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Muster mit Wert

Schreiben und verkaufen: Die Ausstellung „Junge literarische Karrieren“ in Hildesheim dokumentiert Schriftstellerbiografien und was diese für die Vermarktungstrategien der Verlage bedeuten können

von VOLKER WEIDERMANN

Biografien sind wettbewerbsrelevant. Die Lebensläufe junger Schriftsteller sind längst ein Teil der Vermarktungsstrategie geworden, mit der Verlage ihre Neulinge auf dem umkämpften Nachwuchsmarkt platzieren. Die Kurzbiografien in den Verlagsprospekten lesen sich oft wie kleine Reiseromane eines erlebnisreichen Aufwachsens: Noch vor Studienbeginn können viele auf ein Leben in drei, vier Weltstädten zurückblicken und der Kurzbiografienleser fragt sich erstaunt, was die Eltern dieser weltgewandten Jungdichter denn wohl bitte von Beruf sind.

Botschafter? Welthandlungsreisende? Reiche Menschen mit Erlebnisdrang? Oder investieren sie in beeindruckende Weltwohnsitze, um ihrem Kind eine Biografie bereitzustellen, die eine Karriere als Jungschriftsteller quasi als sicher erscheinen lässt? Wie etwa ein Peter Graf viele Jahre all sein Geld in Tennisstunden für seine Tochter steckte, so würde also ein Elternpaar, das sich für eine Dichterkarriere ihres Kindes entschieden hat, dann das Geld für tolle Wohnsitze ausgeben, in der Hoffnung, dies dann später mit reichlich Dividendengewinn vom erfolgreichen Schriftstellerkind zurückbezahlt zu bekommen. So etwa stellen wir uns das vor.

Hans-Otto Hügel auch. Hügel ist Professor für populäre Kultur in Hildesheim und hier, in der Universitätsbibliothek, hat er eine Ausstellung unter dem Titel „Junge literarische Karrieren“ zusammengestellt. Und in einem Begleittext zur Ausstellung schreibt er: „Auch für den Schriftsteller gibt es Musterlebensläufe, von denen der Einzelne nicht abweichen darf.“ Eine mutige These für den Individualberuf par excellence. Leider kann sie die Ausstellung nicht belegen. Zu disparat sind die Biografien, die an den Glaswänden in der Mitte der Bibliothek ausgestellt werden. Das Leben der Filmstudentin und Preis- und Stipendiensammlerin Maike Wetzel hat mit der DDR-Biografie Katrin Dorns oder dem rheinischen Kleinstadt-Aufwachsen Andreas Lauderts nichts zu tun.

Der Hildesheimer Ausstellung fehlt es leider an jeder Systematik. Die Auswahl der Ausstellungsgegenstände ist ganz offensichtlich dem Zufall geschuldet, beziehungsweise der Bereitschaft der verschiedenen Schriftsteller zur Mitarbeit. Es sind nicht nur äußerst unterschiedliche Biografien, die wir hier sehen und die Hügels eigener These widersprechen. Diese Biografien sind auch außerordentlich unterschiedlich dokumentiert. Von Marius von Mayenburgs Karriereschritten zum Hausautor der Schaubühne dokumentiert die Ausstellung außer Programmheften überhaupt nichts. Von Julia Franck, deren letzter Roman „Liebediener“ von ihrem Verlag mit einem auffaltbaren Riesentraumgesichtsporträtposter ummäntelt wurde, wird nur behauptet, dass sie gegen ihre Vermarktung als „Superfräulein“ schon seit langem sehr zäh ringt. Wie sie das macht und warum, das erfährt man nicht. Und gern hätte man auch etwas mehr darüber erfahren, wie die Vermarktungsabteilungen der Verlage nun wirklich arbeiten, wie ihre Masterpläne sind, ob es tatsächlich exemplarische Karrierelebensläufe gibt.

Trotzdem bietet die Ausstellung einige schöne Einblicke in Schriftstellerleben. Gerade in die von weniger Bekannten, die ihre Lebenslaufdokumente großzügig zur Verfügung stellten. Wie etwa Andreas Laudert, der 1969 in Bingen geboren wurde. Von ihm gibt es Deutschaufsätze, die er als Zehnjähriger schrieb („Wir brauchen einen neuen Schwung, einen neuen Star“) und Mathematikklausuren, die er als 17-Jähriger nicht mehr schrieb, weil er lieber mit Hermann-Hesse-Zitaten gegen die Mathematik im Allgemeinen protestierte („Die Mathematik ist für mich wie das Wandeln auf einer ebenen Landschaft, [. . .] man kommt nie auf eine Anhöhe, wo sich plötzlich Perspektiven zeigen“). Der Mathematiklehrer erklärte, dies „nicht als positiven Beitrag im Sinne der Kursarbeit“ bewerten zu können, „daher: 0 Punkte“. Zwei Jahre später wurde Laudert bei einem bundesweiten Treffen junger Autoren als „vorbildlich“ ausgewählt und erhielt eine Siegerurkunde vom damaligen Bildungsminister Jürgen W. Möllemann. Und Christoph Meckel, den Laudert schriftlich um Protegierung bat („Sie wissen, dass ich Sie neugierig machen will – was bleibt mir auch“) illustrierte später die Buchausgabe seines Dramas „Auf Schädelhöhen“. Heute lebt Andreas Laudert als Erzieher in Berlin und hat gerade seinen Roman „Die Unentschiedenen“ veröffentlicht. Auf einer Art Wandtapete, die er der Ausstellung zur Verfügung stellte schrieb er: „Meine Zeit kommt noch!“

Dass ihre Zeit schon gekommen ist, das haben so gute Selbstvermarkter wie Alexa Hennig von Lange und Tobias O. Meißner vor allem sich selbst zu verdanken. Von von Lange zeigt die Ausstellung einen ihrer zahlreichen Auftritte in Allegra, in der man sie so vorstellt: „Sie hat eindrucksvolle Haare und ein schönes Gesicht. Es ist aber keineswegs so, dass Alexa nicht schreiben könnte. Man vergisst das nur so leicht.“ Von Lange empfiehlt in dieser Ausgabe Tobias O. Meißners „Halbengel“: „Groß, golden, ungemein poetisch“. Kollegenkarrierenförderung.

Sein erstes Buch „Starfish rules“ musste Meißner bei den Verlagen noch selbst empfehlen. In 83 Schritten pries er knapp, präzise, originell und weltgewandt sein Romanmanuskript: „hier gibt es einen roman zu veröffentlichen über das amerika in uns, das amerika, das uns alle zu dem macht, was wir sind, liebhaber des chaos. – Starfish rules. Seestern regiert. Die Regeln des Sternfischs . . . All das auf weniger als 200 Seiten.“ Und es folgte die Adresse für die Anforderung des Manuskripts. Zahlreiche Verlage forderten es an. Und die Biografie? Schickte Meißner auf Anfrage bestimmt gerne mit.

Die Ausstellung ist noch bis zum 25. August zu sehen. Kein Eintritt

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