„Opel hat das verschlafen“

Interview KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

taz: Herr Franz, nicht nur der Kanzler ist ein Automann; sogar die Grünen geben Gas. Die Branche steckt trotzdem in der Krise. Ist die Ökosteuer schuld?

Klaus Franz: Erst einmal will ich anmerken, dass 1999 – im Gegensatz zu allen Prognosen – ein hervorragendes Jahr für die Automobilindustrie war; im Sinne von Volumen, Mix und Verkauf. Das zur Relation der Einbrüche.

Lassen Sie uns von diesem Jahr reden.

Es stimmt: Im ersten Halbjahr 2000 lief der Motor bei allen Herstellern nicht mehr sehr rund. Überproportional davon betroffen waren tatsächlich Ford und Opel.

Jetzt kommt die Ökosteuer. Oder?

Mit der Ökosteuer hat das alles wenig oder gar nichts zu tun. Opel etwa hat hausgemachte Probleme. Es gab vor drei, vier Jahren Fehlentscheidungen . . .

. . . aha . . .

. . . die vor allem unserer Muttergesellschaft General Motors angelastet werden müssen. Die Auswirkungen dieser Fehlentscheidungen, die das Produkt – das Auto und seine Antriebssysteme – betrafen, bekommen wir jetzt zu spüren. Es wurde von einigen Verantwortlichen . . .

 . . . oha . . .

. . . die heute nicht mehr bei GM sind, zu viel Geld in eine Globalisierungsoffensive gesteckt; und dann kam die Asienkrise. Danach lag etwa in Thailand ein neu gebautes Werk zwei Jahre lang still. Dagegen wurden die sich rasant verändernden Bedürfnisse der Kunden in Deutschland und in Europa kaum noch berücksichtigt.

Was war die Folge?

Wir hatten weder das Budget noch das Personal an Bord, um eine gescheite Antwort auf Lean-Production, auf die schnellen Fertigungsmethoden der Japaner, zu formulieren. Andere europäische Automobilhersteller brannten als Antwort auf die japanische Herausforderung ein Produktfeuerwerk für den europäischen Markt ab.

Und Opel?

Diese Entwicklung haben wir verschlafen. GM schielte auf den asiatischen Markt – und brach ein. Darunter haben wir heute zu leiden.

Und nun? Wird jetzt fusioniert, um vom Vorsprung in der Produktentwicklung bei anderen Unternehmen zu profitieren?

Es gibt aktuell ein Joint-Venture mit Fiat. Wir haben Defizite bei der Entwicklung von Dieselantrieben. Fiat ist auf diesem Gebiet aktuell europäische Spitze. Diese Zusammenarbeit ist tatsächlich eine unternehmerische Reaktion auf die Ökosteuer.

Inwiefern?

Die hat die Nachfrage nach Autos mit Dieselmotoren explodieren lassen.

Und die Arbeitsplätze in Rüsselsheim und in Turin werden wegen der Synergieeffekte implodieren.

Da gibt es keine Automatik. Die Frage ist: Wie sieht so ein Joint-Venture aus? Wo wird getrennt marschiert? Wo gibt es Gemeinsamkeiten?

Wo?

Konkret arbeiten Opel und Fiat bei der Motorenentwicklung und vor allem beim Einkauf zusammen. Die beiden Unternehmen verfügen über einen Marktanteil von 20 Prozent in Europa. Die Rechnung ist einfach und geht immer auf: Mehr Volumina bei den Bestellungen bei Zulieferern und bei den Rohstoffen = geringere Einkaufspreise. Der andere Gesichtspunkt ist, dass die Entwicklung eines Motors oder eines Getriebes heute extrem viel Geld kostet und Laufzeiten von bis zu zehn Jahren einzukalkulieren sind. Eine gezielte Zusammenarbeit mit den Spezialisten eines anderen Unternehmens beinhaltet deshalb immer Einsparpotenziale; zunächst nur an Geld und Zeit. Dabei werden Milliarden für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen vor allem für die Entwicklung neuer Technologien frei, von denen dann alle Beschäftigten profitieren.

Führen Sie das bitte aus.

Stichwort: Standortsicherung. In Zukunft wird es in Westeuropa nur noch um die Ersatzbeschaffung von Fahrzeugen für die Kundschaft gehen und nicht mehr um einen echten Zuwachs bei den Zulassungen. Der Verdrängungswettbewerb wird gnadenlos werden; er ist heute schon enorm groß. Und einige Automobilbauer werden da noch auf der Strecke bleiben.

