: Politisches Urteil in Malaysia
Oppositionschef Anwar Ibrahim wird erneut verurteilt – diesmal zu neun Jahren Gefängnis wegen Homosexualität. Seine Anhänger demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude. Menschenrechtsorganisationen kritisieren das Verfahren
KUALA LUMPUR rtr ■ Der inhaftierte ehemalige malaysische Finanzminister und Oppositionsführer Anwar Ibrahim ist gestern zu einer weiteren mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das Oberste Gericht des Landes verurteilte ihn wegen homosexueller Kontakte zu neun Jahren Gefängnis. Menschenrechtsgruppen sprachen von einem politischen Urteil, mit dem ein Herausforderer des seit 19 Jahren regierenden Ministerpräsidenten Mahatir Mohamad kaltgestellt werden solle. Anwar kündigte Berufung gegen das Urteil an.
Während des 14 Monate dauernden Verfahrens hatte die Staatsanwaltschaft Einzelheiten der Anklagepunkte wiederholt geändert. Zeugen berichteten, sie seien für belastende Aussagen bestochen worden. Im Juni wurde ein Polizist wegen Misshandlung Anwars in der Haft verurteilt.
Die verhängte neunjährige Haftstrafe schließt sich an eine sechsjährige Haft an, zu der Anwar im April 1999 wegen Korruption verurteilt worden war. Damit könnte sich Anwar frühestens im Jahr 2014 wieder um ein öffentliches Amt bewerben. Anwar bezeichnete sich in beiden Verfahren als unschuldig.
Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Urteil. Anwar sei weniger wegen eines Verbrechens als wegen seiner politischen Haltung verurteilt worden, sagte ein Sprecher der Menschenrechtsgruppe amnesty international (ai). Vertreter der in den USA ansässigen Gruppe Human Rights Watch und der malaysischen Menschenrechtsorganisation Suaram kritisierten, das Verfahren habe das Vertrauen in die Justiz des Landes erschüttert. Der Vorsitzende der malaysischen Oppositionspartei Demokratische Aktion, Lim Kit Sang, nannte den Dienstag einen schwarzen Tag für Demokratie und Gerechtigkeit in Malaysia. „Mahatir verliert langsam seine Legitimität“, sagte Syed Husin von der Oppositionspartei Rakyat Malaysia. Der 52-jährige Anwar war im September 1998 verhaftet worden, nachdem er Demonstrationen mit teilweise mehr als 30.000 Teilnehmern angeführt hatte.
Seine Nationale Gerechtigkeitspartei fordert politische und wirtschaftliche Reformen im Land. Darüber hatte sich Anwar mit seinem einstigen Förderer Mahatir überworfen, der ihn in der Regierungspartei bis zum stellvertretenden Ministerpräsidenten hatte aufsteigen lassen. Vor Gericht forderte Anwar erneut zum Kampf gegen staatliche Korruption auf. Er bezeichnete sich als Opfer einer von Mahatir gesteuerten politischen Verschwörung.
Die Opposition kündigte Demonstrationen gegen das Urteil an. Erste Protestversammlungen vor dem Gerichtsgebäude zerstreute die Polizei. Dabei nahm sie nach eigenen Angaben den Vizepräsidenten der Gerechtigkeitspartei, Tian Chua, fest. Nach der ersten Verurteilung Anwars war es zu tagelangen Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Anhängern Anwars und Sicherheitskräften gekommen.
Anwars Partei wird derzeit von seiner Ehefrau Wan Azizah Wan Ismail geführt. Anwars Familie kündigte an, ihren politischen Kampf fortzusetzen.
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