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zwischen den rillenKleine House-Explosion: Luomo und Markus Nicolai entledigen sich scheinbarer Klarheiten

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Dass Produzenten von elektronischer Musik eher mal mit neuen Projekten oder einer gänzlich neu ausgerichteten Soundvorstellung überraschen als die Vertreter der Gitarrenfraktion, liegt wohl an den elementaren Unterschieden zwischen Song und Track. Während der eine das Kunsthandwerk verfolgt, Emotionen freizusetzen und spannende Geschichten zu erzählen, müssen Track-Produzenten immer wieder versuchen, bereits abgesteckte Grenzen zu überschreiten. Alles andere würde das Ziel verfehlen. Die Suche nach Quantensprüngen und das Verlangen nach Innovationen fußen dabei letztlich auf einem der wichtigsten Grundgedanken der elektronischen Musik an sich: Forward ever, backward never.

Die aufregendsten Produzenten der elektronischen Musik halten sich an diesem Leitsatz fest wie die Roten Garden an der Mao-Bibel. So lässt es sich auch erklären, dass ein junger Produzent wie der aus Helsinki kommende Vladislav Delay nun unter dem Pseudonym Luomo ein gänzlich neues Sounddesign auffährt, als man das bisher von ihm gewohnt ist. Man hört dem Projekt förmlich die Lust an, sich von sich selbst zu entfernen, Gewohnheiten zu durchbrechen und neue Wege zu beschreiten.

In der elektronischen Musik hat es sich etabliert, bestimmte musikalische Aussagen mit den Labels zu verbinden, welches diese veröffentlicht hat. Die Wahl der Veröffentlichungsplattform sagt da manchmal mehr aus als der Name des Künstlers selbst. Im Falle Delays waren das die – im Sinne einer soundästhetischen Corporate Identity hocheffizienten – Vorzeige-Labels Mille Plateaux und Chain Reaction. Für Ersteres kommt nur Hochkomplex-Elektronik in Frage, für Letzteres ausschließlich leicht federnder abstrakter Minimal-Techno mit Dub-Einschlag. Derartigen Klarheiten galt es nun sich zu entledigen.

Luomos Musik erscheint nun bei einer Plattenfirma, deren Zielrichtung noch nicht so recht herausgearbeitet ist, ja die gerade mit ihrer unkonkreten musikalischen Ausrichtung kokettiert. Eine solche Unbestimmtheit hat Luomo offenbar gesucht. Seine Musik ist ein experimenteller Versuch, den eigenen Forschungsdrang gegenüber minimalem Techno auf den Dancefloor zu übertragen. Was dabei herauskommen würde, war am Anfang bestimmt nicht ganz klar.

Weitflächigkeit hat Delay auch früher schon geschätzt – Luomo führt dieses Prinzip nun fort, allerdings auf der Basis von House. Die Tracks sind meist um die 15 Minuten lang, und während dieser Zeit passiert stets so wenig und doch so viel: Dub und Hallräume schlängeln sich in die kaum merkbar Parameter verschiebenden Soundmuster hinein. Es werden Disco-Versatzstücke aufgefahren, und so manches Klischee von „sexy unter der Discokugel schwitzen“. Luomo wirft hörbar einen Blick von außen auf eine Musik wie House, die bisher stark durch die Pflicht zur Szene-Zugehörigkeit gekennzeichnet war.

Darin liegt seine Stärke: Durch seine gesunde Unvoreingenommenheit und den schlichten Mut dazu, sein Konzept von Minimal-Techno auf einem anderen Acker zum Blühen zu bringen, führt Luomo nichts weniger als ei- ne kleine House-Explosion herbei.

Ebenfalls ein House-Quereinsteiger ist Markus Nikolai, Spross der neu formierten und inzwischen international gefeierten Frankfurter Minimal-House-Szene. Bis Mitte der Neunziger hat er sich an Acid abgearbeitet und war außerdem Teil des recht erfolgreichen Industrial/EBM-Projekts Bigod 20. Nun scheint er von der Idee fasziniert zu sein, diese Vergangenheit auslöschen zu können oder sie zumindest doch durch die Schaffung von etwas völlig anderem zu konterkarieren.

Auf seinem ersten Longplayer generiert Nikolai unter eigenem Namen einen ähnlich unvorhersehbaren House wie Luomo, nur arbeitet er mit ganz anderen Mitteln. Während Luomo alles zerdehnt und gerne mit Breaks dekonstruktiv arbeitet, stopft Nikolai jede freie Stelle mit Überraschungsmomenten voll. Vocals zieht er dafür gerne heran, aber auch ständig wechselnde Loops, die von einer Latin-Gitarre bis hin zu oldschooligen Acid-Lines reichen. Organisch sollte es klingen, sanft, spielerisch und doch punktgenau. Wichtig war ihm, dass die ganze Sache nach Abenteuer und Forschungsdrang klingt. Wie man den Stillstand von House auf hohem Niveau durchbrechen kann, beweisen beide Platten. Und wie man Unerwartetes möglich macht, lernt man hier ebenfalls.

ANDREAS HARTMANN

Luomo: „Vocalcity“ (Force Tracks / EFA)Markus Nikolai: „Back“ (Perlon / EFA)

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