: Besondere Staatsgäste
Bundesaußenminister Joschka Fischer gewährt 400 ehemaligen SLA-Angehörigen Aufenthalt in Deutschland. Diese Woche kommen die ersten an
von SEVERIN WEILAND
Bei diesem Thema wird Klaus-Peter Florian ungewöhnlich wortkarg. „Wir werden den Personenkreis sicher in unserer Stadt unterbringen. Punktum“, sagt der Pressesprecher der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales knapp. Denn: „Mehr ist dazu nicht zu sagen.“ Auch die Berliner Innenverwaltung hält sich bedeckt: „Wir prüfen die Sicherheitslage.“
Der Grund für die Geheimniskrämerei der Behörden besteht aus drei Buchstaben: SLA. Diese Woche noch sollen die ersten Mitglieder und Familienangehörigen der südlibanesischen Miliz bundesdeutschen Boden betreten. Wenn sie landen, werden sie, von der Öffentlichkeit abgeschirmt, in ihre Aufnahmestätten gebracht.
Die Bundesregierung hat versprochen, rund 400 Personen, davon 30 frühere Kämpfer, hierzulande sicheren Aufenthalt zu gewähren. Die Aufnahme der SLA-Angehörigen geht auf Initiative Israels zurück. Anfang Juni hatte Außenminister Joschka Fischer bei einer Visite in Tel Aviv der Bitte um Aufnahme entsprochen. Die Ankündigung löste in der deutschen Öffentlichkeit Überraschung aus – intern aber war das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium schon vor einigen Wochen von israelischer Seite in dieser Angelegenheit kontaktiert worden. Israel war nach dem überhasteten Abzug seiner Truppen aus dem Südlibanon in eine plötzliche Notlage geraten. Die SLA, die in dem 20-jährigen Krieg an Israels Seite gekämpft hatte, flüchtete überstürzt mit den israelischen Truppen in den Süden. Viele Angehörige der Milizen fürchten nun Verfolgungen durch die radikalmuslimische Hisbollah. Manchen SLA-Kämpfer werden zudem Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
In Israel selbst sind die Milizionäre wohl auf Dauer nicht sicher. In dem kleinen Land wären sie möglicherweise ein Ziel für Anschläge arabischer Terroristen. Hinzu kommt, dass die überwiegend christlichen Milizionäre auf der Liste der erwünschten Einwanderer nicht an oberster Stelle stehen. Israel, das moralisch in der Verpflichtung steht, seinen früheren Verbündeten zu helfen, bemüht sich daher seit einigen Wochen, andere Staaten zur Aufnahme der SLA-Milizionäre und ihrer Familien zu bewegen. Bislang jedoch mit eher mäßigem Erfolg. Außer der Bundesrepublik gibt es bislang keine – jedenfalls nicht öffentlich bekannte – Verpflichtung anderer Staaten. Bei der Schweiz, die ebenfalls angefragt wurde, holte man sich eine Abfuhr. Die Berner Begründung: den SLA-Kämpfern und ihren Angehörigen drohe keine Verfolgung in Israel. Auch Kanada will keine Gäste: Größere Kontingente, so eine Sprecherin des Außenministeriums Mitte Juni, werde man nicht aufnehmen. Lediglich individuelle Gesuche wolle man prüfen. Über diskrete Kanäle wurde auch in anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien und denUSA angefragt.
Dass Fischer zusagen konnte, ist dank einer weit gefassten Bestimmung in dem seit 1990 geltenden Ausländergesetz möglich. Laut Paragraph 33 kann nämlich das Bundesministerium des Inneren „oder die von ihr bestimmte Stelle (...) einen Ausländer zum Zwecke der Aufenthaltsgewährung in das Bundesgebiet übernehmen, wenn völkerrechtliche oder humanitäre Gründe oder politische Interessen des Bundes es erfordern“. Der Passus wurde bis heute eher selten angewandt. Gelegentlich nutzte ihn auch die frühere Bundesregierung – zumeist stillschweigend, um etwa bedrohte Oppositionelle in Diktaturen schnell und unbürokratisch in Freiheit bringen zu können.
