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Mahlow: Ein Dorf bleibt sich treu

Vier Jahre nachdem in dem Dorf bei Berlin ein farbiger Brite schwer verletzt wurde, geben die Rechten nach wie vor den Ton an. Eine aus Kreuzberg zugezogene deutsch-türkische Familie ist nur bei Aldi willkommen – wegen ihrer Großeinkäufe

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Neonazis kannte die Familie bis vor zwei Jahren nur aus dem Fernsehen. Doch seit die Özbeks aus Berlin-Kreuzberg vor die Tore der Stadt ins Brandenburgische gezogen sind, haben sie täglich das Gefühl, in einem Film über Rechte im Osten mitzuspielen – als Statisten.

Hauptdarsteller sind rechte Jugendliche, die seit Jahren zum Dorfbild gehören. Bereits 1996 geriet das 8.200 Einwohner zählende Mahlow in die Schlagzeilen (siehe Chronik). Seitdem hat sich nichts verändern. Mahlow ist sich treu geblieben.

Der Weg zur oder von der S-Bahn-Station ist für Menschen wie die Özbeks nach wie vor ein Spießrutenlauf. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Familie – Vater Tekin (42), Mutter Carmen (40), die sich seit ihrem Übertritt zum Islam Ayse nennt, und ihre zehn Kinder zwischen 5 und 21 Jahren – nicht zu den 177 Ausländern im Ort gehört. Denn sie haben alle einen deutschen Pass und sprechen Deutsch wie die gebürtigen Mahlower. Türkisch spricht der Vater nur, wenn er mit seinen Kindern schimpft. Doch die dunklen Augen und Haare einiger der Kinder und das Wissen darüber, dass es „Türken“ sind, scheint Grund genug zu sein, sie als „Hurensöhne“, „Knoblauchfresser“, „Kanaken“ oder „Türkenschlampe“ zu beschimpfen.

Yasemin (11) und Murat (9), die in Mahlow auf die Grundschule gehen, müssen sich von gleichaltrigen Kindern anhören, dass sie „mit Türken nicht spielen“, oder sich auf dem Schulweg anspucken lassen. Die Özbeks hätten auch die Möglichkeit gehabt, die Kinder auf die Grund- und Gesamtschule „Herbert Tschäpe“ im Nachbardorf Blankenfelde zu schicken. Doch Nachbarn hatten sie gewarnt: „Dort sollten Sie Ihre Kinder nicht hinschicken. Da gibt es zu viele Rechte.“

In einem kleinem Neubaugebiet in Blankenfelde verteilten erst vor wenigen Tagen Rechte NPD-Aufkleber. Eine Familie, die vor vier Jahren von Berlin hierher zog, sagte gegenüber der taz, dass viele der Lehrer resigniert hätten. „Die hoffen nur, dass der rechte Spuk irgendwann zu Ende ist“, erzählt der Vater, dessen Sohn bis vor kurzem die Tschäpe-Schule besuchte. Dort würden Schüler zum Tragen von Springerstiefeln und Bomberjacken gezwungen. Und der Englischlehrerin werde mit den Worten „Wir sind hier in Deutschland, hier wird Deutsch gesprochen“ der Kurs vorgegeben.

Als er und seine polnische Ehefrau dies auf einer Elternversammlung beklagten, hatten sie das Gefühl, „in ein Wespennest zu stechen“. Nur: „Die Lehrer halten sich für machtlos und haben Schiss, eins auf die Schnauze zu kriegen.“

Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich die Gespräche der Özbeks an dem großen Küchentisch um Neonazis drehen. „Das tut weh im Herzen“, sagt Ayse Özbek. Der älteste Sohn Mehmet, der Jura studiert, ergänzt: „Man kann nicht in Ruhe durchs Dorf laufen. Ständig heißt es „Kanaken, verpisst euch!“

Zuschauer der rechten Dauer-Serie sind Dorfbewohner, die sich nicht trauen, den Jugendlichen Paroli zu bieten. Oder Rufe wie „Kanaken raus“ und „Dönerfresser“ nicht schlimm finden. Oder einfach weghören.

Das Pech der Özbeks: Als sie bei einer Versteigerung das Haus in Mahlow erwarben, interessierten sie sich nur für die verkehrsgünstige Lage – von Kreuzberg braucht man mit der S-Bahn keine halbe Stunde – und die 450 Quadratmeter Wohnfläche. Von den damaligen Schlagzeilen wussten sie nichts. Warnungen von Freunden und Nachbarn in Berlin – „Seid ihr verrückt, dorthin zu ziehen?“ – schlugen sie in den Wind.

So schlimm wird es schon nicht werden, dachten sie. Schließlich war das Paar schon zu Beginn ihrer Beziehung auf Widerstand gestoßen. Als sie 1979 heirateten, wurden sie von Tekin Özbeks Vater auf die Straße gesetzt. Er wollte keine deutsche Schwiegertochter. „Wir wohnten dann eine Zeit lang in einem Keller ohne Wasser“, erzählt der Schlosser, der als 13-Jähriger nach Berlin kam. Doch diese Schwierigkeiten, ergänzt seine Frau, die beim Karneval der Kulturen im Juli mit einer Kung-Fu-Gruppe als chinesischer Löwe verkleidet durch das multikulturelle Kreuzberg zog, seien nichts im Vergleich zu der Ablehnung in Mahlow.

