominentem Coach: „Die Leute hier“, sagt er, „mussten alle schwer arbeiten, also wollen sie auch ehrliche Arbeit auf dem Platz sehen.“ Das Foto entstand am 2. Juni 1997, nachdem der FC Energie Cottbus das Aufstiegsspiel in die 2. Bundesliga geschafft hatte. Inzwischen ist der Verein in die 1. Liga aufgestiegen.
Die Stadt selbst geriet im Westen vor allem wegen ihrer militanten Neonaziszene in die Presse. Nachdem elf Afrikaner in der Straßenbahn von „Rechten“ zusammengeschlagen worden waren, kündigte der vom FC verpflichtete afrikanische Fußballspieler Moudachirou Amadou vorfristig seinen Vertrag und verließ Cottbus. Unter den Fußballfans der Stadt war es Brauch geworden, „Bananen auf farbige Spieler zu werfen“, wie die taz schrieb.
Im Vorfeld der Landtagswahl 1999 bescheinigten Meinungsforscher der rechtsextremen Deutschen Volksunion „gute Chancen“ in Südbrandenburg: Zwanzig Prozent der Bevölkerung seien „potenzielle Ausländerfeinde“. „In manchen Vierteln von Cottbus etwa beherrschen Skinheads die Straßen“, fügte der Spiegel hinzu. Die Gemäßigteren votierten dann jedoch vor allem für den CDU-Haudegen General Jörg Schönbohm, der während seines Wahlkampfs mit den Rechtsradikalen in ihrem Cottbuser Jugendclub „Flash 29“ über Ausländer und Kriminalität diskutierte. In der Lausitzer Rundschau wies der Dezernent für Ordnung und Sicherheit, Wolfgang Bialas, den Vorwurf der Westpresse, Cottbus sei eine „braune Stadt“, entschieden zurück, man werde den eingeschlagenen Weg mit Streetwork und Schulsozialarbeit „konsequent fortsetzen“.
Foto links:
Großgerätetransport auf Schienen bei Ressen im Sommer 1994. Wegen dieses optisch eindrucksvollen Ereignisses verteilte die Laubag eine „Zeittafel mit den Hinderniskreuzungen“. Bei ihrer Umsetzung vom stillgelegten Tagebau Klettwitz-Nord in den Tagebau Welzow-Süd mussten die Bagger 219 Hindernisse überwinden, zuvor waren Verhandlungen mit 380 Eigentümern von Flurgrundstücken notwendig. Die Hindernisse waren im Einzelnen: zwei 380-kV-Freileitungen der Veag, acht 110-kV-Freileitungen der Essag, sechsundzwanzig 0,4- bis 20-kV-Freileitungen der Essag, zwanzig 0,4- bis 20-kV-Freileitungen der Laubag, sieben Gasleitungen der Spreegas AG, siebzehn Trinkwasserleitungen, drei Gleisanlagen der Deutschen Bahn AG, sieben Gleisanlagen des Zentralen Eisenbahnbetriebes Schwerpunkt Bahnhof Greifenhain, die Bundesautobahn A 13 bei Freienhufen, zwei Bundesstraßen, 26 Straßen und vierzehn Wasserläufe.
Foto links:
Der Tagebau Cottbus-Nord bei Dissenchen – Herbst 1997. In diesem Ort befindet sich der Trainingsplatz des FC Energie Cottbus. Aus dem Tagebau soll einmal – beginnend mit seiner baldigen Flutung – das Naherholungs- und Ausflugsgebiet „Cottbuser Ostsee“ werden. Die Internationale Bauausstellung (IBA), die zuletzt an der Umgestaltung des Ruhrgebiets mitbeteiligt war, hat den See inklusive der kostbaren Uferimmobilien bereits auf ihrer Karte des neuen „Fürst-Pückler-Landes – 2000 bis 2010“ eingezeichnet. Die Hannoveraner „Expo 2000“ nahm es daraufhin in ihre Liste der „Korrespondenzregionen“ auf. Die Umwandlung der Braunkohlefolgelandschaften in eine Lausitzer Seenplatte mit Bauerwartungsland am Ufer ist der vorläufig letzte Kapitalisierungsversuch dieser Region – als Großprojekt. Es kostet 1,2 Milliarden jährlich und geschieht vornehmlich auf Basis von ABM bzw. SAM (Strukturanpassungsmaßnahmen) – mit den arbeitslos gewordenen und noch werdenden Bergarbeitern. „Der Umbruch, der dort in wenigen Jahren passierte, für den hat man im Ruhrgebiet über vierzig Jahre gebraucht“, gab der brandenburgische Umweltminister Matthias Platzeck 1996 zu bedenken. Die Expo spricht von „Verwandlung“.