Das Hilfsangebot Deutschlands wird vom Bundesinnenministerium, das für die Koordination der Aufnahme der Libanesen zuständig ist, mit den besonderen Beziehungen zu Israel verteidigt: „Wir haben aufgrund unserer Geschichte ein besonderes Verhältnis. Wenn Israel uns daher um Hilfe bittet, dann geben wir diese Hilfe“, sagt Rainer Lingenthal, Sprecher des Innenministeriums. Zumal es sich bei der Gruppe von rund 400 Personen nur zu einem kleinen Teil um frühere Milizionäre handele. Der Großteil seien Familienangehörige, denen aus humanitären Gründen geholfen werden solle.
Kurz nach Fischers Reise wurde bereits gehandelt. Am 31. Mai wurde in einer telefonischen Schaltkonferenz zwischen den Staatssekretären des Bundesinnenministeriums und den Ländern das Thema besprochen. Mitte Juni wurde dann auf einer Runde der Staatssekretäre der Länder und des Bundes in Berlin die konkrete Umsetzung vereinbart. Wie sonst bei Flüchtlingen und Asylbewerben auch sind für die Unterbringung der Libanesen die Bundesländer, zumeist die Arbeits- und Sozialministerien, zuständig. Anhand des „Königsteiner Schlüssels“ werden die Flüchtlinge prozentual auf die Länder verteilt. Spitzenreiter ist das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 90 Personen, gefolgt von Bayern mit 56 und Baden-Württemberg mit 49. Berlin nimmt lediglich zwei Familien auf – insgesamt neun Personen. Die Familien werden vom israelischen Staat ausgewählt. Auch an den Kosten für die Unterbringung wird sich Tel Aviv beteiligen: Pro Person und pro Monat wird vom Tag der Ankunft in Deutschland ein Jahr lang 1.000 Mark gezahlt; insgesamt rund 4,8 Millionen Mark. Zunächst werden die Familien eine Aufenthaltsbefugnis bekommen – sie gilt für zwei Jahre.
Inbegriff der Kollaboration
Weil die SLA unter vielen in Deutschland lebenden Palästinensern als Inbegriff der Kollaboration mit Israel gilt, sind die deutschen Sicherheitsbehörden vorsichtig. Auch wenn, wie es intern heißt, das „Risiko als beherrschbar“ angesehen wird. Ob den SLA-Aktivisten und ihren Angehörigen durch radikale Muslime in der Bundesrepublik überhaupt Gefahr droht, ist schwer einzuschätzen. Der deutsche Ableger der Hisbollah ist hierzulande bislang öffentlich kaum aufgefallen. Die von Iran unterstützte Organisation zählte nach dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungschutz 1999 bundesweit rund 800 Mitglieder. Als Anlaufstelle haben die Behörden das „Islamische Zentrum“ im nordrhein-westfälischen Münster ausgemacht. „Die öffentlichen Aktivitäten“, heißt es in dem Bericht, „beschränken sich auf die Teilnahme von Kundgebungen.“ Zuletzt demonstrierten Anhänger der Hisbollah im Januar am traditionellen „Qods-Tag“ zusammen mit über 1.000 Muslimen in Berlin – gegen den Anspruch Israels auf Jerusalem.
Das Risiko will man so gering wie möglich halten. So wird in Nordrhein-Westfalen die Präsenz der Polizei vor dem Aufnahmelager für Flüchtlinge in Unna-Massen, wo die Libanesen zunächst leben, verstärkt werden. Nach einer Woche werden sie dann auf zehn Orte in Nordrhein-Westfalen verteilt. Allgemein soll darauf geachtet werden, dass die Libanesen nicht gerade dort untergebracht werden, wo die arabischen Gemeinden besonders stark sind. Ihre Integration wird nach Ansicht von Experten ungewöhnlich sein: Der Rückgriff auf die vorhandenen arabischen und muslimischen Vereinsstrukturen dürfte ihnen wegen ihrer Zusammenarbeit mit Israel verwehrt sein. „Man kann nur dazu raten, die Art und Form der Unterbringung nicht an die große Glocke zu hängen“, sagt der Sprecher der Ausländerbeauftragten des Bundes, Bernd Knopf.
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