: Blattgold fürs Schwimmbad
Die Landwirte hoffen auf Gewinn, die Initiative fürchtet den Anblick. Bist du dafür oder dagegen? So wird wohl in nächster Zeit der Gruß im Dorf lauten
aus Hohne SUSANNE FISCHER
Auf der quietschenden Karre schiebt Schäfer Jasper die Leiche des Bandmachers über die Heide. Nachdem Jasper ihn beraubt und erschlagen hat, muss er nun ewig mit seiner grausigen Last durch den Schmarloh schieben, seit bestimmt bald 200 Jahren. So erzählt man es sich rund um das menschenleere Gebiet, östlich von Celle.
Der Schmarloh: ehemals Heide, inzwischen mit einem Flickenteppich von Kartoffeln, Rüben, Mais und Sommergerste bedeckt, durchzogen von einem Gewirr von Feldwegen. Dazwischen kleine Waldstücke, einzelne Gebüsche und Bäume, alle bewacht vom Schmarloh-Jasper. Selbst Einheimische haben sich hier schon mal verirrt.
Zugegeben, ich habe Jasper noch nie gesehen oder gehört, und ich wohne direkt am Schmarloh. Im Sommer tuckern die Traktoren und die Pumpen auf den Feldern, denn der karge Boden wird regelmäßig zu trocken. Traditionell sind die Dörfer in der Heide arm; dass sie es nicht bleiben wollen, kann man ihnen schwerlich vorwerfen.
Hohne freilich, die Gemeinde, die im Schmarloh jetzt einen riesigen Windpark geplant hat – zur Zeit wäre er mit einer Nennleistung von 180 Millionen Kilowattstunden pro Jahr der leistungsstärkste in Europa –, Hohne also war in den vergangenen Jahrzehnten durchaus nicht arm – unter dem kargen Boden wurde Öl gefunden. Davon künden heute noch ein schmuckes Freibad aus den fünfziger Jahren, eine ebenso alte Tennisanlage, ein Fortbildungszentrum der Deutschen Erdöl Aktiengesellschaft (DEA) und große, neuere Bauernhäuser zwischen den Fachwerkbauten. Auch in die Jahre gekommene Nachbarschaftszwiste und Familienfehden lassen sich auf das Ölgeld und seine ungleichmäßige Verteilung zurückführen, obwohl der Segen inzwischen längst vorbei ist: Die letzte Ölpumpe wurde im vergangenen Jahr „rückgebaut“. Kaum haben sich die Hohner an die Abwesenheit der so genannten Pferdeköpfe gewöhnt, will nun auch noch die Hohner Zweigstelle der DEA mit ihren 70 Mitarbeitern nach Völkersen umziehen.
Was bleibt der Gemeinde und ihren 1.800 Einwohnern? So wenig, wie die Nachbargemeinden immer nur hatten: Landwirtschaft, ein Betonsteinwerk, handwerkliche Gewerbebetriebe. Und ein Bürgermeister, der sich damit nicht abfinden will. Erhard Thölke (SPD), gescheiterter Landtagskandidat im schwarzen Landkreis Celle, hatte, wie er selbst findet, schon viele gute Ideen für die Zukunft seines Dorfes. Leider war sein Volk bisher nicht immer dieser Meinung und hat sich gegen neue Einnahmequellen noch stets zu wehren gewusst: Ein geplanter Campingplatz gegenüber dem mit viel Eigenleistung sanierten Schwimmbad stieß auf breite Ablehnung, ebenso eine Diskothek oder ein Sportzentrum. Und auch jetzt steht zu erwarten, dass der Hohner Gruß für einige Zeit wieder „Bist du dafür oder dagegen?“ lauten wird.
Gegen Windenergie eingestellt sind natürlich die wenigsten, gegen die Größe des Projekts regt sich jedoch Widerstand: Insgesamt 46 Windräder sind derzeit auf einer Fläche von 800 Hektar geplant, davon elf so genannte Jumbos, Türme mit je drei Turbinen und vier bis fünf Megawatt Nennleistung. Vom Boden des Gittermastes bis zur Spitze des Rotorblatts messen diese 173 Meter, ihr Ausleger mit den beiden zusätzlichen Turbinen schlägt mit einer Breite von etwa 140 Meter zu Buche.
Nicht nur die Monstrosität dieser Anlagen ärgert die Anwohner, sondern auch, dass sie sich als „Versuchskaninchen“ für die Riesenräder missbraucht fühlen, die im Schmarloh ausprobiert werden sollen, aber eigentlich für den Offshore-Bereich an der fernen Küste konzipiert wurden. Die Heimatzeitung brachte eine provozierende Montage: so eine Anlage neben Celles höchstem Kirchturm – den überragt sie um hundert Meter. Bloß wird sie da nie stehen, und ob sie auf dem platten Land, direkt neben dem Naturpark Südheide, größer oder kleiner wirkt, kann niemand sagen. Auch die restlichen 35 Anlagen werden mit 130 Metern nicht gerade klein sein. Das erste Hohner Windrad, 1994 von einer privaten Eigentümergemeinschaft errichtet, misst gerade 36 Meter.