Foto oben:
Azubis aus den Werkstätten des Tagebaus Jänschwalde warten auf den Bus, Juni 1997. Die Haltestelle befindet sich auf dem Parkplatz vor der Betriebsstätte des Tagebaus Jänschwalde. Heute bildet die Laubag dort keine Lehrlinge mehr aus. Es gibt nun stattdessen den zentralen Ausbildungsstandort Schwarze Pumpe. Auf den einzelnen Betriebsstätten absolvieren die Lehrlinge nur noch ihre Praktika, dazu kommen Einsätze vor Ort im Tagebau, zum Beispiel auf den Förderbrücken.
Im Ausbildungsjahr 2001, das im September 1999 begann, bildet die Laubag noch 514 Jugendliche aus, wobei jedoch 124 Azubis nicht bei ihr angestellt sind, sondern aus dem „Ausbildungsring Cottbus“ kommen. Die Lehrlinge qualifizieren sich in den Bereichen Energieelektroniker, in kaufmännischen Berufen und in dem neuen Beruf Mechantroniker, mit dem die klassische Trennung zwischen der Metalltechnik und der Elektrotechnik aufgehoben wird.
„Mit Rücksicht auf die angespannte Lehrstellensituation bildet die Laubag insgesamt weiterhin deutlich über den eigenen Bedarf hinaus aus“, teilt das Unternehmen in einer Pressemitteilung 1999 mit.
Foto unten:
Ein Bagger sucht nach Findlingen in den Abraumbodenschichten des Tagebaus Welzow, Juli 1997. Übersehene Findlinge könnten eine Havarie bei den nachfolgenden Schaufelbaggern bewirken. Die geborgenen Findlinge werden überall in der Lausitz für Gedenkstätten und Straßeneinfassungen verwendet.
Auch die Künstler der „Europa-Biennale“, die 1995 auf der halb verlassenen Halbinsel Pritzen und drum herum stattfand, bedienten sich bei ihrer Land-Art gern der Findlinge. Gegenüber der gigantischen Kulturarbeit, die von der Braunkohlegroßtechnik im Tagebau Greifenhain in all den Jahren davor geleistet wurde, wirkten jedoch ihre zumeist die Naturelemente und das Weibliche verherrlichenden Arrangements eher albern.
Der internationalen Künstlerschar hatte man zur Assistenz jede Menge arbeitslose Bergarbeiter – per Zeitvertrag – beigeordnet. Auch das kam nicht gut an. Der bulgarische Landartist Ognjan Atanasov beklagte sich in der Lausitzer Rundschau über die mangelnde Motivation seiner Helfer: „Sie denken wegen der bevorstehenden Entlassungen nicht weit, sehen nicht die Zukunft. Ihnen fällt es schwer, den Sinn ihrer Arbeit hier zu begreifen.“
Der Westberliner Regisseur einer Oper, die am Grubenrand bei Altdöbern – vis à vis von Pritzen – aufgeführt wurde, musste sich von einem arbeitslosen Bergarbeiter sagen lassen: „Ihr tanzt auf unserer Leiche!“ Immerhin kam bei der Aufführung noch einmal die Großtechnik stundenweise zum Einsatz, ebenso ein Kleinbagger, der eine Sängerin bekämpfte oder umgekehrt – „zwischen männern und frauen und maschinen / entsteht alles“, sang Gundermann 1988. Die Altdöberner Jugend durfte dabei – auf ABM-Basis – eine altsorbische Ernteprozession abgeben. Und sogar eine ganze Schafherde musste mitspielen, umrundet von schweren LKWs. Die übereinander gestapelten Findlinge nicht zu vergessen, von denen aus die Sängerin ihre Schlussarie schmetterte.
Aber nicht nur die Kultur boomt. Bereits der DDR-Landschaftsplaner Otto Rindt schwärmte: Was Pückler, „einer der ersten Erdbeweger seiner Zeit“, noch teuer bezahlen musste (der Fürst ging mit seinen Parkprojekten mehrmals pleite), bekommen wir heute dank der riesigen Bagger als „Gratisgabe“. Dazu ist die Bodenbewegung heute noch „um ein Vielfaches“ gesteigert. Bereits in den Sechzigerjahren begann die Umwandlung der durchgesiebten Landschaft in Naherholungs- und Naturschutzgebiete: mit dem Spremberger Spree-Stausee und dem Senftenberger See.
Mit dem neuen „Fürst-Pückler-Land“ der IBA- und Expoplaner werden noch einmal 6.000 Hektar Wasserflächen und 27.500 Hektar Festland „neu geschaffen“. Dazwischen schlängelt sich dann ein nach Pückler benannter „Weg“, der etliche touristische Hotspots miteinander verbindet. Dazu gehört die kurzerhand zum Expo-Symbol erklärte „größte Förderbrücke der Welt“: F 60 am Bergheider See. Außerdem die frisch renovierte Bergarbeiter-Gartenstadt „Marga“ bei Senftenberg sowie die rekonstruierte, halb weggebaggerte Gartenstadt „Ilse“. Im riesigen Restloch des Tagebaus Meuro entsteht ein „Eurodrom“: eine fünf Kilometer lange Formel-Eins-Rennstrecke inklusive Freizeitpark – für 310 Millionen Mark.
Dem Cottbuser Regionalplaner Alois Seewald gilt der „Lausitz-Ring“ gar als Herz des zukünftigen „Fürst-Pückler-Landes“. Sein Westberliner Implanteur, der Wirtschaftsanwalt Werner Martin, verspricht: Es werde einen „Menschenstrom“ in die Lausitz pumpen, „der geradezu alles Vorstellbare sprengt“. Ein CSU-Politiker, Alois Huber, nannte die von Stolpe besonders geförderte Rennstrecke dagegen eine „unerträgliche Verschwendung“ von Steuermitteln.
Mit dem „Eurodrom“ sollen einmal 1.700 neue Arbeitsplätze entstehen. Aber auch an eher intellektuellen Vergnügungen interessierte Planer können im Fürst-Pückler-Land „visionieren“. So beispielsweise der IBA-Leiter Professor Rolf Kuhn: „Es ist durchaus realistisch, davon zu träumen, mit einem Hausboot von Berlin über den Spreewald in die industrielle Seenplatte der Lausitz zu fahren, und dort entweder ruhig zu entspannen und ein Auto- oder ein Bootsrennen zu verfolgen, zeitweilig in einer modernen Wasserpyramide wohnend.“
Fürst Pückler hatte sich bereits eine Pyramide in seinem Park bei Cottbus als letzte Ruhestätte errichten lassen. Übrigens schon damals quasi auf ABM-Basis. Auch die vielen neuen „Aussichtspunkte“ der Laubag, die einen Blick auf ihre aktiven Tagebaue erlauben, sind pyramidal angelegt. Kurzum: Die Lausitz braucht bald den Vergleich mit Ägypten nicht mehr zu scheuen.
Foto oben:
Auf dem zugefrorenen Dorfweiher in Horno, Dezember 1992. Manchmal scheint es, als würde nur an diesem auf einer Endmoräne gelegenen Ort, der Geist der Dreißigerjahre noch nicht greifen: ein Widerstandsnest par excellence! Dafür besitzt Horno seit 1995 sogar einen „Fuller-Dom“ – von einem dänischen Kommunikationswissenschaftler als „Dorfgemeinschaftsraum“ errichtet.
Die Pastorin von Horno, Dagmar Wellenbrink, kommt von der Westberliner Gedächtniskirche. Sie sagt: „Ich bin auch theologisch voll auf Seiten der Hornoer!“ Der Ost-Bürgerinitiativler Klaus Schlesinger meint dagegen: „Das Kapital hat seine Widersacher gleich mitgebracht!“ Frau Wellenbrink, vom Bleibewillen der Hornoer begeistert (“die Geschlossenheit liegt bei 95 Prozent!“), sieht das „Tragische“ jedoch ganz woanders: „Vielleicht ist das tolle Dorf ohne diese kollektive Gefährdung gar nicht zu haben?“
Im Herbst 1999 bekam Horno im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ einen Preis. Wieder gab es einen Presserummel. Er könnte diesmal zum Erfolg führen, obwohl die Bagger der Laubag bereits am Hornoer Berg kratzen. Denn inzwischen hat sich die ökonomische Situation für die Braunkohle derart verändert, dass mit einer Reduzierung der Fördermengen – im Westen (in Garzweiler II) wie im Osten (in der Lausitz) – zu rechnen ist.
