: Moskaus arme Diplomaten in Paris
Ein Genfer Geschäftsmann, der angebliche Schulden der russischen Regierung einzutreiben versucht, hat vor einem französischen Gericht erreicht, dass alle Konten der russischen Botschaft in Frankreich beschlagnahmt wurden
aus Paris DOROTHEA HAHN
Ausstellungen? Njet! Filme? Njet! Empfänge? Nitschewo! – Die russische Botschaft im 16. Pariser Arrondissement hat bessere Zeiten erlebt. Seit ein französisches Gericht am 19. Mai sämtliche Konten der russischen Vertretungen vor Frankreich und der Unesco beschlagnahmt hat, sparen Moskaus Diplomaten, wo sie können. Nicht einmal die Gehälter für die 200 Angestellten können sie von den blockierten Konten abheben. Bargeld kommt nur in die Kassen, wenn jemand ein Visum beantragt.
Hintergrund der in der Geschichte der franco-russischen Beziehungen beispiellosen Affäre ist eine Finanzstreitigkeit zwischen einem Geschäftsmann in Genf und der Russischen Föderation. Nessim Gaon will bei Moskau Schulden in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar eintreiben, die bei Tauschgeschäften von Lebensmitteln gegen Erdöl in der Phase des Zusammenbruchs der Sowjetunion zustande gekommen sein sollen. Gaons Anwälte versuchen, weltweit russischen Besitz zu beschlagnahmen. Gelungen ist ihnen das bislang nur in Frankreich. Dort machen sie gegenwärtig die relativ bescheidene Summe von rund 100 Millionen US-Dollar geltend.
Gaon ist ein arm gewordener Milliardär. Sein Imperium, die Noga-Gruppe, machte Anfang der 90er-Jahre mit allerlei Aktivitäten, unter anderem Immobiliengeschäften und Rohstoffhandel, einen geschätzten Jahresumsatz von weltweit 4,5 Milliarden Mark. Seither schlitterte die Noga-Gruppe mehrfach haarscharf am Konkurs vorbei. Unter anderem steht sie bei der Genfer Kantonalbank (BCGe) mit mehreren hundert Millionen Mark in der Kreide. Weitere 24 ehemalige Geschäftspartner warten drohend auf ihr Geld.
Als Gaon sein Russland-Geschäft begann, gab es die Sowjetunion noch: 1989 investierte er in eine Tomatenzucht auf der Krim. Sie scheiterte. 1991 kam ein neuer Vertrag mit den neuen Machthabern in Moskau zustande. Danach lieferte Gaon Lebensmittel und Dünger – Moskau bezahlte mit Erdöl. Warum Russland damals entgegen allen internationalen Geschäftsgepflogenheiten darauf verzichtete, im Vertrag die Immunität seiner diplomatischen Einrichtungen festzuschreiben, ist bis heute ein Rätsel. Manche erklären es mit der Unerfahrenheit der neuen Machthaber, andere mit deren Bedürfnis, auf diesem Wege Geld auf ihre eigenen Konten ins Ausland zu befördern.
Fest steht, dass Moskau sich schon im April 1992 aus dem Geschäft zurückzog. „Einseitig und unerklärt“, wie die Noga-Gruppe geltend macht. Aus Moskau hingegen verlautet, dass Russland aus dem Tauschgeschäft aussteigen musste, weil die „Noga“-Gruppe ihre Rohstoffe zu überhöhten Preisen bei eigenen Filialen kaufte, während Moskau sein Öl zu den niedrigsten Tarifen abgeben musste.
In Paris will niemand etwas über Details beim Zustandekommen der „Schulden“ wissen.„Das geht uns nichts an“, versichert der erste Sekretär der russischen Botschaft, Konstantin Petritschenko, „wir sind in unserer diplomatischen Arbeit behindert. Das ist das Problem.“ Botschaftsanwalt Daniel Guyot nennt es ein „Mysterium, dass eine schweizerische Gesellschaft Frankreich als Schlachtfeld gegen Russland gewählt hat.“
Die Beziehungen zwischen Paris und Moskau sind seit langem belastet. Beim G-8-Gipfel in Japan gewährte der Kremlchef dem französischen Präsidenten nicht einmal einen Vier-Augen-Termin wie den sechs anderen Staatschefs. Die blockierten Konten bringen den französischen Außenminister Hubert Védrine in ein besonderes Dilemma: Einerseits hat seine Regierung vielfach die „Unabhängigkeit der Justiz“ proklamiert, andererseits muss er die franco-russischen Beziehungen entspannen.
Heute versucht die russische Botschaft in einem Berufungsverfahren in Paris, wieder Zugriff auf ihre Konten zu bekommen. Sollte das nicht klappen, dürfte eine Entschließung der russischen Duma vom 19. Juli zum Zuge kommen. Wenn die „unfreundlichen Akte gegen Russland, seine Bürger und seine Güter anhalten“, heißt es darin unmissverständlich, werde es Repressalien geben.
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