piwik no script img

Die Rückkehr zur Milchbar

Der finnische Architekt Alvar Aalto entwarf in den Sechzigerjahren ein Kulturzentrum für Wolfsburg. Nach diversen Umbauten wird das Haus für eine Ausstellung wieder im Originalzustand gezeigt

von MICHAEL KASISKE

Wer in Wolfsburg Kultur sucht, findet sich am südlichen Ende der allein Fußgängern vorbehaltenen Porschestraße wieder. Dort, wo das heimelige Gemisch der vom Schwung der 50er und von der plumpen Kleinteiligkeit der 70er geprägten Flaniermeile auf dem Marktplatz vor dem Rathaus abebbt, reihen sich in kurzem Abstand Kulturhaus, Kunstmuseum und Theater als abschließende Monumente auf. Hier hat das Institut für Museen und Stadtgeschichte die Ausstellung „Ich baue. Der Architekt Alvar Aalto in Wolfsburg“ initiiert – in dem Gebäude, das selbst sein wichtigstes Exponat ist: das Alvar-Aalto-Kulturhaus.

Ein Rundgang – von unaufdringlichen, mit erläuternden Texten versehenen Glasstelen begleitet – bildet die Grundlage zur intellektuellen Erschließung des Gebäudes; Führungen und eine Veranstaltungsreihe mit hochkarätigen Fachleuten vertiefen das „Aalto-Projekt“. Nachdem sich der Rat von Wolfsburg 1998 zum hundertsten Geburtstag des finnischen Architekten – der hier außer dem städtischen Haus noch zwei Kirchen realisiert hat – lediglich zur Umbenennung des ehedem schnöde „Kulturzentrum“ geheißenen Baus aufraffen konnte, ist die Ausstellung fälliger Ausdruck einer denkmalsbewussten Identitätsstiftung. Vorbei die Zeit, als mit Nase und Händen Flecken auf den Fensterscheiben hinterlassen wurden – das Haus ist nun auch am Wochenende geöffnet und fordert auf, sich an jedem Detail der Gegenwärtigkeit von Baukunst zu vergewissern.

Das an der Schmalseite, tief hinter Arkaden gelegene Foyer wird vom Platz aus betreten. Der Eingangsbereich mit Garderoben lässt bereits auf ein ausgeprägtes Bewusstsein von Material und Wirkung schließen: Die vertikal ausgerichteten, kobaltblau glasierten Porzellanelemente an den Wänden heben die Decke des niedrigen Raums visuell, in dem ein frei geschwungener Eichenholztresen die stilvolle, gleichwohl zwanglose Atmosphäre städtischer Kultur signalisiert. Ob kupferne Sockelleisten oder der Fußboden aus Travertin, Aalto griff seinerzeit auf hochwertige Baustoffe und handwerkliches Können zurück – heute schlichtweg unbezahlbar. Immerhin war es das Ziel der Stadtväter, ein populäres Haus zu errichten, das ein Gegengewicht zur industriemäßig monotonen Form des Lebens und der Arbeit schaffen sollte.

Mit seiner Eröffnung 1962 war das Kulturzentrum ein Schritt zur ersehnten Weltläufigkeit Wolfsburgs. Immerhin hatte der Finne Aalto in den USA gelebt und dort auch als Architekt Erfolg gehabt. Typische Materialien aus seiner Heimat, aber auch kostbarer Carrara-Marmor für die Fassade setzten hier zu Lande Akzente europäischer Integration, gerade an einem Ort, mit dem nicht wenige immer noch die „Stadt des KdF-Wagen“ assoziierten. Zu Recht, schließlich hatten der Architekt des 1958 fertig gestellten Rathauses und auch der seinerzeit amtierende Stadtbaurat schon in den Jahren 1938 bis 1941 die ersten Siedlungen der jungen Stadt entworfen. Die Verpflichtung Aaltos und später Hans Scharouns für das Theater zeugten vom Bemühen, der Stadt ein unverbrauchtes Antlitz durch individualistische Gestalter zu verleihen.

Derlei Information bleibt die Ausstellung leider schuldig. Die skandinavische Architektur erlangte nach dem Zweiten Weltkrieg große Reputation durch die Verbindung klarer Formen, natürlicher Materialien und einer zurückhaltenden Erscheinung. Aalto genoss darüber hinaus „so etwas wie Narrenfreiheit“, wie der Architekturhistoriker Adolf Max Vogt feststellte, „ein Finne, vom Rande der Zivilisation stammend, dadurch womöglich den Wäldern und Wassern auf eine elementarere Weise verbunden, als es der Mitteleuropäer sich selber noch zutraut“.

Für das Wolfsburger Kulturzentrum verbindet Aalto unterschiedliche Entwürfe zu einer stimmigen Einheit: fächerförmig angeordnete Hörsäle, die polygonal ausgerichtete Stadtbibliothek, das pavillonartige Jugendzentrum. Mit Hilfe des aktuellen Rundgangs wird das Gebäude in seiner ursprünglichen Fassung noch einmal sichtbar gemacht, wurden doch inzwischen die Einrichtungen innerhalb oder außerhalb des Hauses verlagert. Die weiträumig ausufernde Stadtbibliothek blockiert den öffentlichen Gang, der das Haus der Länge nach durchzieht, die Milchbar wurde bereits 1963 wieder geschlossen.

Jetzt werden diese Umbauten zurückgenommen, der Gang wird wieder geöffnet und die rekonstruierte Milchbar als Café genutzt. Auch die dürftige Rasenfläche, die nach dem Bau des Kunstmuseums in den 90er-Jahren übrig geblieben ist, wird neu gestaltet und soll nun mit einer Leuchtenreihe nach Vorschlägen von Aaltos Witwe Elissa versehen werden. Ein beeindruckender Ort ist indessen auch die Feuerstelle unter dem Pavillondach, von Aalto für „Kaminrunden“ gedacht: Eine große quadratische Mulde aus Granit liegt unter einem gläsernen Schiebedach, das sich oberhalb der sich verjüngenden Einfassung für den Rauchabzug elektrisch öffnen lässt. Wenn die Türen zur zentral gelegenen Terrasse aufgeschoben sind, offenbart die eindrucksvolle Raumsequenz Aaltos Herkunft: Die Dachlandschaft mit den als Blumenfeld stilisierten glockenähnlichen Kupferlampen über den Oberlichtern der Bibliothek zeigt eine Moderne, die nicht im Zeichen industrieller Reproduktion gedacht wurde, sondern literarische Gestaltungskonzepte für die jeweilige Funktion entwickelte.

Bis 27. 10., Alvar-Aalto-Kulturhaus, Wolfsburg. Infos unter www.alvar-aalto-kulturhaus.de. Katalog: „Ich baue. Der Architekt Alvar Aalto in Wolfsburg“. Joh. Heinr. Meyer Verlag, Braunschweig, 36 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen