: Taliban-Ediktgegen die Frauen
Nichtregierungsorganisationen, die in Afghanistan Frauen beschäftigen, fördern angeblich die Prostitution
KABUL taz ■ Jetzt haben sie es schriftlich. Die humanitären und nichtstaatlichen Organisationen, die in Afghanistan einheimische Frauen beschäftigen, fördern damit „Verderbtheit“ oder sogar „Prostitution“. So steht es im Edikt Nr. 8 des Sonderbüros der Taliban, der den Hilfsorganisationen in Kabul am Montag zugestellt wurde und die neueste Etappe in der Kulturrevolution der afghanischen Radikal-Islamisten markiert. Unterschrieben hat den Erlass „Mullah Muhammad Omar Mudschahid, Diener des Islam“, wie sich das geistliche Oberhaupt der Taliban offiziell nennt.
Die Taliban haben seit 1994 schrittweise Afghanistan erobert und kontrollieren inzwischen etwa neun Zehntel des Landes. Sie versuchen, eine eigenwillige und äußerst strikte Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia, in dem mittelasiatischen Land durchzusetzen. Ein zentraler Punkt dabei ist es, die Frauen vom öffentlichen Leben abzuschotten, durch Zwangsverschleierung, Ausschluss aus dem Bildungswesen jenseits der Primärstufe und Arbeitsverbot, ausgenommen sind nur Angestellte des staatlichen Gesundheitswesens. Die Taliban begründen dies damit, dass sie auf diese Weise die Ehre der Frauen schützen wollen, die während der sowjetischen Besatzung und des anschließenden Bürgerkrieges mit Füßen getreten worden sei. Westliche Vorstellungen von Frauenrechten lehnen sie ab.
Ihre jüngste Postsendung steht in Einklang mit Erklärungen hoher Regierungsvertreter des international nicht als legitime Regierung Afghanistans anerkannten „Islamischen Emirats“, wie die Taliban das Land inzwischen getauft haben. So erklärte Taliban-Außenminister Wakil Ahmad Mutawakkil, der als engster Vertrauter Mullah Omars gilt und seine Karriere einst als dessen Vorkoster und Berater begonnen hatte, hohen UN-Vertretern deutlich, dass die Entscheidung diesmal auf höchster Ebene gefallen und deshalb endgültig sei. Niemand könne dies rückgängig machen. Um dies mitzuteilen, bemühte er sich in der vergangenen Woche sogar in das Kabuler Büro des UN-Entwicklungsprogramms.
Dabei hatte der für Afghanistan zuständige UN-Koordinator fur Humanitäres, der Niederländer Eric de Mul, zweimal in Kabul und Kandahar versucht, das Edikt rückgängig zu machen, und anschließend optimistische Stellungnahmen abgegeben. Er hoffte auf die Erfahrung, dass sich die internationale Gemeinschaft schon einmal gegen die Taliban durchsetzen konnte, als sie versuchten, die Hilfsorganisationen auf dem zerbombten Gelände einer Hochschule zu konzentrieren und abzuschotten. Doch diesmal scheint es ernster zu sein. Alle Taliban-Andeutungen, es gebe Spielraum in der Frage der Frauenbeschäftigung, haben sich bisher als leere Worte herausgestellt. Auch dass der neue Afghanistan-Beauftragte Kofi Annans, Francesco Vendrell, dem Taliban-Außenminister Ende letzter Woche in Kabul die „Besorgnis der Geberländer“ übermittelte, die das Verbot „sehr, sehr ernst“ nehmen würden, hat bisher keine Wirkung gezeigt. So liegen alle Projekte, in denen afghanische Frauen beschäftigt sind, seit Wochen auf Eis.
Vielleicht gibt es aber doch noch Lücken im Gesetz. Hohe Taliban-Vertreter deuteten an, es solle eine Liste von elf Berufen veröffentlicht werden, in denen Frauen doch arbeiten dürften. Andere deuteten privat an, dass sie das Edikt missbilligten, und baten ausländische Helfer privat um Rat, wie dem Verbot beizukommen sei.
In dem jetzt zugestellten Edikt wird im Gegensatz zum ursprünglichen Brief des Taliban-Planungsministeriums vom 6. Juli, in dem das Arbeitsverbot angekündigt worden war, die UNO zudem nicht ausdrücklich erwähnt. Dort ist nur von „ausländischen und nichtstaatlichen Organisationen“ die Rede. Dies könnte aber auch ein Versuch der afghanischen Machthaber sein, einen Keil zwischen die Hilfswerke zu treiben, die sich derzeit um eine gemeinsame Haltung zu dem Arbeitsverbot bemühen.
JAN HELLER
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