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Niemand ruft Allahu Akbar

Fußball in Afghanistan: Torschüsse auf braunem Grün vor kriegsgeschädigten Tribünen, deren Wände mit Einschüssen übersät sind, in einem Stadion, das sonst Hinrichtungen dient

aus Kabul JAN HELLER

Die Mannschaft von Ittihad, ganz in Rot, greift an. Der stämmige, linke Mittelfeldspieler mit der Nummer 8 bekommt den Ball und rennt auf das Tor des Teams von Isteqlal zu. Aus 30 Metern zieht er ab. Da der Ball auf dem unebenen Grund leicht hoppelt, trifft der Spieler ihn optimal von unten, und der Wind verleiht ihm zusätzlich Kraft. Als Bogenlampe landet er genau im Dreiangel des Tores. 1:0 für den Außenseiter. Auf den Rängen vereinzelt Beifall. Niemand ruft „Allahu Akbar“, wie es die Taliban angeordnet haben, die das als einzige wirklich islamische Anfeuerung betrachten.

In Kabul wird Fußball gespielt, und Zuschauer und Spieler sind bei der Sache wie überall auf der Welt, wo das runde Leder Ersatzreligion ist. Zumal in Afghanistan, wo die Taliban sonst fast alles verboten haben, was unterhält – oder die Menschen von der Konzentration auf Allah ablenkt, wie sie es sehen: Kino und Fernsehen; Musik, wenn es sich nicht um Trommelwirbel oder religiösen Sprechgesang ohne jegliche instrumentale Begleitung handelt, wie sie Radio Sharia sendet; westliche Kleidung für Männer, Damenschuhe, die mit ihren Absätzen angeblich erotisierende Klacktöne verursachen, modische Frisuren oder Barttrimmen.

Der Ball ist stark

Auch Sport, insbesondere Ballspiele, waren eine Weile untersagt, das aber war nicht aufrechtzuerhalten. Schon bald kickten wieder überall in den Städten, selbst in der Taliban-Hochburg Kandahar, Afghanen das runde Leder. Und in Kabul fanden auf der früheren Festwiese Tschaman Ende 1999 an Freitagen Matches von Freizeitfußball-Teams statt, die sich einheitliche Jerseys, sogar mit Rückennummern, selbst geschneidert hatten. Das Gebot, lange Hosen zu tragen und den Kopf zu bedecken, wurde damals noch ernst genommen.

Hosen kosten Haare

Vor kurzem schlug die berüchtigte Religionspolizei Amr bi-l-Maaruf in Kandahar bei einem Fußballspiel zwischen einer einheimischen Mannschaft und einem Gästeteam aus Chaman in Pakistan zu. Die Spieler waren in kurzen Hosen aufgelaufen, und den Gästen aus Pakistan wurden zur Strafe die Haare kurzgeschoren. Nur fünf Akteuren gelang die Flucht vor den Schergen, so dass sie ihre Normalfrisur nach Hause retten konnten. Der Gouverneur in Kandahar – dritter Mann in der Hierarchie der Taliban – entschuldigte sich hinterher bei Pakistan, angeblich wurde der verantwortliche Kommandeur gefeuert.

Auch beim Match Ittihad gegen Isteqlal in Kabul sind einige Spieler in kurzen Hosen erschienen, aber hier nimmt niemand Anstoß. Die Kleidung der beiden Teams ist eine Art westliche Fußballkluft mit islamischen Garnierungen. Im Islam, heißt es, sollen die Männer mindestens ihre Knie bedecken. Und so lugen unter den kurzen Hosen der Spieler weite weiße Hosenbeine von Patluns (traditionelle Hosen) hervor. Die Trikots tragen Rückennummern, die einer der Spieler sogar eigenhändig um seinem Namen – Tariqian, in lateinischen Lettern – ergänzt hat.

