die anderen:
Zur Präsidentenwahl in den USA schreibt Respekt aus Prag: Das Bild des angegrauten Texas-Gouverneurs George Bush junior als blutrünstigem Politiker ist Unsinn – seine Positionen sind allgemeine Grundpfeiler der US-Konservativen. Kern von Bush ist vielmehr, die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft zu stärken. Sollte der Junior tatsächlich die Wahl gewinnen und seine Vorstellungen durchsetzen können, würde dies für die USA eine Zäsur bedeuten – vor allem für jene, die vom Rad des Fortschritts überrollt wurden.
Zum Wahlparteitag der Demokraten meint The Independent aus London: Vor einiger Zeit verriet Al Gore, dass er sich, vor ein ernstes Problem gestellt, zu fragen pflegt: Was würde Jesus jetzt tun? Gore ist kein schlechter Wahlkämpfer, und mit etwas Rückenwind vom Parteitag der Demokraten sollte er zumindest dafür sorgen können, dass Bush bis zum Wahltag noch etwas für sein Geld tun muss. Aber wenn Gore wirklich ins Weiße Haus will, muss er Amerika klar und deutlich sagen, was er dort tun würde – er und nicht Jesus.
Wedomosti aus Moskau kommentiert die ersten 100 Tage von Präsident Putin: Putin hat den alten Einflussgruppen den Kampf angesagt und jeglichen Widerstand von deren Seite gebrochen. Er hat die Verfaultheit und Nichtigkeit der alten Eliten offen gelegt und sich als strukturbildendes Element der russischen Politik etabliert. Putin korrigiert das schlimmste Erbe der Jelzin-Ära: Er verwandelt den Staat von einer Geisel mehrerer korrupter Gruppen in ein Instrument zur Umsetzung des Willens und der Interessen der Gesellschaft.
Zur umstrittenen Heiligsprechung des letzten russischen Zaren Nikolaus II. meint Libération aus Paris: Dem Patriarchen Alexi II., heißt es in Moskau, mussten gehörig die Ohren lang gezogen werden, bis er für die Heiligsprechung der „Märtyrer des Kommunismus“ grünes Licht gab. Man kann seine Skrupel verstehen, selbst wenn es dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche gelingt, sie zu überwinden: Es liegt in der Tat einige Ironie darin, Alexi sich um die mögliche Heiligkeit von Opfern des Kommunismus sorgen zu sehen, während man alle historischen Gründe zur Annahme hat, dass er 1958 vom KGB in Estland mit dem Versprechen einer hübschen Kirchenkarriere angeworben wurde. Präsident Putin – dieser andere „Veteran“ der sowjetischen Geheimpolizei, der heute gerne erzählt, dass er von seiner Mutter insgeheim getauft worden war – teilt die moralischen Probleme des Patriarchen offensichtlich nicht: Wenn die Heiligsprechung von Nikolaus II. die Nationalisten zufrieden stellt, mag die Sache für den Präsidenten offenbar schon angehen.
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