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Wenn die Erde bebt wie einst die Steppe

In den Rathaus-Passagen am Alexanderplatz geht an diesem Wochenende das „Interzone-Festival“ weiter. Mit dabei ist die Formation „Mastodon“

von ERIKA REIMANN

Wenn in grauer Vorzeit ein Mastodon, Vorfahre der Elefanten, über die Steppen Nordamerikas stampfte, brachte seine imposante Körpermasse die Erde zum Beben. Grummelndes Donnern, Töne die das Zwerchfell zum Vibrieren bringen – damit kündigt sich auch die Formation mit dem Namen „Mastodon“ der Künstler Bastiaan Maris und Robert Rutman an. Im Rahmen des „Interzone“-Festivals in den Rathauspassagen am Alexanderplatz waren die ungewöhnlichen Klänge dieser Formation bereits Anfang Juli zu hören und vor allem auch zu spüren. Heute werden sie noch einmal erschallen.

Der gebürtige Niederländer Maaris spielt dabei ein von ihm selbst erfundenes und gebautes Instrument, den „Heater“: Sechs mehr als mannshohe Metallrohre, ähnlich einer Kanone in einer Halterung befestigt, werden dabei am unteren Ende mit Propangasbrennern „beheizt“.

Die Druckschwankungen, die durch die Flammen im Innern entstehen, bringen die gewaltigen Röhren zum vibriren und damit zum Klingen. Durch verschiedene Längen und Durchmesser entstehen dabei unterschiedliche Töne. Der Spieler des „Heaters“ kann durch die Änderung der Gasmenge zudem den Klang beeinflussen. Außer dem tiefen Klang der Basstöne ist das fauchende Geräusch des ausströmenden Propans und das leise Klicken der elektrischen Zünder wahrzunehmen.

„Mastodon steht für etwas Altes und Schweres, für die Bündelung von Urkräften, die zu Musik werden“, erklärt Maris. „Ein Zuhörer hat auch mal gesagt, dass wir den Klang der Bewegung der Planeten spielen.“ Dazu geben die getragenen Melodien des „Steel Chellos“ von Robert Rutmann der Musik einen trotz der tosenden Urgewalten zerbrechlichen Unterton.

Die Atmosphäre der leicht verfallenen Rathauspassagen und die dort ausgestellten Bilder, Plastiken und Installationen tun ein Übriges, um den Zuhörer in einer ur- oder endzeitlichen Stimmung zu versetzen.

Die Rathauspassagen sind nicht umsonst Dreh- und Angelpunkt des „Interzone“-Kunstfestivals. Zur DDR-Zeiten ein pulsierendes Einkaufszentrum stehen sie jetzt größtenteils leer und verfallen zusehends im Schatten der neuen Geschäfte rund um den Fernsehturm.

„Wir haben einen Ort gesucht, der für die bildende Kunst bisher noch nicht erschlossen war“, erläutert Bettina Hertrampf vom „Interzone“-Organisationsteam. Damit will sich die Veranstaltung in die Tradition der freien Berliner Kunstszene nach dem Fall der Mauer stellen.

In den letzten zehn Jahren zog die Stimmung der „Zwischenzeit“, die in Berlin herrschte, zahlreiche internationale Künstler an. Insgesamt 200 von ihnen soll mit der „Interzone“ ein Forum geboten werden. „Nach dem Mauerfall ist in Berlin eine Subkultur entstanden, und wir wollen mit der Interzone feststellen, was davon noch da ist und wie es sich für die Zukunft verwerten lässt“ erklärt Hertrampf den Hintergrund.

Wichtig ist dabei neben dem Berlinbezug der genreübergreifende Aspekt: Baastian Maris ist, genau wie der 69-jährige Rutman nicht nur Musiker und Instrumentenbauer, sondern ebenso bildender Künstler. Beide entschieden sich nach dem Fall der Mauer für ein Leben in der neuen alten Mitte Berlins.

Genauso haben auch die anderen Künstler, Musiker, DJs, Filmemacher ihrem Arbeitsmittelpunkt hier gewählt. Am heutigen Freitag werden Maris und Rutman zum Abschluss der „Interzone“ erneut die Urgewalten in den Rathauspassagen zum Klingen bringen und das „Mastodon“ über die Ebenen donnern lassen. Das Festival „Interzone“ endet am Sonntag.

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