: Bayerischer Biergarten neben russischem Theater
Das Ende der „Zwischenzeit“ kam für die Kulturbrauerei im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg spät, aber es kam. Heute wird die Off-Kultur auf dem ehemaligen Schultheiss-Gelände von Kinogängern und Biergartenschickeria majorisiert. Der legendäre Franz-Club musste schon lange vorher raus
Alt und Neu buchstabiert man in Prenzlauer Berg neuerdings mit kleinem „b“ und großem „B“. Das kleine „b“ findet man im Wort Kulturbrauerei, jener nach der Wende mit Off-Kultur wieder belebten Schultheissbrauerei samt legendärem Franz-Club und Ost-rock-Partys.
Das große „B“ hingegen steht für die KulturBrauerei. Weil die Betreiber der „alten“ Kulturbrauerei nicht das gesamte Gelände genutzt haben, hat die Treuhand den Rest selbst vermarktet. Aus „Möbel-Max“ wurde ein Multiplexkino und zum „Russischen Kammertheater“ und zur Galerie im Pferdestall gesellen sich nun ein Bayerischer Biergarten und das „Soda“, eine angesagte Location mit dem angeblich längsten Tresen der Stadt.
Über Kultur und Kommerz, Yuppisierung und Absturz ganzer Stadtteile ist im Berlin der Nachwendezeit viel diskutiert worden, vor allem im Ostberliner Arbeiter- und Szenebezirk Prenzlauer Berg. Einer der Hauptstreitpunkte war dabei die Kommerzialisierung der Kulturbrauerei, eines der ambitioniertesten Off-Kulturzentren von Ostberlin. Damals freilich ging es weniger um das Ende der Off-Kultur als vielmehr um die Ängste der Anwohner vor einem Rummel wie am Kollwitzplatz.
Kaum hatte die Treuhand-Liegenschafts-Gesellschaft (TLG) Anfang der Neunzigerjahre bekannt gegeben, das Schulheiss-Areal samt der bereits eingezogenen Projekte der Kulturbrauerei verkaufen zu wollen, machten Anwohner, Betroffenenvertretungen, aber auch das Bezirksamt Front gegen die Pläne. Zwar war die Kulturbrauerei durch einen langfristigen Vertrag sowie eine Miete in Höhe von fünf Mark pro Quadratmeter weitestgehend gesichert. Doch der geplante Bau eines Großkinos sowie der Ausbau zur Kneipenmeile reichten, um den Bewohnern einen Verkehrskollaps, steigende Mieten und eine schleichende Umstrukturierung des nicht weit vom Kollwitzplatz gelegenen Kiezes fürchten zu lassen.
Was hat sich bewahrheitet, was nicht? Freitagabend im großen Hof: Auf der einen Seite sitzen Besserbetuchte und Touristen im „Soda“, auf der anderen hocken auf ein paar Bierbänken die Besucher der Disko „Ost-Rock tests the West“, die einen Moment an die frische Luft wollen. Hier kostet das Glas Wein vier, dort ab sieben Mark. Der Franz-Club hat ohnehin schon lange geschlossen. Er war im Mietvertragsgerangel zwischen Treuhand und der Kulturbrauerei mit dem kleinen „b“ unter die Räder gekommen.
Für die allermeisten Besucher der aufwendig und zugleich behutsam restaurierten Brauerei ist der Unterschied zwischen dem kleinen „b“ und dem „B“ ohnehin nicht mehr zu erkennen. Vielmehr zeigt sich das ganze Areal als bunter Mix verschiedener Angebote, der sich von den Hackeschen Höfen allenfalls im höheren Kulturanteil unterscheidet. Seitdem im März die neue KulturBrauerei eröffnete, ist der Verkehrskollaps zwar weitgehend ausgeblieben und auch die Aufwertung des Kiezes war schon lange zuvor vorangeschritten. Auf dem Gelände selbst freilich wird die alte Brauerei vom Angebot der neuen erdrückt. Gegen bayerisches Biergartenpublikum, tausende von Kino-Besuchern und das Sodapublikum kommt die Off-Kulturszene schon allein mengenmäßig nicht an.
Und auch räumlich haben die neuen Locations die alten längst in die Zange genommen. War die alte Kulturbrauerei bis zur Eröffnung der neuen eine Sackgasse und nur über einen Zugang in der Knaackstraße zu erreichen, ist das Areal nur von zwei Seiten her zugänglich. So gesehen steht die KulturBrauerei sinnbildlich für das Ende der „Zwischenzeit“ und der Ankunft in der realkommerziellen Gegenwart der Bundesrepublik. Jede Öffnung birgt auch das Ende jener Nutzungen und Utopien, die nur in kleinen, geschützen Nischen denkbar waren. UWE RADA
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