Veranstalter der Reihe von Fußballmatches ist ein reicher Geschäftsmann, der das Kabuler Stadion, in dem sonst auch Hinrichtungen und Züchtigungen stattfinden, gemietet hat. Der Rasen ist äußerst ramponiert, mehr braun als grün, die Zuschauerränge samt dreistöckiger Tribüne kriegsgeschädigt. Außer den Betonstufen gibt es nichts mehr zum Sitzen. Die Tribünenwände sind mit Einschüssen übersät, die Scheinwerfer herausgerissen. Über alles wacht ein Verantwortlicher vom Nationalen Olympischen Komitee, dessen Chef natürlich ein Mullah ist. Hinter der Tribüne prangen noch Schilder an Bürotüren, hinter denen sich allerdings nur staubige Leere verbirgt. Hunderte Bettler (fast ausnahmslos Kinder und Jugendliche) und fliegende Händler gehen im Stadion ihrem Geschäft nach. Aus Schubkarren, Tragekörben und vierrädrigen Holzkarren wird alles feilgeboten, was der afghanische Fan benötigt: Säfte im Tetra-Pack, frische Pfirsiche, getrocknete Datteln. Fanartikel gibt es nicht. Niemand hat eine Tröte dabei oder gar eine Schal oder eine Fahne in den Farben dieses oder jenes Clubs.

Die Gegner sind rar

Ausgespielt wird der Frühjahrspokal, obwohl das Frühjahr längst vorbei ist, und bis zu den Finals ist es noch eine Weile hin. Danach soll es dann eine Art Meisterschaft geben, bei der die besten Spieler für das Nationalteam ausgewählt werden. Das allerdings kaum Gegner hat, außer Pakistan vielleicht, wenn Vorfälle wie der von Kandahar künftig unterbleiben.

Aber egal, Hauptsache, es wird gespielt. Mit entsprechendem Ernst gehen die 22 Spieler zu Werke. Vor dem Anpfiff gibt es rhythmische Aufwärmübungen in Formation. Der Schiedsrichter läuft in einem westlich wirkenden Trainingsanzug auf und ist der mit Abstand Schwächste auf dem Platz. Insgesamt wird recht fair gespielt, nur der extrem holprige Boden sorgt für manchen technischen Fehler und ungewollten Zusammenprall. Eine Schar von Zuschauern lässt es sich nicht nehmen, sich direkt an der Außenlinie zu platzieren, so dass jeder Einwurf über ihre Köpfe hinweg ausgeführt werden muss und mancher Spieler, im Zweikampf gefällt, in ihre Reihe schlittert. Über die krächzende und auch für Einheimische so gut wie nicht zu verstehende Lautsprecheranlage gibt es einen Live-Kommentar, unterbrochen von ein paar Ansagen, etwa dass drei Tage später Lokalmatador Maiwand gegen das Rote Kreuz antreten wird.

Gesicht Richtung Mekka

Naht die Gebetszeit, kommt die Religionspolizei mit Pick-ups ins Stadion gerauscht und unterbricht das Spiel. Die etwa 1.500 Zuschauer und die Teams, ausschließlich Männer natürlich, lassen sich in Reihen auf dem Rasen nieder, Gesicht Richtung Mekka gerichtet – genau auf das Tor, in das ein paar Minuten vorher die Nummer 8 von Isteqlal, das am Ende doch noch 1:2 verliert, sein „gol-e shimali“ (Windtor), wie meine Begleiter es lachend nennen, erzielt hat. Zwei Tage zuvor, als Jawanan-e Maihan gegen den Kabul Klub antrat und das Stadion mit 15.000 Zuschauern gefüllt war, hatten die Taliban erhebliche Mühe, alle Anwesenden zum Gebet zu bewegen. Decken, immerhin nicht Knüppel oder Lederriemen schwingend, trieben sie die Zuschauer von den Rängen. Doch vielen gelang es, sich durch die Ausgänge zu verkrümeln und vor dem Gebet zu drücken.

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