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Zwischen König und Scheich ist kein Platz

Ein Jahr nach dem Tod von König Hassan II. in Marokko will sich trotz des Reformeifers des neuen Königs Mohammed VI. kein Optimismus einstellen. Der Staat ist strukturell pleite, das Elend treibt die Menschen in die Arme der Islamisten

RABAT taz ■ „Was machen wir mit ihm?“, prangt in großen roten Lettern auf dem Titelblatt der Wochenzeitschrift Demain. Daneben ein Foto des Mannes, der die Marokkaner früher das Fürchten lehrte: Driss Basri.

25 Jahre lang war Marokkos Innenminister die starke, rechte Hand des am 23. Juli 1999 verstorbenen König Hassan II. Letzten Herbst wurde er von dessen Sohn und Nachfolger Mohammed VI. abgesetzt. Und nun diskutiert die Presse offen über die Zukunft Basris: ein Ermittlungsverfahren, das goldene Exil oder ihn einfach in Ruhe lassen?

Der junge König Mohammed VI. ließ Basri den Pass entziehen. Polizeibeamte in Zivil bewachen dezent die Umgebung seiner Villa in Suissi, einem Luxusvorort von Rabat. Und ehemalige politische Gefangene, Verschwundene und Folteropfer haben sich zum „Komitee für Wahrheit und Fairness“ zusammengeschlossen. „Wir wollen das gesamte System hinterfragen, an dem Basri beteiligt war“, sagt der Sprecher der Gruppe, Driss Benzekri, einst selbst Insasse der geheimen Verliese im Atlas-Gebirge.

Die erste Forderung der Opfer, die nach Entschädigung, wird von der Regierung bereits Fall für Fall geprüft. Der 37-jährige Sohn von Hassan II. gilt als modern. „M 6“, wie der Monarch in Anlehnung an einen französischen Jugend-TV-Kanal genannt wird, genießt den Ruf des Reformers. So verurteilen die Gerichte unter seiner Herrschaft erstmals korrupte Staatsdiener. Und kurz nach Basris Amtsenthebung durften mit dem Kommunisten Abraham Serfaty und dem Studentenführer Abdelhamin Beyuki zwei der am längsten exilierten Regimegegner in ihre Heimat zurückkehren. Auch Islamistenführer Abdessalam Yassine ist nach zehn Jahren Hausarrest wieder frei.

„Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass die Autoritäten dem Volk dienen und nicht das Volk den Autoritäten“, verkündete der junge König Mohammed VI. in seinem bisher einzigen Interview in der Time. Zwar hat der Monarch bis heute nichts am autoritären Staatsaufbau geändert, doch erstmals kann der sozialistische Regierungschef Abderrahmane Youssoufi all das ausschöpfen, was der konstitutionelle Rahmen vorsieht – wenn auch bisher mit mäßigem Erfolg.

Das ehrgeizigste Projekt der Regierung Youssoufi, der Ausbau der Rechte der Frauen, erhitzt die Gemüter. Verabschiedet werden konnte das neue Familiengesetz noch nicht. Schuld ist nicht nur der Widerstand der Islamisten und Konservativen in der Opposition, sondern auch die Vorbehalte der Traditionalisten in den Regierungsreihen gegen das Vorhaben, Polygamie und gesetzliche Vormundschaft abzuschaffen und die Frau damit rechtlich dem Mann gleichzustellen.

Die größte religiös-politische Gruppierung der Islamisten, Al Adl Wa Al Ihssane (Gerechtigkeit und Wohltätigkeit) des freigelassenen Scheichs Yassine, erfreut sich nicht nur im Kampf gegen die Modernisierung zunehmender Beliebtheit. Vor allem in den Elendsgürteln der großen Städte gewinnt sie Anhänger. 15 Prozent der Marokkaner leben in Slums, 55 Prozent sind Analphabeten. 70 Prozent der Landbevölkerung haben kein fließendes Wasser, 85 Prozent keinen Strom, 96 Prozent keine ärztliche Versorgung.

Seit unter Mohammed VI. die Repression nachlässt, vergeht kaum ein Tag ohne Streiks oder soziale Proteste. Die Regierung Youssoufi konnte bisher ihr Versprechen, der angespannten sozialen Lage Herr zu werden, nicht einlösen. Marokko ist mit knapp über 20 Milliarden Dollar im Ausland verschuldet. Alleine Schuldendienst und Verwaltung schlucken 80 Prozent des Staatshaushalts. Für eine Entwicklung des Landes ist damit kaum Geld übrig. Islamistenführer Yassine predigt eine einfache und zugleich populäre Lösung: König Mohammed VI., so forderte er kürzlich in einem offenen Brief, solle das auf 40 bis 50 Milliarden Dollar geschätzte Auslandsguthaben seines Vaters zurück ins Land bringen. Yassine sprach damit als Einziger aus, was viele Linke in Marokko nur im Stillen denken: Die Verantwortung für die katastrophale Lage des Landes liegt beim Königshaus.

Vor dem Hintergrund der sozialen Probleme drohen die Reformen zu einer Debatte für die oberen fünf Prozent der Bevölkerung zu verkommen. „Wir sind verbürgerlicht und von der Bevölkerung abgeschnitten“, beschreibt Youssoufi selbstkritisch den Zustand seiner Union der Sozialistischen Volkskräfte (USFP). Sollte es ihm nicht gelingen, bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2002 die Menschen in den Elendsgürteln der großen Städte für sich zu gewinnen, wird der Aufschwung der Islamisten kaum zu bremsen sein.

REINER WANDLER

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