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glühbirnen, russland etc.Heute nur große Tüten

Einkaufen

Es läuft ja darauf hinaus, dass mein Kontakt mit der Außenwelt sich aus beruflichen Gründen mehr und mehr aufs Einkaufen beschränkt. Ich gehe immer zu den Haupteinkaufszeiten, wenn ich in der Schlange warten muss, damit man nicht denkt, ich hätte zu viel Zeit.

Neuerdings gibt es aber einen Grund mehr, sich vor dem Einkaufen zu fürchten; ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erleben dürfte: eine hübsche Kassiererin. Ich stand zufällig in ihrer Schlange, als ich sie sah, und überlegte, ob das, was ich ihr aufs Band legen würde, ihr Interesse wecken könnte. Aber es war kurios, ich hatte zufällig russische Eier im Korb, ein Glas Gurken, drei Büchsen Bier, und eben hatte ich noch die neue Ausgabe von Russki Berlin dazugelegt. Sie musste mich für einen Russen halten und verbarg ihre Überraschung hinter dieser subalternen Gleichgültigkeit, die mein Interesse nur noch anstachelte.

Beim nächsten Mal war ich vorgewarnt. Ich wollte eigentlich nur ein Brot und ein paar Tomaten kaufen, aber da sie wieder an der Kasse saß, musste ich ihr schon ein bisschen mehr bieten. Ich kaufte nicht den A&P-Camembert, sondern den guten, der mir gar nicht schmeckt. Ich kaufte einen Blumenkohl und Paniermehl, denn ich konnte kochen. Ich kaufte eine 25-Watt-Birne, die zu dunkel zum Lesen war und nicht zu hell zum Sex. Ich kaufte kein Bier, sondern einen Rotwein für 8 Mark. Ich ging sogar so weit, nur eine Tomate zu kaufen statt zwei – ich war allein und noch zu haben. So ausgerüstet, stellte ich mich in ihrer Schlange an und beobachtete sie dabei, wie sie, ohne sich etwas anmerken zu lassen, angestrengt über mich nachdachte. Ein junger Russe, der selber kocht, keinen Wodka trinkt, sondern Rotwein, der jeden Tag zweimal bei Kaiser’s in der Schlange steht und einen Satz wie „Heute sind nur große Tüten“ nicht versteht!

In Russland kommen die Verkäuferinnen ja in der gesellschaftlichen Hierarchie noch gleich hinter den Börsenmaklern, und die meisten russischen Männer sind verlottert; wenn man aber einmal einen von den anderen erwischt, dann kann er mehrere Instrumente spielen, geht für seine Frau durchs Feuer und lernt im Bus Goethes Faust auswendig, obwohl er gar nicht Deutsch kann. Was für ein Glück habe ich, schoss es ihr durch den Kopf, gerade erst habe ich in dieser Filiale angefangen, und schon ziehe ich das große Los. Ich werde ihn aber erst noch ein bisschen mit meiner subalternen Gleichgültigkeit reizen, und in ein paar Wochen kauft er zwei Tomaten. Das wäre doch gelacht. Als ich dran war, schreckte sie aus ihrer Träumerei auf und fragte mich, ob ich den Bon brauche. Ja, log ich frech, um noch ein wenig bei ihr verweilen zu können. Zur Strafe ließ sie das Band so schnell laufen, dass ich mit dem Einpacken nicht hinterherkam.

JOCHEN SCHMIDT

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