: Die kinderlose Übermutter
Mutter Beimer hatte schon im März Geburtstag, Marie-Louise Marjan wird erst heute 60 Jahre alt. Der WDR ehrt die stets menschelnde Schauspielerin mit dem Porträt „Glück gehabt“ (22.10 Uhr)
von ARNO FRANK
Einmal, ein einziges Mal nur aus der Rolle fallen, die ihnen Popularität und Einkommen garantiert, daran hatten die Bewohner der „Lindenstraße“ offensichtlich große Freude. Eine Ausstellung des Fotografen Thomas Koch im April letzten Jahres zeigte die Dauerdarsteller mal anders. Ganz anders. Dr. Dressler etwa unter einer Schlammschicht. Hansi hüpfend vor einem Garagentor. Gabi Zenker als Scarlett O’Hara. Hans Beimer als gelackter Mafiosi auf dem Autofriedhof. Nur Mutter Beimer sah aus wie Mutter Beimer – also wie Marie-Luise Marjan.
Heute wird die Frau 60 Jahre alt, und der WDR schenkt seinem besten Pferd im Stall ein Geburtstags-Special – zwei Episoden ganz nach den Wünschen der Schauspielerin Marjan (21.05 Uhr, 15. August, ARD). Und welche Rolle wünscht sie sich? Die Mutter Courage, vielleicht auch mal eine Puffmutter? Nein, Mutter Beimer spielt eine Operndiva, die sich mit armen Zirkusleuten verbündet, um die Poesie der Manege zu retten. Seufz. Und eine Richterin, die angesichts des Todes ihren „geliebten Menschen“ geordnete Verhältnisse hinterlassen will. Schnüff. Und als Regisseur hat sich Marie-Luise Marjan einen Crack namens Winczewski verpflichtet, der auch schon erfolgreich „Der Landarzt“, „Verbotene Liebe“ und eben die „Lindenstraße“ abgedreht hat. Keine Kompromisse, aber auch keine Experimente: Beimer bleibt Beimer, wie sie singt und lacht. Verschüttet und erstickt unter dem Gewicht der Glucke ist die Marjan als Schauspielerin. Dass sie in den Siebzigern mit Will Quadflieg, Hans Schalla oder Peter Zadek arbeitete – vergessen. Dass ihre vormals veritable TV-Karriere bei Wolfgang Petersens „Smog“ (1972) begann – verweht.
Weil „es sich nie ergeben hat und dann auch irgendwann zu spät war“, hat Frau Marjan keine Kinder – mit der Helga Beimer indes ihre Mutterrolle gefunden. Bei Unicef tut sie Gutes, redet darüber und streitet für familiäre Werte. Das „Ehegelübde“ beispielsweise, das sie nie abgelegt hat, obschon sie doch seit 17 Jahren ihrem Beleuchter Bodo treu ist. „Treue“ ist denn auch ihre liebste Tugend, neben „Humor, Sensibilität und Zuverlässigkeit“. Ihr Lieblingsbuch ist „Was mein Herz bewegt“, ihre Lieblings-CD „Was mir am Herzen liegt“ – beides von Marie-Louise Marjan. Und wenn sie kocht, dann „Shrimps à la Helga Beimer“ aus dem Kochbuch „Frisch vom Markt“ von Marie-Louise Marjan. So weit, so selbstreferentiell, affirmativ und gut. „Das Gute auf Erden soll überwiegen“, sagt sie mit jener aggressiven Naivität, die auch ihrer Rolle in der „Lindenstraße“ eigen ist: Leise Zuneigung gerät ihr da zu Lüsternheit, Besorgnis kippt verlässlich ins Hysterische.
Maria Schell hat sich einmal mit berechtigtem Furor dagegen verwahrt, „Seelchen“ genannt zu werden. Frau Marjan mag gar nichts anderes mehr sein als eine „Hochglanz-Frau“ um die 60, möchte „gerne einmal strahlen, glänzen“. Wo sie doch als Frau Beimer stets den Fährnissen von Leben und Drehbuch trotzig die Stirn bietet und role model sein will, anstatt aus der Rolle zu fallen. Sie wird 70, sie wird 80, sie wird 100 werden und die zeitlos-biedere Meta-Mutter bleiben, als die sie Hans W. Geissendörfer inthronisiert hat.
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