AMERIKAS REPUBLIKANER ALS NEUE WERTEGEMEINSCHAFT: Feel good
Die Aussage einer begeisterten Anhängerin auf dem republikanischen Parteitag in Philadelphia hatte programmatischen Charakter: „Wir wollen, dass unsere Kinder einen Präsidenten haben, den sie respektieren können.“ Die moralische Erneuerung im Weißen Haus ist Bushs Wahlkampfthema. Jede scheidende Regierung trägt an dem Makel politischen Haders, uneingelöster Erwartungen, ergebnislosen Feilschens und parteipolitischer Rosstäuscherei. Im Fall Clintons verbindet sich dieses Unbehagen an der Politik als schmutzigem Geschäft mit der dunklen Erinnerung an den politischen Skandal des Jahres 1998. George Bush macht sich das zunutze und setzt auf sauberen Neuanfang und verspricht eine Neubesinnung, eine Politik, der es um Werte geht.
Dazu musste er freilich im Wertehaushalt seiner Partei aufräumen. Er musste die Partei von jenem Ballast befreien, der sie acht Jahre lang auf nationaler Ebene unwählbar machte. Mancher Republikaner gebärdet sich auf dem diesjährigen Parteitag, als sei er von der Last ungeliebter und menschenfeindlicher Positionen erlöst. Zu vergleichen ist der Aufbruch am ehesten mit dem Godesberger Programm der SPD oder dem 20. Parteitag der KPdSU. Die Republikaner hatten sich in ausländerfeindliche und rassistische Positionen manövriert. Die dogmatische Ablehnung staatlicher Intervention geriet ihnen nicht nur zu einem Kampf um den Abbau von Sozialstaatlichkeit, sondern auch zu einem Krieg gegen Armut, Alter, Kranke, Jugendliche, Immigranten und Minderheiten und zu einer Negation der Vorstellung vom Staat als Solidargemeinschaft.
Bush hat erkannt, dass mit Hartherzigkeit keine Wahlen zu gewinnen sind. Sein Programm ist die Neuerfindung des Sozialstaats als Nachbarschaftshilfe – Gemeinschaft statt Gesellschaft. Die Inszenierung dieses Gedankens wird in Philadelphia als multimediales Gesamtkunstwerk gegeben. Die republikanischen Delegierten sind so begeistert wie Jugendliche auf einem Rockkonzert. Doch die Wähler dürften sich von der Schau kaum blenden lassen. Zu auffällig ist der Unterschied zwischen der Rolle von Minoritäten auf der Bühne und vor der Bühne. Wenn es Al Gore gelingt, George Bush auf seine Programme und Absichten festzunageln und sie mit den seinen und der Wirklichkeit zu kontrastieren, dürfte Bush kaum eine Chance haben. Wenn aber das Unbehagen an der alten Regierung obsiegt und das neue „Feel good“-Theaterstück der Republikaner eine emotionale Eigendynamik entfaltet, hat der Gouverneur aus Texas, dessen Unerfahrenheit eher als Plus denn als Minus wirken wird, gute Chancen, als Held und nächster Präsident der USA dazustehen. PETER TAUTFEST
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