: Piept’s bald auch bei Obdachlosen?
Die Kreuzberger Initiative „Handies für Obdachlose“ fordert vom Sozialamt die Bereitstellung von Mobiltelefonen mit Prepaid-Karten. Die Grünen finden den Vorschlag diskussionswürdig, weil er die Integration fördere. Die Sozialverwaltung winkt ab
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Kommt ein Verkäufer der Obdachlosenzeitung Motz in die U-Bahn, bietet die neueste Ausgabe für zwei Mark an und plötzlich klingelt in seiner Tasche ein Handy. Absurd oder normal?
In der neuesten Ausgabe der Motz ist ein offener Brief der Spontan-Initiative „Handies für Obdachlose“ abgedruckt. Darin heißt es: „Um die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen und die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu sichern, wie es im Sozialhilferecht ausdrücklich formuliert ist, fordern wir die Zurverfügungstellung von Mobiltelefonen.“ Begründet wird die Forderung damit, dass Handys inzwischen ebenso zum Alltag gehörten wie Festanschlüsse. Und: „Wer mobil lebt, muss auch mobil kommunizieren können.“
Friedrich Adolphi von der Motz legt nach: „Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, wo man ohne Anschluss an das Kommunikationsnetz noch mehr verloren ist.“ Während Sozialhilfeempfänger mit Wohnung von der Grundgebühr für das Festnetztelefon befreit seien, so seine Argumentation, seien Wohnungslose „doppelt abgestraft“. Das Sozialamt solle daher Prepaid-Cards in Höhe von 20 Mark pro Person bezahlen.
Unterstützung findet die Initiative auch beim gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen, Bernd Köppl. „Erst dachte ich, dass sei Quatsch“, sagte er gestern gegenüber der taz. Doch nach einigen Gesprächen kam er zu dem Schluss, dass kostenlose Handys in Verbindung mit Prepaid-Cards eine „gute Idee“ und diskussionswürdig seien. Köppl spricht von einem „kleinen Beitrag des Sozialamtes zur Sicherstellung der Erreichbarkeit bei der Jobsuche, gerade bei kurzfristigen Jobs“. Er gibt außerdem zu bedenken, dass Obdachlose, die verstärkt Opfer von Übergriffen werden, schneller Hilfe rufen könnten. Doch entscheidend sei, dass eine Erreichbarkeit über Handy „den Weg zurück etwas erleichtern würde“.
In der Motz berichtet ein 36-jähriger Wohnungsloser, wie sich seine Situation verbessert habe, seit ihm ein Freund, der gelegentlich eine kurzfristige Aushilfe in seinem Kiosk brauche, ein Handy geschenkt hat. „So bin ich jederzeit erreichbar. Wenn im Herbst der zweite Laden eröffnet wird, soll ich sogar ’nen richtigen Job bekommen und werde nach ’ner Wohnung suchen.“ Doch die Sozialverwaltung winkt ab: „Ein Handy gehört nicht zur Sicherung des Lebensunterhaltes“, sagt Sprecherin Regina Kneiding. Zudem stellt sie klar: „Die Übernahme der Grundgebühren für einen Festanschluss wird bei Sozialhilfeempfängern mit Wohnsitz nur in Ausnahmefällen übernommen.“ Deshalb gebe es „keinen Spielraum“ für Handys für Obdachlose.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen