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180.000 Kilometer Fahr-Kunst für die EXPO

■ Peter Baumgardt, Leiter des Kulturprogramms des deutschen Pavillons, tourt werbend durch die Republik. Im Gepäck hat er 600 Belege dafür, dass das EXPO-Kulturprogramm einzigartig ist. Auch Bremen präsentiert sich mit einem eigenen Angebot

Peter Baumgardt höchstpersönlich bat die Bremer Medien ins Theatro. Als Leiter des Kulturprogramms des deutschen EXPO-Pavillons darf der quirlige Mann immerhin 22 Millionen Mark (10/Bund, 12/Länder) verjubeln. Er lud ein zu Shrimps und Käse, um für die 600 Veranstaltungen zu werben, die parallel zu Tom Strombergs supranationalem Kulturprogramm und dem üppigen Künsten der Stadt (Sprengel-Museum, Festival Tanztheater, Herrenhausener Tage...) ihr Publikum finden wollen. Es kamen der Weser-Kurier, die taz und Schluss – wohl symptomatisch für die Vermittlungsprobleme des größten Gemischtwarenladens aller Zeiten. Übermorgen ist Baumgardt in Berlin, dann in Halle und Magdeburg. Schon seit EXPO-Beginn tourt er durch die deutschen Lande, seit vier Wochen missioniert er fast täglich.

Ein Feuerwehr-Noteinsatz? „Nein, wir fingen an mit einer Auslastung von 70 Prozent und sind jetzt über 80“, meint Baumgardt, wirkt zufrieden – und man glaubt's ihm sogar. Unzufrieden ist er lediglich mit dem Disney-Land-Image. Für ihn gleicht die EXPO eher einer Diamantenmine, mit ziemlich viel Schotter und dazwischen jede Menge schillernder Edelsteine. Nur finden muss man sie. „In den Köpfen der Leute hat sich nicht viel mehr als Steins Faustinszenierung eingenistet“. Und dabei bietet der deutsche Pavillon ein einzigartiges Kulturprogramm. Noch nie wurde auf einer Weltausstellung der deutsche Pavillon von morgends bis in die Nacht bespielt. Ab 31. Juli gibt es eine Literaturwoche, von Michael Krüger kuratiert, der mit der Literaturzeitung „Akzente“ seit den 80ern die Debatten prägte und Lektor vom Hanser-Verlag ist. Einige Autoren: Herta Müller, Thomas Kapielski, Marlene Streeruwitz, daneben jede Menge Podiumsdiskussionen oder Dichterlesungen. Ab 14. August ist das Lied eine Woche dran.

Tja, und dann gibt es die Länderwochen, jedes Bundesland eine Woche. Bremen ist das Schlusslicht „oder der Höhepunkt“, sagt Baumgardt. Termin 23.-29. Oktober. Bei den meisten Bundesländern durfte Baumgardt nicht nur die Abende gestalten, sondern auch das Tagesprogramm. Nur sechs zogen es vor, Werbeagenturen vor Ort zu beauftragen, darunter Bremen, wo die Verantwortung in der Hand der Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) liegt. Entsprechend liest sich das Programm als Mischung aus Marketingmaßnahme und nicht allzu kostspieligem Mainstream: „Bremen, die neue Musicalstadt“ (Jeckyll & Hyde, Lale, Träume), Bremer Chöre (Maritime Folklore, Barber-Shop-Musik, Brahms Zigeunerlieder), Bremen goes Classic (ich kann „Classic“ mit Cc nicht mehr sehen), Bremen goes Jazz (Romy Camerun, Ed Kröger Quartett, Latin Jazz, Calypso). „Wir wollten einen auf Unterhaltung orientierten Querschnitt des Bremer Kulturlebens“, sagt Dirk Schröder von der HVG. In der Tat ist das Tagespublikum ein Laufpublikum. Niemand wird sich zu fünfstündigen Videoperformances niederlassen, während draußen der Affe tobt. Fragen aber darf man ja mal – auch unter marketingtechnischen Gesichtspunkten – ob ein Programm klug ist, das von der Tatsache auszugehen scheint, dass alle EXPO-Besucher 50 Jahre alt sind und von Beruf Versicherungskaufleute. Soll auch sowas wie Rockmusik oder Junges Theater geben in Bremen. Zugegeben, auch zwei, drei andere Länder halten sich von Baumgardts Avantgarde-Anspruch fern. Ganz süß: Schleswig-Hol-stein präsentiert unter dem Tagesmotto „High-Tech-Standort“ ein Oldie-Kabarett aus Bargteheide.

