: Ein Lächeln – mutmaßlich
33 Schritte zwischen zwei Hubschraubern als Ereignis: Reemtsma-Entführer Thomas Drach kommt nach Hamburg zurück ■ Von Peter Ahrens
Er soll gelächelt haben. Die Fotokollegen mit den gewaltigen Brennweiten haben das genau erkannt. 80 JournalistInnen notieren das auf der Stelle, recken sich die Hälse aus und bekommen zwei Minuten folgendes zu sehen: Ein grüner Hubschrauber landet, ein Mensch, vermutlich (mutmaßlich!) ein Mann, steigt aus und steigt in einen anderen grünen Hubschrauber ein, der andere Hubschrauber hebt ab. Schluss. Aber da das noch keine veritable Geschichte abgibt, muss man auf die wesentlichen Dinge fokussieren: das Lächeln des Thomas Drach. Sein Speiseplan. Der Reemtsma-Entführer ist wieder in Hamburg.
Lückenlose Information: 33 Schritte macht der „zurzeit wohl bekannteste mutmaßliche Verbrecher“ (dpa) zwischen Hubschrauber eins und Hubschrauber zwei, hat die Welt am Sonntag nachgezählt. Den Kopf trägt er nicht gebeugt, werfen sich die Reporter, die vermeinen, etwas zu sehen, ganz aufgeregt zu. Dann sehen sie nur noch einen Punkt am Himmel verschwinden, Drach wird ins Gefängnis Fuhlsbüttel gebracht, wo ihm in seiner Zelle („blau-weiß karierte Anstaltsbettwäsche, Pichelsteiner Eintopf“ dpa) der Haftbefehl präsentiert wird. Zu dem sich Drach („Handschellen, blaues Hemd, braune Lederjacke“ Welt am Sonntag) zunächst nicht äußern will.
Das ist das Ereignis. Was man partout noch wissen muss, da wichtig: Die Speisefolge in der Lufthansa-Maschine, die Drach von Buenos Aires nach Deutschland brachte. dpa hat recherchiert: Kaviar, Hummermedaillons, Rinderfilet oder gebratener Schwertfisch. In der Welt am Sonntag ist hernach noch von Serranoschinken und Karamellmousse mit Erdbeeren nachzulesen. Und davon, dass das Besteck aus Plastik war.
Schon Stunden zuvor hatten sich auf der Aussichtsterrasse des Flughafens die Leute die Augen nach Hubschraubern ausgeschaut: Entführer gucken als Sonnabend-Ausflug. Doch kein Drach im Anflug. Stattdessen nur das Übliche: Luft-hansa, Hapag Lloyd. Als auch um 14 Uhr noch nichts zu sehen ist, was nach Verbrecher aussieht, fangen die ersten Familienmitglieder an zu quengeln. Man wendet sich den Airbus-Modellen zu, die im Verkaufsraum ausgestellt sind. Hat man wenigstens irgendetwas zu gucken.
Die JournalistInnen haben für Modelle keinen Blick. Sie warten auf das Original. Als das dann einschwebt (schwarzgrüne Bell), wird geschoben, wird versucht, Blicke zu erhaschen, einer hat das Lächeln aufgeschnappt, „das Lächeln der Bestie“ versucht sich ein Kollege vom Privatradio schon an der Titelzeile. Die Agentur titelt schließlich: „Er kam, sah und grinste.“
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Rüdiger Bagger, geht davon aus, dass die „Haftbedingungen in Argentinien mitteleuropäischem Standard entsprochen haben“, Drach sei in Fuhlsbüttel „sehr gelassen und ruhig gewesen“, sagt Gerichtssprecherin Sabine Westphalen noch. Und SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage freut sich, dass „wir hochqualifizierte Polizeibeamte haben, und auf die können wir stolz sein“. dpa schickt als Service eine „Chronik spektakulärer Entführungsfälle in Deutschland“ (Schlecker, Oetker) und eine Info-Grafik: Die wichtigsten Stationen im Entführungsfall.
Die Polizei hat der Aktion auch einen Namen gegeben: Das war die „Operation Luftschloss“.
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