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Bloß kein Gejaule!

Kleine Theater, Teil 2: Ohne Tabus und Vorurteile operieren will Daniel Haw, Leiter des Jüdischen Theaters in Hamburg-Altona  ■ Von Petra Schellen

„Ach, ich kann das das Klarinettengejaule nicht mehr hören! Ewig diese Klischees, ewig die jammernde osteuropäische Geige, die als Repräsentantin des Jüdischen schlechthin herhalten muss!“ Der Schauspieler Daniel Haw, Gründer und Leiter des Jüdischen Theaters Hamburg, wird wütend, wenn er über die Wahrnehmung der jüdischen Kultur in Deutschland spricht. Und um diesem Missstand abzuhelfen, hat er 1998 das Schachar gegründet – ein hebräischer Begriff, der in etwa mit „Morgenröte“ zu übersetzen ist.

„1998 haben wir die Komödie Wald und Schmerl im Piccolo-Theater aufgeführt, dessen beckett-artige Protagonisten sich auf den Messias vorbereiten und dabei vor lauter Streit überhören, dass er zwischendurch ans Tor klopft“, erzählt der in Hamburg geborene Haw. Und als ich das Publikum beobachtete, fiel mir auf, dass sich Juden und Nichtjuden im Theater friedlich mit- und nebeneinander amüsierten, ohne zu wissen, wer da neben ihnen saß. Und dass man diese Leute mal zum Gespräch zusammenbringen sollte“, erzählt Haw.

Dachte es und klebte an Schauspielschulen, Studios und der Hamburger Hochschule der Bildenden Künste Plakate, auf denen er nach Schauspielern für ein festes jüdisches Ensemble suchte. Und sie kamen: 15 professionelle Schauspieler zählt derzeit sein Ensemble; getragen wird das Schachar von einem Verein, der – kurios? – zum überwiegenden Teil von Nichtjuden finanziert wird.

Eine Mischung aus zeitgenössischen jüdischen Theaterstücken und Musik will das Schachar präsentieren, das seit 2000 endlich ein festes Domizil hat: Seit März diesen Jahres läuft ein Kooperationsvertrag mit dem Altonaer Stadtteilzentrum Haus Drei, der Büromitnutzung, Proben- und Auffüh-rungsmöglichkeiten sowie die Nutzung des Theaterfoyers nach der Vorstellung einschließt. An zwei bis drei Wochenenden pro Monat kann das Schachar, das zu einem Drittel Eigenproduktionen und zu zwei Dritteln Gastspiele präsentiert, die Bühne bespielen; 100 Zuschauer fasst der Raum.

„Wir haben hier einen Exklusivvertrag abgeschlossen, betont Haw, der alle Schichten und Altersgruppen ansprechen möchte und von Tabus im christlich-jüdischen Dialog überhaupt nichts hält: „Was bringt es, wenn beide Seiten darauf warten, dass die andere den ersten, befreienden Schritt tut? Die Nichtjuden denken, die Juden müssten mit der Versöhnung anfangen; die Hamburger Jüdische Gemeinde andererseits scheint aber auch nicht sonderlich erpicht darauf, den jüdisch-christlichen Dialog zu befördern.“

Solche Abgrenzungsbestrebungen und Verhaltensmuster brächten das Zusammenleben nicht weiter, sagt Haw. „Ich bin kein Pädagoge und will auch niemanden bevormunden, aber ich möchte auch den Deutschen helfen, mal über einen Himmler-Witz zu lachen und über andere Dinge, die hart an der Grenze zur political correctness sind. Ich glaube, dass dieses Gelächter befreiend wirken kann.“

Dass Haw in jüdischen Kreisen gelegentlich als Nestbeschmutzer bezeichnet wird, stört ihn nicht. „Selbstverständlich, das jüdische Volk hat ein großes Opfer gebracht, und es war auch nicht das erste. Aber trotzdem muss man Geschichte immer fair betrachten: In jedem, auch dem jüdischen Volk gibt es Verbrecher; all die Verallgemeinerungen – in welche Richtung auch immer; die Philosemiten sind oft die Schlimmsten – verhindern einen offenen Dialog. Und wie wäre es, wenn sich die Deutschen zu der Haltung durchrängen, dass es keine Schande ist, dass sie nie ein einheitlicher Staat waren – ein Trauma, das weit in die Geschichte zurückreicht –, sondern dass die Vielfalt gerade ihr Kapital ist?“

Vielleicht, so hofft Haw, könnte durch eine solche Geschichtsbetrachtung irgendwann Normalität zwischen Juden und Nichtjuden einkehren; „Oh ja, ich weiß, Normalität fürchten all jene, die sich in ihrer Opferhaltung vergraben und ihre Ressentiments pflegen wollen, am allermeisten!“ Trotzdem: Er wünscht sich ein unkompliziertes Zusammenleben und kommt der Frage nach einer zu starken Abgrenzung durch die Gründung eines speziell jüdischen Theaters gleich im nächsten Atemzug zuvor: „Dann müsste ich – und das wünsche ich mir – das Schachar nicht mehr Jüdisches Theater nennen.“

Was er – abgesehen von der Erschaffung einer Kommunikationsstätte – durch seine Inszenierungen bewirken will? „Ich will zeigen, dass sich jüdische Kultur nicht nur im Grauen erschöpft: Sie ist reichhaltig und lebendig; zeitgenössische Theaterschreiber befassen sich sowohl mit universellen Alltags- und Beziehungsfragen als auch mit dem Umgang der Juden mit ihrer eigenen Traditionen.“

Auf dem Programm des Herbsthalbjahres stehen – neben einer Band, die eine Klezmer-Swing-Mischung präsentiert – ein Soloprogramm des israelischen Schauspielers Alexander Fisz, die Aufführung von Haws Stück Land unter, ein Auftritt von Yaron Goldstein und Berit Fromm in der Komödie Zoff im Paradies; für eine fernere Spielzeit angedacht ist eine Aufführung von Brechts Dreigro-schenoper auf Jiddisch... ein gemischtes Programm eben, das die Zuschauer nach der Vorstellung bei koscheren Speisen zusammenbringen und langfristig mit in eine dereinst zu findende eigene Schachar-Spielstätte ziehen soll. Aber das kann noch dauern, sagt Haw. Und das macht ja auch nix.

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