: Atlantics Grand mit Vaters Sohn
■ Einst berüchtigt, heute nahezu vergessen: In Hamburgs zweitgrößte Fußball-Arena, das Bergedorfer Billtalstadion, könnten am Donnerstag mal wieder Zuschauer kommen
Die großen Zeiten der Arena liegen lange zurück. „Damals“, erinnert sich Karl-Heinz Porschke, „haben einige von uns selbst im Sommer Handschuhe angezogen.“ Damals, das war 1959, und wenn der einstige Linksaußen von Bergedorf 85 vom Billtalstadion erzählt, denkt der Zuhörer eher an eine Anlage für Skater und Inliner: „Das war ja eine Betonpiste.“
Porschke gehört zu denen, die 1958/59 bei den Elstern kickten, in jener Saison, als die heute nahezu vergessene Anlage – zumindest in Norddeutschland – berüchtigt war. Unter Heranziehung von Fürsorgeempfängern, wie es damals hieß, war bis 1950 im Herzen Bergedorfs das damals zweitgrößte Stadion Hamburgs errichtet worden. Bengalische Feuer und ein Symphonie-Orchester kündeten bei der Eröffnung von einer großen Zukunft – die allerdings auf Grand gebaut war. Von den 30.000 Steh- und 1.500 Sitzplätzen aus blickten die Zuschauer auf ein Fußballfeld nicht aus Rasen, sondern aus rauhem, rotem Grand.
1958 gelang Bergedorf 85 der Aufstieg in die Oberliga Nord, in der Rasen vorgeschrieben war. Der Verband erlaubte dem Neuling für eine Saison, seine Heimspiele auf Grand auszutragen – mit der Auflage, danach auf einen Rasenplatz umzuziehen. Dass der Bezirk sich damals entschied, das kleinere Stadion Sander Tannen und nicht das Billtalstadion zu begrünen, sorgt immer noch für leichtes Grummeln bei den Beteiligten. „Wir haben zu viele Leute mobilisiert“, glaubt Linksaußen Porschke und erzählt von 20 Bussen, die zu den Spitzenspielen durch die engen Straßen des Billtals anrückten, in dem gutbürgerliche Villen keine Seltenheit sind. „Die Bewohner haben damals gesagt: ,Rasenplatz nie, sonst haben wir hier am Sonntag 40 Busse'“, pflichtet der damalige Verteidiger Martin Heitmann ihm bei.
Insgesamt sahen rund 143.000 Zuschauer die 15 Erstliga-Heimspiele jener Saison, die Anlass genug zu lautem Jubel boten. Der FC St. Pauli und Werder Bremen verloren im Billtal, beide Punkte entführten nur Altona 93, Hannover 96 und der HSV – vor 25.000 Zuschauern. Dann wechselte 85 an die Sander Tannen, und das Billtalstadion blieb fast fußballlos zurück. Die geräumige Anlage zog fortan eher ballfreie Künste an. Mehrfach fand das Wutzrock-Festival hier statt, in den Kabinengängen hängen Fotos von einer Aufführung der Zauberflöte Mozarts.
Fußball? Nettelnburg-Allermöhe spielte Mitte der Siebziger noch eine Saison im Stadion, Este 06/70 zog nach einer Platzsperre im November 1997 für ein Spiel in die angegraute Mega-Arena um. Anwesende Zuschauer laut Sport-Mikrofon: „Keine“.
Vor zwei Jahren wurde das Bill-talstadion endlich aus seinem fußballerischen Dornröschenschlaf erweckt. Das Sportamt wies die Anlage Atlantic 97 als Heimplatz zu, einem hauptsächlich von Aussiedlern aus Russland und Kasachstan getragenen Kreisklassen-Club. Gut 50 Zuschauer verlieren sich heute zu den Spielen der untersten Liga im weiten Rund, das noch für die utopische Zahl von knapp 10.000 Besuchern zugelassen wäre.
„Wir hoffen, dass endlich einmal mehr Zuschauer kommen“, setzt Atlantic-Obmann Anatoli Geier auf das Pokalspiel gegen den Viertligisten Eimsbütteler TV am Donnerstag, das sowohl der Höhepunkt der noch jungen Atlantic-Vereinsgeschichte als auch das größte Fußballereignis der letzten Jahrzehnte im Billtalstadion ist.
„Gegen so einen Gegner zu spielen, ist auch eine Ehre für uns“, freut sich der Obmann, dessen Club für das Pokaltreffen keinen Eintritt verlangt. „Damit auch die Jugendlichen das Spiel sehen können“, erklärt Geier. Folke Havekost
Toto-Pokal, 1. Runde: Atlantic 97 – Eimsbütteler TV, Donnerstag, 18.30 Uhr, Billtalstadion, Daniel-Hinsche-Straße. Eintritt frei!
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