Opel wird von einigen Analysten auch schon als Übernahmekandidat gehandelt.

Wir sind doch schon übernommen worden: 1929 von GM.

Herr Franz!

Es ist klar, dass der Verdrängungswettbewerb über den Preis ausgetragen wird. Der vom Kunden akzeptierte Preis hat natürlich Auswirkungen auf Entwicklungskosten, auf Fertigungskosten und auf Materialkosten. Wer da zu teuer produziert, fliegt weg.

Wer fliegt denn als Nächstes?

Ich will mich jetzt nicht darauf festlegen, welches Unternehmen demnächst vom Markt verschwinden könnte oder welches von einem Giganten geschluckt werden wird.

Was halten Sie von Übernahmen?

Auch Übernahmen sind kein Allheilmittel; Beispiel BMW und Rover. Wir setzen aktuell auf Joint-Ventures. Uns geht es bei allen Verhandlungen immer darum, die Einheit des Unternehmens zu erhalten. Und bislang waren wir damit auch erfolgreich.

Inwiefern?

GM ging auf unseren Druck hin mit einem Aktienanteil bei Fiat rein, um die deutschen Mitbestimmungsrechte für die deutschen Arbeitnehmer zu sichern, die demnächst in den Fiat-Werken arbeiten werden. Und die Beschäftigten dort behalten auch alle Zulagen und Sozialleistungen, so, als wären sie weiter Arbeitnehmer der Adam Opel AG.

Was heißt das für den Arbeitnehmerbegriff?

Man muss europäisch denken. Der europäische Betriebsrat von Opel ist im Konzern die wichtigste Institution auf der Arbeitnehmerseite geworden. Die Bundesregierung muss in diesem Zusammenhang unbedingt die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorantreiben. Der Arbeitnehmerbegriff muss neu – europäisch – definiert werden. Und es muss die Frage geklärt werden, was in den Zeiten von Joint-Ventures oder auch Übernahmen noch ein einheitliches Unternehmen ist.

Herr Franz, auch Opel baut noch Autos mit hoch verdichteten Motoren, die mehr als 250 Kilometer in der Stunde fahren können. Wozu?

Nur der wird die Nase vorn haben, der technologisch innovativ ist. Dabei geht es um die aktive und passive Sicherheit der Fahrzeuge, um den Komfort und um die Umweltverträglichkeit im Sinne des Kreislaufwirtschaftssystems . . .

. . . und nach wie vor ums Prestige.

Natürlich. Das Automobil hat heute einen noch höheren Stellenwert in der Gesellschaft als früher. Und vielleicht haben die Grünen ihren Frieden mit dem Auto und der Automobilindustrie nur deshalb gemacht, weil sie gemerkt haben, dass die Frage der individuellen Mobilität im Wesentlichen vom Auto abhängt.

Die Bahn . . .

. . . Es geht hier nicht um Bahnpreise, sondern um Lifestyle. Niemand braucht in der Stadt einen Offroader. Aber viele kaufen so ein Fahrzeug, um ihr individuelles Image zu demonstrieren.

Wird es in zehn Jahren noch Opel-Autos made in Rüsselsheim geben?

Auf jeden Fall. Auch deshalb, weil sich bei Opel der Betriebsrat zusammen mit dem Vorstand um das Produkt kümmert. Der Blaumann hat bald ausgedient. Ganze Module etwa werden bald die Teilewirtschaft ersetzen. Wir sind modern. Und wir müssen weiter modernisieren. Und deshalb ist hier auch kein Mensch gegen die Ökosteuer.

Was muss die Regierung tun?

Die Politik müsste der Automobilindustrie nur endlich einmal eine Vorgabe machen, die so aussehen könnte: Senkung des Spritverbrauchs in Relation zur Erhöhung des Benzinpreises.

Was haben wir davon?

In fünf Jahren kostet der Liter Super dann vielleicht tatsächlich fünf Mark; aber die Autos verbrauchen weniger als die Hälfte Sprit im Vergleich zu heute. Das wäre kostenneutral – für den Kunden. Wer könnte da noch etwas gegen die Ökosteuer haben?

Zitate:

FRANZ ÜBER DIE OPEL-KRISE:„Mit der Ökosteuer hat das wenig zu tun. Es sind hausgemachte Probleme.“

FRANZ’ APPELL AN SCHRÖDER:„Der Arbeitnehmer- begriff muss neu definiert werden europäisch.“