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Hilfe, Argumentationshilfe!

Im Frühjahr stand Jürgen Rüttgers ihnen noch zur Seite. Nun müssen die CDU-Politiker im Erftkreis es allein erklären: Die Green Card ist da

aus dem Erftkreis HEIKE HAARHOFF

Wie bei Tünnes und Schäl, hatte Rolf Kremer am Telefon gesagt. Oder wie bei Rüttgers und Bosbach. Wie beim Rheinländer halt. Eine freie Meinung werde doch jeder haben dürfen. Auch in der CDU, gerade in der CDU. Im Rheinland jedenfalls. „Dat hamm Se bei uns janz oft. Da sacht der eine dies und der andere dat.“

Nur Rolf Kremer, der würde am liebsten gar nichts sagen zu Einwanderung, zu Green und Blue und Sonst-was-Card und 20.000 ausländischen Computerspezialisten, die ab heute befristet für fünf Jahre nach Deutschland kommen sollen dürfen. Als Kommunalpolitiker – Rolf Kremer ist Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion in Bergheim im Erftkreis westlich von Köln – muss er das auch nicht, findet er. Auf dem heimischen Sofa verschränkt er bockig die Arme. „Vor Ort spielt diese Debatte um Einwanderung gar keine große Rolle.“

Die Debatte spielt keine Rolle

Genauer gesagt: Vor Ort spielt diese Debatte um Einwanderung gar keine große Rolle mehr. Und deswegen kann Rolf Kremer „mit Genauigkeit“ auch nicht sagen, ob „bei uns hier überhaupt Firmen sind, die diese IT-Fachleute brauchen“. Aber vielleicht könnten ja der Rüttgers oder der Bosbach, der CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen oder der CDU-Fraktionsvize im Bundestag also, etwas dazu sagen. Es ist nicht sicher, ob Rolf Kremers Lächeln wirklich spöttisch ist oder bloß den Frust überspielen soll.

Vor ein paar Wochen freilich war das anders: Da war der CDU-Mann aus Bergheim bestens im Bilde, da machte die CDU im Erftkreis mit Postkarten gegen die Green-Card-Initiative des Kanzlers mobil. „Rote Karte gegen Green-Card“ lautete ihr Motto, und auf den Postkarten, die Rolf Kremer am CDU-Parteistand in Fußgängerzonen und auf Marktplätzen verteilte, war zu lesen: „Mehr Ausbildung statt mehr Einwanderung“. Sogar ein CDU-Bürgertelefon wurde hierzu eingerichtet. Schließlich galt die Lage als ernst: Bei den Unternehmen der Region sei der Bedarf an Informationstechnologen groß; 46 IT-Lehrstellen allein im Erftkreis seien beim Arbeitsamt verzeichnet. Denen stünden allerdings schon jetzt 135 deutsche Bewerber gegenüber, teilte die CDU damals der Presse mit. Absurd, angesichts solcher Verhältnisse auch noch ausländische Facharbeiter ins Land holen zu wollen, wusste Rolf Kremer damals. Und so stand es ja auch in der „Argumentationshilfe“, die Jürgen Rüttgers im Frühjahr an die Parteibasis hatte verteilen lassen.

Aber dann verlor Jürgen Rüttgers im Mai als CDU-Direktkandidat nicht nur den Erftkreis an die SPD, sondern als Spitzenkandidat von Nordrhein-Westfalen auch noch die Landtagswahl, und plötzlich machten andere Männer von sich reden. Wolfgang Bosbach, der ebenfalls aus dem Rheinland stammende Bundestagsabgeordnete, verkündete in einem 20-seitigen Papier, es sei „ernsthaft nicht zu bestreiten“, dass Deutschland „auch in Zukunft Zuwanderung braucht“. Die konservativen Landesregenten von Bayern und Hessen, Edmund Stoiber und Roland Koch, stellten plötzlich fest: Die Anwerbung von ausländischen Fachkräften zur Überbrückung eines Engpasses, wie die Bundesregierung sie vorhabe, könnten sie schneller und unbürokratischer realisieren – mittels ihrer ländereigenen „Blue Card“ (siehe Kasten).

„Tja“, sagt Rolf Kremer zu Hause in Bergheim und verstummt. Eine Argumentationshilfe, wie der Richtungswechsel innerhalb der CDU zu erklären sei, gibt es diesmal nicht. Gut, zweieinhalb Monate nach der Landtagswahl kann er zwar gestehen, „dass die Postkartenaktion vor allem aus wahltaktischen Gründen stattgefunden hat, weil wir zusehen mussten, dass wir irgendwie Aufmerksamkeit kriegen“. Aber deswegen auch zugeben, dass die Position, für die er trotz seiner 58 Jahre und trotz seines Full-Time-Ingenieursjobs wochenlang auf der Straße und ehrenamtlich im Regen geworben hat, plötzlich überholt sein soll? „Nein“, sagt er da und bemüht die einzig mögliche Erklärung, die ihn das eigene Gesicht wahren lässt: „Es gibt ja keinen Kurswechsel in der CDU.“

Man müsse eben genau hinschauen, „was der Bosbach gefordert hat“. Rolf Kremer windet sich. Jetzt bloß nichts verkehrt machen. Also: „Nur unter gewissen Umständen“ halte der Abgeordnete Bosbach Zuwanderung für bereichernd. Und diese gewissen Umstände gebe es in Bergheim eben nicht. Wenn das keine perfekte Logik ist.

Das sieht auch der CDU-Ortsvorsitzende Winfried Kösters so. In dem Bergheimer Stadtteil, in dem er lebt, betrage der Ausländeranteil schon jetzt knapp achtzehn Prozent. Unnötig zu erwähnen, dass die Integration dank seines politischen Einsatzes „relativ gut“ gelungen ist. „Wir haben hier ja eine große marokkanische Kolonie“, ruft Rolf Kremer fröhlich dazwischen. Am Kölner Hauptbahnhof habe man sie abgeholt, die Marokkaner und die Türken, damals, vor dreißig, vierzig Jahren, und sogar die Blaskapelle von Rheinbraun, dem regionalen Energiekonzern, habe zum Empfang aufgespielt. „Die Marokkaner haben dann in den Kraftwerken in der Entaschung gearbeitet“, berichtet Rolf Kremer. „Die konnten ja die Hitze so gut vertragen, wahrscheinlich weil sie in der Sahara geboren sind“, vermutet er. Nein, man schätze die ausländischen Kollegen in Bergheim wirklich sehr. Nur „eine zweite Zuwanderungswelle, die packen wir sozial nicht“. Pause. Dann, drohend: „Das können wir hier vor Ort beurteilen.“

Vorboten einer neuen Politik

Und genau darum geht es hier vor Ort. Es geht um die Befürchtung, dass ein paar ausländische Computerspezialisten bloß die Vorboten einer neuen bundesdeutschen Einwanderungspolitik sein könnten und man das spätestens im nächsten Wahlkampf einer wütenden Wählerklientel nahe bringen müsste. Und man heiße Kremer und Kösters.

„An uns Ortsvorstehern bleibt es doch hängen“, schimpft Rolf Kremer, aber bevor es so weit kommt, werden er und sein Parteikollege Winfried Kösters zumindest noch ihre Meinung kundtun. „Das ist Neokolonialismus“, empört sich Kösters, „mit der Green Card ziehen wir die klugen Leute aus Ländern wie Indien ab, wo sie gebraucht werden.“ Und gefragt, was, bitte, der Unterschied zur Blue Card sei: „Da kommen die Leute freiwillig und gehen wieder, wenn der Arbeitsvertrag zu Ende ist.“ Sein Kollege Rolf Kremer sieht ihn verwirrt an. Sicher, so kann man es sehen. Man kann es aber auch auf den Punkt bringen: „Die Arbeitskräfte, die wir vor vierzig Jahren geholt haben, hatten Jobs, die ihnen keiner wirklich geneidet hat.“

Diejenigen dagegen, die ab heute nach Deutschland kommen, sind hoch qualifizierte Fachkräfte mit Verdienstmöglichkeiten, von denen viele Inländer ahnen, dass sie sie kaum je erreichen werden. Ihnen dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren hieße anzuerkennen, dass es sich um mehr als einen überbrückbaren Engpass handelt. Es hieße anzuerkennen, dass Deutschland sich nur dann im IT-Bereich international behaupten kann, wenn es sich internationaler Zuwanderung nicht mehr verschließt. Es hieße, einen Schritt zu tun, der sämtliche christdemokratische Werte ins Wanken brächte. Jedenfalls die einer Basis, die soeben einen Wahlkampf hinter sich hat, in dem sie behauptete, mit besserer Ausbildung ließen sich alle Defizite im Bereich der Informationstechnologie beheben.

„Wir haben für diese Postkartenaktion hundertprozentig gekämpft“, grämt sich der CDU-Fraktionschef Werner Theisen aus Bergheims Nachbarstadt Pulheim und rührt länger als nötig in seinem Kaffee, „und was jetzt von der Bundesspitze erklärt wird, ist, na ja, nicht immer das, was man hier so gut findet.“ Nicht nur, dass Werner Theisen, der sein Leben in einem 50-Kilometer-Radius von Pulheim verbracht hat, bezweifelt, „dass so viele Leute, die jetzt hierher kommen sollen, sich in der Fremde auch wirklich wohl fühlen“. Nicht nur, dass er und seine Parteifreundin Elisabeth Rehmann, die Lehrerin an einer Berufsschule für IT-Lehrlinge ist, keine Ahnung haben, wie sie arbeitslosen Computerfachleuten gegenübertreten und erklären sollen, dass ihnen angesichts der Konkurrenz aus dem Ausland voraussichtlich nicht einmal eine Umschulung helfen wird.

„Wir sind ja nicht in die CDU eingetreten, weil wir amerikanische Verhältnisse haben wollten“, warnt der Pulheimer CDU-Ortsverbandsvorsitzende Michael Wiecki, 29. Er jedenfalls sehe keinen Willen, sich künftig zu einer Nation aus verschiedenen Kulturen zusammenzusetzen. In Deutschland nicht. Und in Bergheim und Pulheim schon gar nicht.

Diese Meinung werde man ja wohl noch vertreten dürfen.

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