Arzt muss Patienten im Stich lassen

■ Refmir Tadzic ist der einzige bosnische Allgemeinarzt in Hamburg. Jetzt soll er gehen

Wenn Refmir Tadzic geht, dann haben Bosnier und Kosovo-Flüchtlinge in Hamburg keinen Arzt mehr. Denn der 37-Jährige aus Bosnien-Herzegowina ist der einzige bosnische Allgemeinmediziner in der Hansestadt. Pro Quartal behandelt er 700 bis 800 Bosnier. Sie kommen in die Altonaer Gemeinschaftspraxis, oder Tadzic kommt zu ihnen nach Hause, auf die Flüchtlingsschiffe, in die Unterkünfte. Viele seiner Patienten sind traumatisiert, viele können kein Deutsch. Jetzt soll Tadzic gehen.

Die Ausländerbehörde hat den Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt. Begründung: Als Tadzic 1992 kam, gab er an, er wolle bleiben, „bis der Krieg endet“. Eigentlich hätte er schon 1997 ausreisen sollen, und nur „aufgrund einer humanitären Einzelfallentscheidung“ hätte er bleiben dürfen, um seine Facharztausbildung abzuschließen. Damals dachte Tadzic noch, das wäre in diesem Jahr erledigt, aber die zwei Jahre, die er in seiner Heimat schon absolviert hat, sind immer noch nicht anerkannt.

Dürfte er noch länger bleiben, so argumentiert die Ausländerbehörde, wäre das eine Ungleichbehandlung gegenüber all seinen Landsleuten, die bereits ausgereist seien. Und überhaupt sei es Wille der Innenminister und -senatoren, dass die bosnischen Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren und beim Wiederaufbau helfen.

Tadzic kann nicht in sein Dorf zurück. „Dort lebt kein Moslem mehr. Unser Haus ist zerstört, alle ansässigen Ärzte wurden während des Krieges umgebracht“, sagt er. Außerdem hat ihm das Arbeitsamt in Banja Luka bestätigt, dass es bereits 31 arbeitslose Mediziner gäbe, Ärzte also nicht gebraucht würden.

Tadzic betreut in Hamburg Menschen, die durch ihre Aufenthalte in Lagern traumatisiert sind. „Ich behandle sie sowohl allgemeinmedizinisch als auch mit psychiatrischen Gesprächen, deshalb bin ich als Geheimnisträger anzusehen.“ Der Arzt befürchtet, dass man in Bosnien mit Gewalt versuchen werde, diese Geheimnisse aus ihm herauszubekommen. Wenn er aber nicht dorthin zurück geht, woher er kommt, müsste er vielleicht ins – anonymere – Sarajevo und dort nochmals von vorn anfangen. Denn vermutlich wird man dort seine deutsche Facharztausbildung nicht anerkennen.

Mit ihm müssten seine Frau und seine zwei Kinder Deutschland verlassen. Seine Frau unterrichtet bosnische Kinder in ihrer Muttersprache, sein Sohn und seine Tochter sind in Hamburg geboren. In Bosnien hat er keine Verwandten mehr, seine Eltern leben ebenfalls in Hamburg. Seine Mutter war Deutschlehrerin.

Bis zum 19. September läuft seine Duldung, aber für Tadzic sprechen nicht nur die Fakten, sondern auch etliche Fürsprecher. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Hamburger Ärztekammer, hat sich beispielsweise an die Ausländerbehörde gewandt. In seinem Brief bittet er, Tadzics Aufenthaltsgenehmigung mindestens bis Mitte des kommenden Jahres zu verlängern, weil er dann vermutlich die Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin abgeschlossen hat.

Auch Causevic Orhan, Vorsitzender des „Vereins der Gefangenenlagerinhaftierten Bosniens und Herzegowinas“ bestätigt, dass Dr. Tadzic bei den ehemaligen Gefangenen großes Vertrauen genießt. Das sei besonders für die durchgeführten Therapien wichtig, „so dass wir keine Möglichkeit sehen, Dr. Tadzic zu ersetzen“.

„Auch der bosnische Botschafter in Berlin hat schon an die Hamburger Ausländerbehörde geschrieben, dass ich hier erforderlich bin“, sagt Tadzic. Er versteht nicht, wa-rum er ausreisen soll. „Ich käme mir feige vor, meine Patienten im Stich zu lassen.“ Sandra Wilsdorf