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Mehr Sozialarbeit für die Restlaufzeit

■ Streit zwischen Flüchtlingen und Laubenpiepern : Bremen wird Mietverträge für Kattenturmer Flüchtlingsunterkünfte nicht verlängern / Für vier Jahre gibt es noch einen Extra-Sozialarbeiter

Die Mietverträge für die Flüchtlingsunterkünfte an der Kattenturmer Heerstraße werden definitiv nicht verlängert. Das hat gestern Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) verkündet. Damit gehen die Einfamilienhäuser nach Ablauf der zehnjährigen Mietgarantie in den Jahren 2003 beziehungsweise 2004 zurück an die Eigentümer. Die BewohnerInnen sollen künftig in verschiedenen Stadtteilen untergebracht werden.

Seit Jahren schwelt ein Konflikt über die Kattenturmer Gartenzäune hinweg (die taz berichtete): Die Kleingärtner finden auf ihrer Parzelle keine Ruhe. Zum einen sei ihr Bedürfnis nach Erholung nicht mit den Lebensgewohnheiten der großen Familien aus Bosnien, der Türkei oder dem Libanon zu vereinbaren – dabei gehe es vor allem um Lärmbelästigung bis spät in die Nacht. Zum anderen sei es wiederholt zu Übergriffen durch einen Teil der rund achtzig Kinder und Jugendlichen aus der Siedlung gegen die Laubenpieper gekommen.

„Zerstörte Pflanzen und Zäune, abgebrochene Antennen oder eingeschlagene Scheiben“ seien an der Tagesordnung, sagt Jürgen Borchard, 1. Vorstizender des Gartenvereins „Wolfskuhle“. Wer sich beschwere, müsse mit „übelsten Beschimpfungen oder sogar einem besprühten Auto“ rechnen. Sogar zu tätlichen Angriffen und Steinwürfen soll es schon gekommen sein. Obwohl die Polizei eigens einen Kontaktbereichsbeamten abstellte, würden manche Gärtner nicht einmal mehr wagen, die Taten anzuzeigen. Der Vereinsvorstand will sich künftig für alle darum kümmern – auch um zu verhindern, dass die Stimmung unter den Gärtnern überkocht.

Über die Entscheidung, die Nutzungsverträge für die Unterkünfte nicht zu verlängern, sind die Gartenfreunde glücklich. Einstweilen wollen sie dennoch die Verständigung mit ihren Noch-Nachbarn suchen. Borchard hat bereits Kontakt mit den Sozialarbeitern der Arbeiterwohlfahrt aufgenommen, die die Flüchtlinge betreuen.

Die bekamen jüngst Verstärkung, arbeiten jetzt zu dritt. Mit längeren Öffnungszeiten und neuen Angeboten wollen sie den Nachbarschaftskonflikt entschärfen. Lehrbeete wurden angelegt, um den Kids die Gartenfreuden nahezubringen, und gemeinsam Unrat entsorgt. Aber auch ein neuer Sichtschutz-Zaun zwischen Kinderspielplatz und Gartenkolonie soll die Konfliktparteien trennen. An ein einvernehmliches Nebeneinander, das eine Verlängerung der Mietverträge nahelegen würde, glaubt jedoch niemand mehr.

„Es ist gut, wenn das Ghetto aufgelöst wird“, sagt Mounir El-Serri. Der Sozialarbeiter im nahegelenen Jugendzentrum Dar-al-Salam ist überzeugt, dass Integration am Rande der Stadt äußerst schwierig ist. „Und da draußen ist nichts los. Kein Wunder, dass die Kinder durch die Gärten toben.“

Ortsamtsleiter Sven Wojzischke hält eine Unterbringung „in dieser Masse für unverträglich“ und begrüßt die frühe Entscheidung der Sozialsenatorin – weil dann genug Zeit für die Suche nach neuen Quartieren bleibe. Er erinnert daran, dass sich der Beirat schon 1996 gegen eine Verlängerung über 2004 hinaus ausgesprochen hatte.

Auch Adolf selbst war nie besonders glücklich mit der Unterkunft. „Aber das entsprach den damaligen Umständen: Der Wohnungsmarkt war Anfang der 90er Jahre zu. Integration ist sicherlich sinnvoller in den Stadtteilen“, erklärte die Behördenchefin gegenüber der taz nach ihrem dritten Besuch vor Ort. Die Betroffenen wird sie erst in der nächsten Woche besuchen, nachdem alles entschieden ist. Gut möglich, dass sie auf Verständnis stößt: Die Familien genießen zwar die geräumigen Häuser, „aber viele schämen sich der Adresse und würden lieber heute als morgen wegziehen“, weiß Sozialarbeiter El-Serri. jank

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