Obwohl die RWE-Rheinbraun sich von der Laubag trennen muss, beteiligt sich der Energiekonzern an immer neuen Braunkohle-Unternehmen – vor allem in Ungarn, Polen und Tschechien. In den USA stockte er darüber hinaus gerade seine Beteiligung am Kohlekonzern Consol auf 96 Prozent auf. Die RWE-Rheinbraun ist der größte Braunkohleproduzent der Welt. Deutschland liegt bei der Braunkohlenutzung weltweit an erster Stelle: mit 200 Millionen Tonnen jährlich, gefolgt von Russland (92 Millionen) und den USA (79 Millionen). Immer noch werden hier bis zu zwei Drittel des Stroms aus der Braunkohle gewonnen.
Beim ostdeutschen Stromproduzenten Veag mehrheitlich im Besitz von RWE, PreussenElektra und Bayernwerk, summieren sich indes die Verluste „aus der Differenz zwischen Produktionskosten und sinkenden Marktpreisen“ auf einen Betrag „in dreistelliger Millionenhöhe“. Im November 1999 senkte die Veag ihre Strompreise zum zweiten Mal um fünfzehn Prozent. Bei weiter sinkenden Preisen kann es passieren, dass auch die Laubag, wem immer sie demnächst gehört, das „Bauernopfer“ Horno zugunsten der Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Region nicht mehr erzwingen will oder kann.
Schon jetzt entschied das Landesverfassungsgericht, die geplante Teilabbaggerung der Nachbargemeinde Grießen sei nicht rechtens, weil sie deren „Zukunftsplanung“ verhindere. Damit ist der Braunkohleplan für den Tagebau Jänschwalde in Teilen verfassungswidrig. Den aktuellen Stand des Kampfes um Horno erfährt man u.a. auf der Webseite www.braunkohle.org.
Der sorbische Schriftsteller Jurij Koch und die Hornoer Pastorin machten neulich auf den Widersinn aufmerksam, dass es bei der Wegbaggerung von Horno gar nicht um die Braunkohle darunter geht – „das ist nur eine dünne Schicht“ -, sondern um den Lehm der Endmoräne, mit dem die Laubag das Restloch billig verfüllen will. Sie müsste die etwa 50 Mio Kubikmeter sonst teuer im Ausland kaufen.
Der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe hatte, noch halb im Wende- und Demokratietaumel, den Hornoern einst versichert: „Wenn ihr nicht wegwollt, dann müsst ihr auch nicht!“ Einige Jahre später erklärte er: „Horno muss fallen!“ Dazu schickte er seine Arbeitsministerin Regine Hildebrandt ins Dorf – und in die Kirche der Pastorin Wellenbrink. „Ja, seid ihr denn ein Kindergarten?!“, schalt Frau Hildebrandt die Anwesenden. „Horno oder Arbeitsplätze – so verlogen kam das von der rüber“, erinnert sich die Pastorin, die der Regierung vorwirft, „nicht politisch verantwortlich mit dem Problem umzugehen und sich von der Wirtschaft unter Druck setzen zu lassen“. Weil dann auch noch das brandenburgische Verfassungsgericht gegen Horno argumentierte – schützenswert sei das sorbische Siedlungsgebiet an sich, nicht die einzelne Gemeinde -, strengte die Hornoer Gemeinde eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an. die jedoch im Juni 2000 abgewiesen wurde. „Die Laubag hat uns immer nur verschaukelt“, klagt die Pastorin, erwähnt aber auch, dass manche meinen: „Die Hornoer sind schlau, die treiben nur die Grundstückspreise hoch.“ Im Falle einer Niederlage würden die meisten wohl nach Forst ziehen. Horno hat noch 350 Einwohner, vor zwei Jahren feierten sie das 650-jährige Bestehen ihrer sorbischen Siedlung. In der Festbroschüre schreibt der nur noch ehrenamtlich tätige Bürgermeister Bernd Siegert: „Unser Rezept ist klar: Zusammenhalt und Solidarität.“ Dann „wird der Kohlebagger vor dem Hornoer Berg stehenbleiben“. Weil das Verwaltungsgericht Cottbus der Laubag Anfang Juli verbot, ein Grundstück bei Horno in Anspruch zu nehmen, kam der Bagger jetzt tatsächlich vor dem Dorf zum Stehen.
