: Mit Massakern gegen den Dialog
In Kaschmir werden über 90 Hindus bei Überfällen getötet. Damit wollen militante Muslimgruppen Gespräche mit der indischen Regierung torpedieren. Doch diese hält an den Verhandlungen fest und will eine Delegation nach Pakistan schicken
aus Delhi BERNARD IMHASLY
Eine Woche nach dem Waffenstillstand zwischen der militanten Untergrundorganisation Hizbul Mudschaheddin und der indischen Regierung ist diese Vereinbarung einer harten Probe unterworfen. Binnen 24 Stunden kam es in Kaschmir zu vier Massakern mit über neunzig Toten. Indiens Ministerpräsident Atal Bihari Vajpayee machte von Pakistan unterstützte muslimische Gruppen für die Taten verantwortlich. Die pakistanische Regierung und dort ansässige islamistische Gruppen wiesen diese Vorwürfe zurück.
In Pahalgam, etwa 100 Kilometer südlich von Srinagar, warfen acht Bewaffnete Granaten in eine Gemeinschaftsküche eines Zeltlagers von Hindu-Pilgern. Darauf kam es zu einem Feuergefecht mit der Polizei. 33 Menschen wurden getötet, und fast 50 weitere wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. In der gleichen Nacht überfielen Unbekannte das Lager von Arbeitern einer Ziegelfabrik im Dorf Mir Bazar und erschossen achtzehn Schlafende. Ein paar Stunden später wurden in der Stadt Anantnag acht Wanderarbeiter aus Bihar aus ihren Häusern geschleppt und von Unbekannten erschossen. Ungefähr zur gleichen Zeit wurden im Dorf Pongal in Südkaschmir elf Einwohner auf gleiche Weise getötet. In allen Fällen waren die Opfer Hindus.
Vajpayee verurteilte die Massaker ebenso wie der Regierungschef von Kaschmir, Farooq Abdullah. Letzterer sieht darin einen Versuch Pakistans, die sich anbahnenden Friedensgespräche zu sabotieren. Auch der militärische Chef der Hizbul Mudschaheddin, Abdul Majeed Dar, verurteilte die Angriffe als „unmenschliche Akte“.
Dennoch will die Regierung nach Aussagen von Innenminister L.K. Advani am Waffenstillstand festhalten, der zweifellos das Motiv für die koordinierten Terrorüberfälle war. Sie setzt auch die Vorbereitungen für einen Dialog fort. Zur Zeit wird in Delhi ein Team von Unterhändlern zusammengestellt, das mit den Hizbul-Delegierten – einem ehemaligen Guerillakämpfer und zwei Exil-Kaschmirern aus den USA – die Präliminarien für Verhandlungen abklären soll. In den nächsten Tagen wird auch eine Gruppe ehemaliger indischer Diplomaten nach Pakistan reisen, um parallel zu diesen Kontakten die Möglichkeit der Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen beiden Ländern zu sondieren.
Bei den Opfern von Pahalgam handelt es sich um Pilger, die jedes Jahr in großer Zahl einen mehrtägigen Treck in die Höhle von Amarnath unternehmen, um dort einen mannsgroßen Eiszapfen in Form eines Phallus – dem Symbol des Gottes Shiva – zu verehren. Auch dieses Jahr waren über 50.000 Hindus nach Kaschmir gereist, um an der „Yatra“ teilzunehmen. Sie ließen sich von der Gefahr von Sabotageakten islamistischer Gruppen nicht aufhalten. Viele von ihnen kehrten wegen des schlechten Wetters nach Hause zurück, doch rund 20.000 harrten weiterhin im Zeltlager von Pahalgam aus. Das Massaker vom Dienstag dürfte viele von ihnen nun bewegen, den Heimweg anzutreten.
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