piwik no script img

Aufgestiegen aus Ruinen

So wird die Saison, die wird (Teil 4: Energie Cottbus): Mit einem multikulturellen Kader, dem Erbe des SC Aktivist Brieske Senftenberg und neuer Rasenheizung will der zweite Ostclub die Klasse halten

Dillhappen, saure Gurken und Energie sind die regionalen Verkaufsschlager

von MARKUS VÖLKER

In Cottbus ist immer Saure-Gurken-Zeit. Die Salatpflanze aus der Art der Kürbisgewächse gibt es in allen Variationen. Senfgurken, Dillhäppchen, Gewürzgurken, große und kleine Gurken, dicke und dünne und eben auch saure Gurken sind zu haben. Cottbus liegt in der Nähe des Spreewalds. Die Region ist bekannt für ihre Auenlandschaft, die man mit einem Floß durchstaken kann. Kaum an Land, wird dem Besucher die Gurkenvielfalt offeriert. Seit der vergangenen Saison können die Tourismusmanager einen neuen Verkaufsschlager propagieren: den FC Energie Cottbus in der Ersten Bundesliga. Mit Fans, die überallhin das riesige Transparent mit der Aufschrift „Spreegurkenmafia“ schleppen.

Der Erfolg kommt für viele überraschend, die den Fußball im Osten entweder mit dem FC Hansa Rostock oder mit Meldungen über Insolvenz- und Konkursverfahren in Verbindung gebracht haben. Ganz falsch ist das nicht. Hansa war lange ganz allein oben. Darunter kämpften viele Vereine mit der tristen wirtschaftlichen Situation. Auch die Lausitz stemmt sich gegen eine Arbeitslosenquote von über 20 Prozent. Niemand hat Geld zu verschenken.

Somit nimmt sich der Cottbuser Etat im Vergleich zu den Vereinen in München, Berlin oder Hamburg natürlich auch winzig aus. 35 Millionen Mark will der Verein im laufenden Geschäftsjahr umsetzen. Nur Unterhaching (29 Millionen) plant mit weniger. Das Stadion der Freundschaft sollen pro Spiel 14.000 Zuschauer füllen, was immerhin ein paar Mark abwirft.

Die Vorbereitung auf die Spielzeit 200/2001 war hart. Härter denn je. Abwehrspieler Christian Beeck sagt: „Wir haben wesentlich mehr trainiert. Ich habe eigentlich gedacht, das geht gar nicht.“ Trainer Eduard Geyer, 55, versucht noch mehr Intensität in die Übungseinheiten zu legen, denn er ist der unverrückbaren Überzeugung, dass ohne ein betonfestes Fundament aus Kondition, Laufstärke und Ausdauer gerade für Cottbus kaum ein Punkt zu gewinnen ist. „Ich habe jetzt den Überblick über die Mannschaft gewonnen, wir gewöhnen uns langsam aneinander. Es ist ja so, dass wir jedes Jahr immer wieder neu anfangen“, sagt Geyer angesichts der Integration neuer Spieler. Mit Ferenc Horvath (zuvor KRC Genk) und Tamas Szekeres (AA Gent) spielen nun fünf Ungarn für Energie. Von Tennis Borussia Berlin ist der Bosnier Bruno Akrapovic gekommen. Kicker verschiedenster Nationalitäten stehen im Kader, Albaner, Rumänen, Bulgaren, ein Mann aus dem Benin und einer aus Brasilien.

Geyer, befragt, wie er den polyglotten Haufen befehlige, meint, er sei nonverbal recht ausdrucksstark. Er lebt seit geraumer Zeit mit dem Etikett „Harter Hund“. Und führt in der Tat ein strenges Regime. Politikern empfiehlt er, „nicht nur rumzusitzen und sich die Diäten zu erhöhen“; Spielern bläut er ein: „Wer sein Privatleben nicht in Ordnung hat, der wird auch auf dem Platz herumstolpern.“

Manager Klaus Stabach sieht der Saison gelassen entgegen. „Wir lassen das auf uns zukommen.“ Vorbild ist die Spielvereinigung Unterhaching, auch der SC Freiburg. „Unser Vorteil ist, wir sind ein relativ kleines Kollektiv mit kurzen Entscheidungswegen“, verrät Stabach. Heimstark wie die Münchner Vorstädter sind sie auch.

Der Fußball in Cottbus hat eine eigene, ganz spezielle Vergangenheit. 1966 wurden per Parteibeschluss aus dem Ostberliner Hauptquartier der SED der SC Cottbus und der benachbarte SC Aktivist Brieske Senftenberg ein Verein. Die Betriebssportgemeinschaft (BSG) Energie Cottbus, die ihren Namen dem volkseigenen Kohle- und Energiekombinat verdankte, entstand. Stabach ist schon über 40 Jahre beim Verein. Zu DDR-Zeiten lebte es sich als BSG nicht schlecht. Bis zu 72 Mitarbeiter kümmerten sich um die sportlichen Belange. Geldsorgen hatte man keine. 1973 schoss Stabach den Club in die höchste Spielklasse, die DDR-Oberliga. Für Tore sind heute andere verantwortlich. Antun Labak, Franklin Bittencourt und Steffen Heidrich heißen die Torerzieler des Jahres 2000.

Dass gutklassiger Fußball gerade in Cottbus, nicht aber in den ostdeutschen Großstädten Leipzig und Dresden gespielt wird, führt Stabach auf die kontinuierliche Arbeit seit der Wende zurück. Damals managte Hartmut Ohlig den Club. Er sagt: „In Cottbus, in dieser vergessenen Region, laufen die Uhren anders.“ Kaum anderswo finde sich solch eine „starke Identifikation“. Er spricht auch von einer „Trotzhaltung der Unterprivilegierten“. In der Kleinstadt zögen alle an einem Strang. Gestern übergab der Cottbuser Oberbürgermeister Waldemar Kleinschmidt die nagelneue, 1,1 Millionen Mark teure Rasenheizung.

Manch ein renommierter Bundesligist werde sich noch wundern über gute Spiele der Energetiker auf dem neuen Rasen, orakelt Ohlig. Es gehe eben darum, zu zeigen, dass „wir es auch können“. Und nicht nur saure Gurken einlegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen