DER FAHNENEID IST EINE GEHEIME AUFFORDERUNG ZUM EIDBRUCH: Der 20. Juli als Vorbild
Es liegt eine Ironie darin, dass man die jungen Soldaten ihren Fahneneid ausgerechnet in einer Zeremonie sprechen ließ, die den Bruch eines solchen Eides feiert. Denn das war das Stauffenberg-Attentat ja: die Aufkündigung des Treuegelöbnisses gegenüber dem Staat und seinem Führer. Diese Verknüpfung von Eid und Widerstand ist eine geheime Aufforderung das Gewissen über den Eid zu stellen. Schließlich ließ gerade der Gehorsamsschwur auf Staat und Führer die Männer des 20. Juli vor ihrem Attentat auf Adolf Hitler so lange zögern. Es bedeutete für sie den Ausstieg aus einem uralten Ehrenkodex. Wenn die Bundeswehr Stauffenberg heute feiert, müsste sie konsequenterweise den Ausstieg aus der Geisteswelt, in der man Gefolgschaft schwört, mitvollziehen.
Der Eid enthält ein magisches Element. Mit ihm unterwirft man sich für den Fall seines Bruchs nicht der Strafe der Menschen, sondern der Strafe des Himmels – oder der Hölle; jedenfalls einer Macht, die in der modernen Gesellschaft keinen Raum hat. Schon Jesus war in dieser Weise modern: „Eure Rede aber sei: Ja, ja oder nein, nein – was darüber geht, ist von Übel.“ Dieser Satz ist ausdrücklich gegen das Schwören gerichtet. Seine Berechtigung zeigte sich zuletzt im Falle Helmut Kohl, der sich seinen Geldgebern verschworen hat und damit eine Bindung eingegangen ist, die jenseits des Rechts steht. Der Eid der jungen Rekruten setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Einerseits wird der Fahne Gehorsam gelobt, andererseits der Verfassung Treue geschworen. Wie nun, wenn das eine mit dem anderen kollidiert? Wer heute der militärischen Führung Gehorsam schwört, unterwirft sich der neuen Nato-Strategie, die im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen militärische Einsätze plant – mit anderen Worten: Angriffskriege. Diese aber sind laut Grundgesetz (Art. 26) ausdrücklich verfassungswidrig.
Selbst der Generalbundesanwalt, der über die Strafanzeigen zu entscheiden hatte, die während des Bombardements Serbiens gestellt wurden, hat zugegeben, dass es sich um dabei um einen Angriffskrieg handelte. Er hat sich aber in einer der einhelligen juristischen Meinung widersprechenden Sophistik damit herausgeredet, dass Angriffskriege, die in friedlicher Absicht geführt werden, nicht unter das Verbot der Verfassung fallen.
Ob die höheren Mächte, die die Einhaltung von Eiden bewachen, das mitmachen? Zwischen seinem Schwur auf die Verfassung und seinem gleichenzeitigen Gelöbnis, der militärischen Führung Gehorsam zu leisten, könnte sich der junge Soldat zerrissen fühlen. Stellt sich Justitia hinter ihrer Augenbinde auch blind – ihn kann, wie auch immer er sich entscheidet die Strafe treffen, mit der die höheren Mächte den Eidbruch verfolgen. Wurde er im Namen des 20. Juli vereidigt, darf er sich daran erinnern: Sein individuelles Gewissen ist über den Eid erhaben. SIBYLLE TÖNNIES
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