Sachsen dagegen – auch von einer Agentur angeleitet – setzt schwerpunktmäßig eher auf seine freien Performance- und Theatergruppen – allerdings nicht ohne eine gewisse Verlogenheit, da diese auf der EXPO stolz vorgeführten Gruppen zuhause oft null Geld bekommen, wie Baumgardt erzählt.NRW legt mit Videotanz (?), Beuyshommage, Transrapidpräsentation, Götz Alsmann etc. eine akzeptable Mischung aus High, Low und Show hin. Das Berliner Programm (Indiepop, Breakdance, Performances, Tanztheater...) nötigt Baumgardt Jubelschreie ab. Bittet man ihn um eine Einschätzung des Bremer Programms, entwickelt er ein merkwürdiges Interesse für die Shrimps-Platte, bis er nach der dritten Nachfrage meint: „Das Programm ist schon okay. Es ist eben so, wie sich Bremen repräsentiert sehen will. Allerdings wäre es schön, wenn der Schwerpunkt Neue Musik etwas deutlicher geworden wäre.“ Deutlicher? Der Kollege vom Weser-Kurier stutzt, durchpflügt mit den Augen das Programm und spöttelt: „Ah, die Wiener Kaffeehausmusik.“

Abends ist alles erste Sahne, ganz ohne Kaffeehaus. Und das umsonst. Von den 10 Millionen Mark für's Abendprogramm hat man sich 80 Auftragsarbeiten geleistet, eine vom Bremer Tanzchef Urs Dietrich. Wen erreicht's? „Auf der ganzen EXPO sind bisher wenige Menschen aus dem Ausland gesichtet worden. Falls mal jemand italienisch, englisch, spanisch spricht, ist das meistens ein Mitarbeiter des entsprechenden Pavillons. Aber wer weiß, vielleicht verreisen Amerikaner und Japaner erst im Herbst. Unter den Hannoveranern aber haben wir ein Stammpublikum entwickelt, und es wächst. Da gibt es sogar einen Mann, der kommt täglich.“ Besonders das sogenannte sperrige Anspruchsprogramm füllt den bis zu 600 Gäste fassenden, 18 Millionen Mark teuren Kunstanbau oft bis auf den letzten Platz; was Baumgardt diebische Freude bereitet. „Denn Sie glauben gar nicht, mit welcher Kritik wir uns am Anfang herumschlagen mussten. Ständig hieß es: Kriegen wir damit die Bude voll“, meint er und erzählt von dem komplizierten Gesellschaftermodell der EXPO, wo jeder, Bund, Länder, Wirtschaft mitreden darf. 50 Prozent der Besucher sind sogenanntes zielorientiertes Publikum, das sein Programm bewusst wählt; das beweisen die frühzeitigen Ticketreservierungen. Andere werden durch Einführungen untertags neugierig gemacht. Nach den Aufführungen gibt's Diskussion mit den Künstlern, manchmal bis EXPO–Schluss um 24h. „In einem Umfeld wie der EXPO kann man sein Programm nicht einfach zum Fraß vorsetzen. Wir strengen uns an, zu verführen.“

Früher war Baumgardt Dramaturg am Münchner Gärtnerplatz-Theater, dann sechs Jahre Intendant in Augsburg. 1997 wurde der Münchner Theatermogul August Everding mit der Leitung des Kulturprogramms beauftragt. Nach dessen Tod übernahm sein Stellvertreter Baumgardt den Job. 180.000 Kilometer legte er mit dem PKW in zwei Jahren zurück auf der Suche nach Kunst. Was beweist, dass die EXPO eine ökologische Sauerei ist. Phasenweise verursachte ihm der Job Übelkeit, insgesamt aber liebt er dessen Turbulenzen sehr.

Die EXPO ist ein offenes Experiment. Die Schweiz fährt überraschend gut mit ihrem seltsamen Konzept, Musiker durch den Pavillon wandern zu lassen. Österreich dagegen legte eine Bauchlandung hin mit dem Versuch, seineLiteraturveranstaltungen aus dem Gelände heraus in die Stadt hineinzutragen. Bei dieser Unberechenbarkeit ist jede nachträgliche Schadenfreude daneben. Deshalb weist Baumgardt lieber auf Highlights hin:

20. 8., 11h: „Neue Dichterliebe“, ein postmodern von Stil zu Stil hüpfender Liederzyklus von Moritz Eggert nach Texten von Kroetz, Gernhardt, Kirsch... – verschiedener geht's nicht – in Rekurs auf Schumanns bekannten Zyklus.

16. 9., 20.30h: „Der Maschinist“, Kammeroper von Hans Schanderl über den Erfinder des Metronoms.

27.-29. 9., 20.30h: „Weltinnenraum“: Sänger, Musiker, Sprecher, die im Raum wandern und komische Sachen tun.

7. 10., 20.30h: Musikperformance von Bernd Franke, bei der Stücke synchron erklingen, was angeblich was mit Beuys Idee der sozialen Plastik zu tun hat. bk

Ticket-Hotline 01805-090843 mit Programm-Infos. Der Bremer Besucherring bietet EXPO-Fahrten an, u.a. am 12. 9. zu „Weill-Variationen“ mit C. Froebess, 13. 10. zum Kom(m)ödchen-Kabarett, 28. 10. zu „Every.Body“ von Urs Dietrich, Tel. 365 33 45

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