Foto unten:
Juni 1997. Ein Kameramann von „Lausitz Television“ (LTV) filmt die Abraumförderbrücke im Tagebau Jänschwalde anlässlich ihrer Komplexinstandsetzung. Während es die großen Medienkonzerne in Westdeutschland weitgehend verhindern konnten, dass kleine lokale Kabelfernsehsender ihnen Konkurrenz machten, vergab im Osten allein die Medienanstalt in Brandenburg 27 Lizenzen. Die Region Südbrandenburg gehört mit vierzehn Kanälen statistisch zu den am besten versorgten Gebieten Europas. Und wenn hier von Versorgung die Rede ist, dann ist das auch so gemeint.
Als die konservativen Neuerer uns einst das Privatfernsehen schmackhaft machen wollten, sprachen sie von Sendern und Empfängern, die im Endeffekt eins sein würden. Schamlose Lügen. Im Lausitzer Braunkohlerevier kommt man dieser „Vision“ jedoch tatsächlich täglich näher. So kooperiert der Spremberger „Kanal 12“ eng mit den fünf Besitzern eines Macintosh-Computers in der Stadt, und die drei Spremberger Besitzer einer Videokamera „kennt man sowieso“. Immer öfter bringen sie eigene Beiträge vorbei.
Das Arbeitsamt annonciert seine offenen Stellen auf dem Videotext des Senders, die Wohnungsbaugesellschaft ihre leer stehenden Wohnungen und die Stadtverkehrsgesellschaft ihre Busfahrpläne. Seitdem die Stadtverordnetenversammlungen live übertragen werden, „hat auch das Interesse an Politik in der Stadt stark zugenommen. Wir haben eine Zuschauerquote von über neunzig Prozent.“
Der Geschäftsführer von „RTS Senftenberg“ ergänzt: „Die zu einem Westkonzern gehörende Lausitzer Rundschau, die hier quasi das Monopol besaß, hatte Aboeinbrüche ohne Ende.“ Die Lokalsender erreichen jeweils zwischen zehn- und sechzigtausend Haushalte. Der Cottbuser LTV ist mit elf Mitarbeitern und zwei Lehrlingen der größte. Sie versuchen alle, sich durch Werbung zu finanzieren – und haben daneben Sendeideen noch und nöcher. Vor allem aber ist ihr Denken, jenseits aller Parteienorientierungen, basisdemokratisch im besten Sinne und steht jeder Orientierung an Einschaltquoten oder Auflagenhöhe entgegen.
Der Senftenberger Sendeleiter Andreas Groebe sagt es so: „Demnächst kommt noch ein kleiner Ort mehr bei uns hier dazu, aber das ist gar nicht so gut. Mit zu vielen Gemeinden drum herum verzettelt man sich letztlich nur und vernachlässigt einzelne. Schon jetzt gibt es das Problem Welzow: 25 Kilometer entfernt und schlecht zu versorgen.“
Als einer der Geschäftsführer von LTV auf einer Tagung der südbrandenburgischen Privatsender mit seinen guten Kontakten zum ORB und zur brandenburgischen Landesregierung prahlte, meinte einer der anderen Geschäftsführer lapidar: „Der hat das Prinzip des Lokalfernsehens noch nicht begriffen.“
Foto oben:
Als der Lausitzer Baggerfahrer Gundermann noch mit seiner „Brigade Feuerstein“ durch die Reviere tourte, gaben sie auch eine deutsche Version des Stones-Songs „Honky Tonk Woman“ zum Besten. Darin hieß es: „jetzt fügt sie sich still in jede pflicht / wenn ich ihr sage, was gott mit ihr noch alles geplant hat / lacht sie böse und sie glaubt mir nicht / das sind die nicht mehr so jungen / kleinen blassen frauen / die finden kein glück“.