„Die können nicht verstehen, dass ein Anatole hierher kommt und ein Haus kauft“, fasst Tekin Özbek seine Erfahrungen zusammen. Die Eltern können erst dann einigermaßen ruhig schlafen, wenn das letzte Kind von der S-Bahn heil nach Hause gekommen ist. Und selbst wenn alle im Bett liegen, bleibt ein mulmiges Gefühl. Ayse Özbek erzählt, wie kurz nach ihrem Einzug nachts Bierflaschen gegen ihr Haus geworfen wurden. „Und wenn es irgendwann nicht mehr nur Flaschen sind?“, fragt sie und wagt nicht, das Wort Molotowcocktail auszusprechen. „Sollen wir in jedem Zimmer einen Feuerlöscher installieren?“

Tekin Özbek, der kräftig berlinert, hat versucht, sich mit den Nachbarn anzufreunden. „Früher sagte ich immer guten Tag“, erzählt er. Doch seit Jugendliche, die ihn am Bahnhof beleidigten, am Wochenende in Nachbars Garten sitzen, Bier trinken und „Kanake verrecke“ grölen, ist es aus mit seinem Entgegenkommen. Auf die Frage, warum er so etwas zulasse, habe der Nachbar geantwortet: „Ich will die Freunde meines Sohnes kennen lernen.“ Richtig willkommen sind die Özbeks nur bei Aldi, wo sie regelmäßig ihre Großeinkäufe machen.

Bisher haben die Özbeks zwei Anzeigen erstattet. Die erste blieb folgenlos, die Täter konnten nicht ermittelt werden. „Zwei unserer Söhne und ihre Freunde wurden mit ‚Zickezacke, zickezacke, hoi, hoi, hoi‘-Rufen übers Feld gejagt“, erzählt der Vater.

Die zweite Anzeige erstattete er am vergangenen Donnerstag. Als zwei seiner Söhne abends von der S-Bahn kamen und an der Gastätte „Lindengarten“ am Bahnhof vorbeiliefen, wurden sie von einem der Polizei bekannten Jugendlichen aus einer Gruppe von „Glatzen“ heraus verfolgt. „Er beschimpfte uns als Knoblauchfresser und Hurensöhne“, berichtet Mehmet, der älteste Sohn.

Zwar hofft die Familie, dass diese Anzeige mehr Erfolg haben wird, weil sie sich nicht gegen unbekannt richtet. Doch andererseits schrauben sie ihre Erwartungen nicht zu hoch. Denn als die Polizei zum „Lindengarten“ kam, hätten die Jugendlichen weiter „Scheiß Türken“ gepöbelt, ohne dass die Beamten eingegriffen hätten. Am nächsten Tag rief der vorbestrafte Jugendliche an, um sich zu entschuldigen. Er habe Stress mit der Arbeit gehabt. Doch die Özbeks wissen noch nicht, ob sie seiner Bitte, die Anzeige zurücknehmen, nachkommen werden.

Polizeihauptkommissar Wolfgang Wassermann von der zuständigen Direktion im 25 Kilometer entfernten Zossen schildert die Situation in Mahlow auf seine Art: „Einzelfälle will ich nicht ausschließen“, sagte er gegenüber der taz. Doch die Schilderungen der Özbeks seien übertrieben. „So verbissen ist es nicht.“ Wassermann zieht es vor, zu betonen, dass seit dem Vorfall mit Noël Martin „keine Konzentrationen von Jugendlichen am Bahnhof mehr zugelassen wurden“. Er räumt zwar ein, dass es dort Rechte gebe – „Das ist klar“ – und dass er die meisten, die auf dem Platz „rumhängen und saufen“, kenne. Doch: „Es ist schwer, an die Klientel ranzukommen. Die sind oft so voll, dass es sinnlos ist.“ Gerade so, als wolle er den Özbeks unfreiwillig Recht geben, die die Teilnahmslosigkeit von Anwohnern und selbst von Polizisten für besonders fatal halten, sagt der Polizeihauptkommissar: „Die Situation dort unterscheidet sich nicht von anderen Orten.“ Zum Schluss verweist er auf „Versäumnisse im Elternhaus“.

Die Özbeks indes wollen sich nicht unterkriegen lassen. „Wir sind selbstbewusst und lassen uns nicht unterdrücken“, stellt der Vater klar, der seit geraumer Zeit über Herzschmerzen klagt. Am Dienstag bekamen sie Besuch von zwei Beamten von der Potsdamer Polizei, die sich nach einem Zeitungsbericht ein eigenes Bild machen wollten. Sie versprachen den Özbeks, „den Ort zu durchleuchten“, und hinterließen eine Telefonnummer für Notfälle.

Wenn der Bürgermeister von Mahlow aus dem Urlaub zurück ist, will Tekin Özbek zu dessen Sprechstunde gehen. Seine Frau ergänzt mit leiser Stimme: „Wir wollen doch einfach nur hier leben.“ Auch Sohn Mehmet denkt nicht an Wegzug: „Es ist schön grün und ruhig hier“, sagt er. Es fällt ihm nicht auf, dass das mit der Ruhe relativ ist.

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