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Naive Spielzeugfreude

Komponist und Kolporteur der „lost generation“: In seiner verwegenen Autobiografie „The Bad Boy of Music“ bewies sich George Antheil als brillanter Legendenschmied in eigener Sache. Zu seinem 100. Geburtstag wurde das Buch neu aufgelegt

von BJÖRN GOTTSTEIN

„Der Verlust der Poesie durchzog sein ganzes Leben“, schrieb John Cage mitleidslos und nicht wenig angewidert nach der Lektüre von George Antheils Autobiografie „The Bad Boy of Music“. Tatsächlich nahm die Geschichte des wild gewordenen amerikanischen Pianisten und Komponisten kein gutes Ende. Domestiziert, zahm und voller Respekt für die Werte der amerikanischen Gesellschaft verlebte er seine letzten Jahre in Hollywood. Von seinen behäbigen Sinfonien gingen keine Impulse mehr aus: Aus dem „Bad Boy of Music“ war ein Good Boy geworden.

Seine Autobiografie schließt apologetisch und mit langatmigen Exkursen, in denen er das romantische Ausdrucksideal rechtfertigt und die Bedeutung Beethovens herauskehrt: lauter Quatsch, den man von einem halsbrecherischen Avantgardisten der 20er-Jahre nicht hören möchte. 1945 wird auch Antheil gespürt haben, dass sein Stern kaum zu mehr als einem matten Leuchten im Stande war. „The Bad Boy of Music“ ist dem leichtherzigen Erzählstil zum Trotz der Versuch, sich ein letztes Mal in Erinnerung zu rufen und als seriöser Komponist in den Geschichtsbüchern zu behaupten.

Zehn Jahre lang gehörte der Sohn eines Schuhhändlers aus New Jersey zur umtriebigen lost generation, wie Gertrude Stein die amerikanischen Künstler nannte, die in Paris einem ungezügelten Lebensentwurf nachgingen. Erworben hatte sich Antheil dieses Privileg mit einigen Kompositionen, die zu Beginn der 20er-Jahre die Konzertsäle einigermaßen durcheinander gewirbelt hatten und die der Musikgeschichtsschreibung noch heute zu denken geben. Die Stücke hießen: „Mechanisms“, „Airplane Sonate“, „Sonate Sauvage“ oder „Ballet mécanique“.

Natürlich waren diese Stücke, wie das berühmte „Ballet mécanique“ mit seinen mechanischen Klavieren, Propellern, Sirenen und Schlagwerk, anderen zeitgenössischen Strömungen verpflichtet. Die Geräuschmaschinen der italienischen Futuristen werden ebenso Pate gestanden haben wie die moderne pseudoarchaische Rhythmizität des stile barbaro.

Aber das allein kann die unbändige Kraft dieser Musik nicht erklären. Antheil war ein Muskelpaket am Piano, das Glasplatten angeblich mit dem kleinen Finger zertrümmerte und das seinen rhythmischen Biss auch kompositorisch umzusetzen verstand. Seine Werke gleichen scharfen physiognomischen Studien: über das markante Gesicht der irischen Geigerin Olga Rudge in den Violinsonaten, über die magere Statur seiner Frau Böske im einem Quintett oder die Wesenszüge eines fortschrittstüchtigen und geschwindigkeitsberauschten Zeitalters im „Ballet mécanique“.

Hinzu tritt die glaubwürdig vermittelte Aura musikalischer Unschuld. Ob Antheil nun Geräuschinstrumente oder ein Jazzorchester einsetzt, ob er Flugmaschinen nachahmt oder einen Shimmy aufgreift: Immer verströmt der ungehobelte Duktus der Musik das bloße Staunen weit geöffneter Kinderaugen. Es steckt darin, wie Adorno 1930 anlässlich der Uraufführung der Oper „Transatlantic“ erkannte: „eine naive Spielzeugfreude an den großen Dingen“.

Dass die Legenden, die über Antheil kursieren, nicht enden wollen, verdanken wir in erster Linie dem Komponisten selbst. Denn neben der Musik beherrschte er eben auch die Kunst der Kolportage, insbesondere in eigener Sache. „The Bad Boy of Music“ lebt von solchen Anekdoten: vom Kopisten, der Antheils Partitur gutmütig und ohne Aufpreis von Dissonanzen reinigt. Von der turbulenten Affäre mit einer Schlangentänzerin, an deren Ende er nackt vor einer Python auf die Straße flüchtet. Oder von dem Versuch, Ernst Křenek an Hollywood zu vermitteln, indem man ihn kurzerhand als Komponisten von „La Traviata“ ausgibt.

Antheil erzählt gehetzt und aufgedreht. Er drängt auf Pointe und ist dabei immer auf der Suche nach dem berühmten Namen, der seine Geschichte poliert: Joyce, Hemingway, Strawinsky, Satie, Dalí, Man Ray – die Liste der Künstler, die Berlin, Paris und Wien in diesen Jahren bevölkerten, ist praktisch vollständig. Antheil zeichnet das Bild des künstlerischen Aufbruchs der 20er-Jahre mit rastlosem Blick und überlebensgroß.

Die Neuauflage der antheilschen Autobiografie, die jetzt zum 100. Geburtstag des Komponisten am 8. Juli erschienen ist, ist klugerweise mit einem kommentierenden Antheil-Alphabet versehen. Die zahlreichen Gegendarstellungen von Antheils Zeitgenossen stutzen viele draufgängerische Episoden auf ein glaubwürdiges Maß zurecht. Und sie bestätigen andere, die man sonst leicht für prahlerisches Gehabe gehalten hätte.

Antheil hat sein reißerisches und aufgemöbeltes Buch später immer wieder bereut. In einem Interview mahnt er: „Schreiben Sie kein Buch, wenn Sie Komponist sind, schreiben Sie Musik.“ Dem mag man sich nach der Lektüre seiner Autobiografie nicht bedingungslos anschließen.

George Antheil: „Bad Boy of Music“. Autobiografie. EVA, 458 S., 68 DM. Der Ausgabe liegt eine CD mit Klaviermusik und Texten von Antheil in einer Aufnahme mit Sprecher Bodo Primus und Pianist Benedikt Koehlen bei

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