Christa Harms, Landwirtin, Lehrerin und Miteigentümerin dieses kleinen Windrads, beteiligt sich nun an der Bürgerinitiative, die den Windpark kritisch beäugt. „Ich bin nicht gegen Windenergie“, sagt sie, „aber muss es denn gleich so gigantisch sein?“ Die Folgen für die Natur, aber auch für das Kleinklima und damit für die Landwirtschaft seien doch gar nicht absehbar. Auch der Physiklehrer Andreas von Middendorff erhebt in der ersten Bürgerversammlung zum Windpark die Stimme und versichert, gegen einige Windräder hätte niemand etwas gehabt, „aber das hier wird eine Industrieanlage. Wo bleibt die Lebensqualität?“
In der Schulaula haben sich hundertsechzig Menschen versammelt, die meist von praktischen Sorgen bewegt werden: fallende Immobilienpreise, gestörter Fernsehempfang, Lärmbelästigung. Und: der Anblick! Die künftigen Betreiberfirmen, deag und Winkra, können bisher nicht einmal mit einer Fotomontage, geschweige denn einer Computersimulation dienen, obwohl das Raumordnungsverfahren bereits läuft.
Weniger Sorgen um den Anblick machen sich die sechzig Grundeigentümer, zum großen Teil Bauern, die der deag und der Winkra das Land verpachten wollen und die entsprechenden Verträge schon geschlossen haben. „Ein Vielfaches des landwirtschaftlichen Nutzertrages“ erwarten sie. Der Vorsitzende der Eigentümergemeinschaft, Christoph Düvel, kann die Frage nach dem Geld bald nicht mehr hören: „Wir haben das Blattgold für das Schwimmbad schon bestellt.“ Auch der vereinbarte Prozentsatz, der von den Nutzungsgebühren an die Gemeinde abgeführt wird, wird nicht beziffert, aber Bürgermeister Thölke rechnet mit mindestens 30.000 Mark im Jahr. Nicht viel für 1.800 Einwohner, aber besser als nichts. Auch Gewerbesteuereinnahmen sind ja zu erwarten, wenn die Anlagen erst einmal abgeschrieben sind. „Eine Gemeinde, die keinerlei touristisches Entwicklungspotenzial hat und kein größeres Gewerbe will“, so beschreibt er sein Dorf.
„Vom Öldorf zum Ökodorf“, so beschreibt er seine Vision. Thölke verspricht sich interessierte Besucher, vielleicht sogar Menschen, die sich wegen des Windparks hier ansiedeln wollen. Auf der Versammlung schlägt ihm Hohngelächter entgegen, als er das sagt. Da wird er das zweite Mal an diesem Abend sauer. Vorher hatte ein Unbekannter ihm Bestechlichkeit unterstellt und wurde mit einem „Sie können nicht von hier sein“ von Thölke zum Schweigen gebracht. Ein Hohner würde so etwas nie sagen! Natürlich sagen es einige doch, aber nur heimlich, und dann hat es auch nur jemand gehört, von jemandem, der es gehört hat.
Den Umstand, dass von den elf Hohner Gemeinderatsmitgliedern fünf entweder selbst oder durch ihre Ehegatten in der profitierenden Eigentümergemeinschaft vertreten sind, hält Thölke nicht für anrüchig: „Alle Beschlüsse zum Windpark wurden immer einstimmig gefasst.“
Was die Größe und die Lage des Windparks anbelangt, sind weder die Betreiber noch Erhard Thölke bereit, Abstriche zu machen. Die enorme Höhe braucht man, um binnenlands Windräder wirtschaftlich zu betreiben. Die Anzahl ist notwendig, um die Folgeinvestitionen, wie ein neues Umspannwerk, rentabel zu machen. Insgesamt geht es dabei um Investitionen von 250 Millionen Mark. Und der Schmarloh sei ein „relativ unsensibles Gebiet“, außerdem weit und breit die einzige Fläche, wo ein so großer Windpark untergebracht werden kann, ohne dass einzelne Räder näher als einen Kilometer an die Wohnhäuser heranrücken.
Ergänzen kann man, dass der Windpark so nahe auch nur an die kleinen Gemeindeteile Spechtshorn und Helmerkamp heranreicht, während die Mehrheit der Hohner weiter entfernt lebt. Von denen befürworten denn auch einige den Park oder sagen, es sei je eh schon alles entschieden. Dabei können im Raumordnungsverfahren alle Einsprüche geltend gemacht werden. „Nur zu sagen: das finden wir nicht gut, wird allerdings nicht genügen“, warnt der Samtgemeindedirektor Jörg Warncke schon mal süffisant seine Bürger.
In das Verfahren werden auch Gutachten zur Naturverträglichkeit eingebracht. Der Schmarloh ist schließlich ein Kranichrastgebiet, auch der äußerst seltene Schwarzstorch wurde hier schon mehrmals gesichtet.
Die Kraniche werden wohl in Zukunft einen weiten Bogen um Hohne fliegen. Über Schwarzstörche gibt es keine verlässlichen Prognosen. Und ob der Schmarloh-Jasper weiter seine Karre quietschen lässt, ist auch noch völlig offen.
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