Das Foto zeigt Ilona Kupstat und Elvira Richter im Versorgungszelt für die Brigaden, die im Sommer 1997 an der Komplexinstandsetzung der Abraumförderbrücke im Tagebau Jänschwalde beteiligt waren. Angestellt sind die beiden Frauen als Billiglohnarbeitskräfte beim Dienstleistungsunternehmen Dussmann, das sich nach der Wende in Berlin niederließ – und dort vor allem durch sein „Kulturkaufhaus“ berühmt-berüchtigt wurde.
Der Heidelberger Unternehmer Peter Dussmann tritt in der altneuen Hauptstadt immer gerne in Talkshows auf, wo er sich der vielen von ihm neu geschaffenen Arbeitsplätze rühmen darf. Er begann mit einer kleinen Putzkolonne. 1998 beschäftigte er bereits 37.000 Deklassierte in siebzehn Ländern. Der Unternehmer residiert abwechselnd in einem kleinen Schloss bei Berlin und in einer Villa bei Hollywood. Außerdem besitzt er noch ein Firmen-“Trainingscenter“ in Zeuthen.
Die meisten seiner Mitarbeiter sind „pauschal“ bzw. „geringfügig“ Beschäftigte. In einem Flugblatt für bei Dussmann um Arbeit Nachsuchende heißt es: „Wichtig: unser Auftritt nach außen. Er ist dezent und intelligent“. Demgegenüber meint man in der Düsseldorfer Zentrale der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen über den Dienstleistungs-Diskreditierer Dussmann: „Der ist ganz einfach schrecklich und dumm!“
Foto unten links:
Mit der Reduzierung der Tagebaubetriebe entstanden nach der Wende riesige Schrottplätze. Bald danach entwickelten sich aus etlichen ausgegliederten Bereichen des ehemaligen Braunkohlekombinats eigenständige Aufbereitungsfirmen. In Greifenhain wurde 1993 die „Lausitzer Metallverwertungs- und Recyclings-GmbH“ (LMR) mit Hauptsitz in Bautzen gegründet. Sie kaufte den Schrott von der für die Rekultivierung zuständigen LMBV. Abnehmer des von ihr sortierten Schrotts waren und sind unter anderen die Stahlwerke in Hennigsdorf, Riesa, Eisenhüttenstadt und Brandenburg.
Die Existenz der LMR ist von der Entwicklung des Bergbaus und der Realisierung der Sanierungsarbeiten abhängig. Man geht davon aus, noch mindestens drei Jahre genug zu tun zu haben. Monatlich werden am LMR-Standort im Tagebau Greifenhain 23.000 Tonnen Schrott aufbereitet. „Die Einkaufspreise liegen zwischen null und hundert Mark pro Tonne. Gleich nach der Wende bekamen wir sogar noch was dafür, dass wir ihn abholten“, erzählt der Geschäftsführer Dieter Hedt, er war früher Hauptingenieur im Tagebau Greifenhain.
Das Foto entsand 1998 und zeigt Viktor Gajser im Führerstand einer abzuschrottenden Lokomotive auf dem LMR-Standort im Tagebau Greifenhain. Die E-Lok vom Typ „Krokodil“ wiegt hundert Tonnen. Dutzende wurden von der Verladestelle Pritzen und anderen bergbaulichen Stellen an die Verschrottungsstelle gefahren. Die LMR beschäftigt dreihundert Mitarbeiter, davon fünfzig in Greifenhain. Viktor Gajser zerlegt die „Krokodile“ mit dem Schweißgerät. Während der Wende hatten die Lokführer ihren Stand zunächst mit Dutzenden von Pinupfotos verschönert: „Da macht das Rangieren doch gleich viel mehr Spaß!“, wie einer sich ausdrückte. Jetzt sind „die Bildchen“ längst verblasst.
Viktor Gajser wohnt mit einem Kollegen – auch er ein Russlanddeutscher – im Spätaussiedlerheim in Altdöbern. Die LMR stellte sie als Schweißer mit einem Lohnkostenzuschuss (LKZ) des Arbeitsamtes ein. Mitunter waren es bis zu sechs „Russen“, die man in Greifenhain auf diese Weise beschäftigte.
1998, als das Foto entstand, arbeiteten nur noch Viktor Gajser und sein Kollege auf dem Gelände, auf dem noch etliche E-Loks herumstanden. Wie sie ihnen im strömenden Regen mit ihren Schweißgeräten zu Leibe rückten, das hatte etwas Ergreifendes. Nun lief aber auch ihr Arbeitsvertrag aus. LMR-Geschäftsführer Hedt meint: „Die ganzen Sanierungsarbeiten – das ist eine Notlösung: kein Ersatz für die Industrie. Für die Leute hier ist das nichts!“
Foto unten rechts:
Rainer Bossack in der Gubener Hutfabrik, Herbst 1999. Der 48-Jährige wurde nach dreißig Jahren 1998 als fester Mitarbeiter entlassen, bis zum Dezember 1999 war er nur noch vier Tage im Monat in der Hutfabrik tätig – auf so genannter 260-Mark-Basis.
Die Herstellung der Gubener Hüte – einst „weltbekannt für ihre Güte“, wie es hieß – geschieht in sechzig bis achtzig Arbeitsschritten. In der Zieherei, wo Rainer Bossack arbeitet, werden die Stumpen heiß gedämpft, damit der Filz weich und geschmeidig wird, und dann auf die Hutform gebracht – „gezogen“. Die Hutfabrik wurde nach einer missglückten Privatisierung von der Stadt übernommen – und beschäftigte 1997 noch 62 Leute.
Nach einer spektakulären Rettungsaktion, bei der die Bevölkerung um Spenden für den Erhalt der „ältesten Hutfabrik Deutschlands, dem Identifikationspunkt der Stadt“, gebeten wurde, musste der Geschäftsführer wenig später trotzdem Konkurs anmelden. Nun gibt es die GmbH & Co KG „Neue Gubener Hüte“, mit nur noch drei Mitarbeitern – in Verwaltung und Vertrieb. Die „Verwandlung“ führte jedoch dazu, dass im Gebäude der Hutfabrik jetzt das „Technische Hutmuseum“ (als Teil der „Kulturlandschaft Brandenburg“) untergebracht ist. Die Hutfabrik befindet sich im Zentrum der deutschen Stadthälfte, demnächst will die Stadtverwaltung dort einziehen. Die nicht unter Denkmalschutz stehenden Gebäude werden abgerissen.
Zwar ist die ökonomische Situation Gubens verheerend, während das polnische Gubin – auf der anderen Neiße-Seite – prosperiert. Aber dafür arbeiten die beiden Städte politisch eng zusammen. Wegen dieser Vorbildlichkeit wurde Guben jetzt zur Expo-Stadt ernannt. Die IBA-Pläne sehen unter anderem vor, die kleine Neiße-Insel – zwischen Guben und Gubin – zu einem gläsernen Kultur- und Begegnungszentrum umzugestalten.
Gleichzeitig wird der Fluss jedoch auch zügig zur „am massivsten gesicherten Grenze der Welt“ ausgebaut, an der Tag und Nacht Alarmstufe Rot gilt. Den Gubener Grenzorganen sind allein in Gubin vier Banden bekannt, die bedarfsweise mit Menschen, Drogen, Waffen oder Tomaten schmuggeln, wie die Frankfurter Rundschau berichtete.
Unwissentlich werden die Gubener Taxifahrer immer wieder zu Helfershelfern der Menschenschmuggler – indem sie Fahrgäste auflesen, die sich später als Illegale erweisen. Damit machen sich die Taxifahrer strafbar, einige von ihnen sitzen bereits im Gefängnis. Die Gubener Taxifahrer nehmen deswegen gar keine ausländisch aussehenden Fahrgäste mehr auf, selbst wenn diese in Not sind. „Die Fluchthilfegesetze sind schärfer als zu DDR-Zeiten, nur dass sie jetzt in umgekehrter Richtung wirken sollen“, meint einer der Taxifahrer. Immer öfter verfolgen auch die Gubener Rechtsradikalen „Ausländer“ und „Asylanten“. Über achttausend Einwohner sind seit der Wende aus Guben weggezogen. „Davon die Hälfte nach Westdeutschland, um neue Arbeit zu finden. Die Arbeitslosigkeit beträgt hier 28 Prozent“, so die offizielle Auskunft.
Letzte Meldung: Die Gubener Hutproduktion ist nun endgültig ausgelaufen. Einen Neuanfang an einem anderen Standort und mit weniger Mitarbeitern wird es nicht geben, erklärte die Geschäftsführerin Veronika Fuchs. Den letzten verbliebenen Mitarbeitern hat sie die Wahrheit noch nicht einmal gesagt – „die ahnen es bisher nur“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen