Absprung vom Nachtzug

Arschtritt für Jammerlappen: Mit „Fragments of Freedom“ malen Morcheeba den Silbersteif am Horizont des TripHop mit der Sprühdose zu Ende. Dafür regiert jetzt der Terror der guten Laune

von ARNO FRANK

Kopf hoch, das wird schon wieder! Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Überraschend optimistisch klingt „Rome Wasn’t Built A Day“, die fröhlich gospelnde neue Single des britischen Trios Morcheeba. Ein Arschtritt für Jammerlappen. Rotiert auf Viva und MTV wie das Bauteil einer großen Maschine und wirbt dort für das aktuelle Album einer Band, die bisher eben jenen Jammerlappen den idealen Soundtrack lieferte.

Ihr schwermütiges Debüt „Who Can You Trust?“ erschien im April 1996 und nährte Hoffnungen, dass sich TripHop über seine damalige Konjunktur hinaus als eigenständiger Stil etablieren könnte: Mit heller Stimme intonierte Skye Edwards düstere Geschichten, Ross Godfreys sparsam sphärische Gitarre setzte bedrohliche Akzente, und darunter ließ sein Bruder Paul Grooves rollen, die hörbar schwer am Elend der Welt zu schleppen hatten – das Jahrtausend geht zu Ende, und wir begleiten es mit einem Seufzen.

Einmal definiert, verweigerte sich der TripHop aber beharrlich jeder weiteren Entwicklung. Inzwischen mühen sich etwa Portishead, ihre Schwermut mit Streichern noch zu pointieren, und Massive Attack suchen ihr Heil in schwülen, abstrakten Klangteppichen. Morcheeba indes sind von diesem Nachtzug abgesprungen und präsentieren nun ihre „Fragments Of Freedom“. War auf dem Vorgänger „Big Calm“ der Silberstreif am Horizont schon skizziert, so malen sie ihn nun gleichsam mit der Sprühdose zu Ende.

Der Programmierer und Soundregisseur Paul Godfrey hat dafür eine denkbar einfache Begründung: „Wir hatten genug von den leidenden, langsamen Downtempo-Songs, deren Wirkung sich verflüchtigt, wenn man sie jahrelang spielt.“ Statt dessen gibt’s nun also genießerische, treibende Up- und Midtempo-Songs, deren Wirkung sich verflüchtigt, wenn man sie einmal gehört hat. Was bleibt, ist die luftige Heiterkeit eines sonntäglichen Sektrauschs. Pop eben. Der Weg dorthin war steinig genug, jetzt wird gefeiert.

Vier Jahre lang experimentierten die Brüder Godfrey und Godrey mit Samples und Gitarre, bevor sich 1996 die Sängerin Skye Edwards der beiden Tüftler erbarmte. Sie war es, die dem Projekt nicht nur ihre geschulte Stimme, sondern auch Glamour, Flair und ein Gesicht lieh. Die Experimente sind geblieben: Frei flottierende Stilsprünge machen das Album zu einem Spaziergang durch den klimatisierten Supermarkt der Popgeschichte.

Dass allerdings diese unbeschwerten Preziosen durchweg am Reißbrett entstanden sind – vom karibisch angehauchten Instrumental „A Well Deserved Break“ bis zum Neo-Disco von „Love Sweet Love“ –, tritt hier weit deutlicher zutage als in den melancholisch vernebelten Epen früherer Tage: Im Opener „World Looking In“ grüßt ein einsames Bottleneck-Riff, der Freestyle-Rap von „In The Hand Of The Godz“ bedient sich griffsicher bewährter HipHop-Blaupausen. Was vom TripHop übrig geblieben ist, die dezidierten Grooves und pointierten Scratches, damit verwischen Morcheeba höchstens noch die Ecken und Kanten ihrer geschliffen formulierten neuen Fröhlichkeit – und weil alles so kühl kalkuliert ist, geht die Rechnung weitgehend auf.

Weitgehend wohlgemerkt, denn hin und wieder unterbrechen Momente von unfreiwilliger Komik die sonnige Party am Pool. Die schmierige Orgel in „Let It Go“ etwa klingt, als wäre sie unbesehen dem fragwürdigen Repertoire der Eighties-Schmockrocker Marillion entnommen – was vor zwanzig Jahren schon hochnotpeinliches Gedudel war, soll hier emotionalen Tiefgang simulieren, wo nur Oberfläche ist. Und wo sie sich ganz auf die Oberfläche einlassen, dort brechen sie auf groteske Weise ein: Exakt derselbe funkige Seventies-Dance, der in „Love Sweet Love“ reflexartig als Reminiszenz abgefeiert ist, wurde anderswo bereits sorgfältig zur sympathischen Satire dekonstruiert – von Beck Hansen auf „Midnight Vultures“. Die Trauerränder sind endgültig überschminkt, auf „Fragments Of Love“ regiert der dezente Terror der guten Laune. Und das macht, bei allem Spaß, fast schon wieder ein bisschen traurig.