: Je mehr Flusen, desto besser
■ Mehr als eine Million Mark zahlt Karstadt Bremen im Jahr für die Reinigung des hiesigen Kaufhauses / Eine Mammutaufgabe mit Hindernissen in der Dekoration
Gläser, Spiegel, Lampen, Fern-seher, Edelstahltöpfe, Geschirr, Teddys, Bücher, Parfumflakons. Auf den Böden, an den Wänden, in den Regalen – überall stehen, sitzen, liegen sie: Staubfänger – wohin das Auge reicht. Dazu kommen Teppich- und Linoleumböden, mit einem Flächenmaß von rund zehn Fußballfeldern, die täglich gesaugt, gewischt und gebonert werden möchten. Putzen im Kaufhaus. Für die aktive Hausfrau eine Horrorvorstellung, die die Frage nach sich zieht: Wie verdammt noch mal hält man ein fünfstöckiges Gebäude mit rund 45.000 kaufwütigen Besuchern pro Tag eigentlich sauber?
Wer an dieser Stelle denkt, jedes Verkaufsobjekt wird von einer Putzfrau liebevoll einzeln poliert, irrt gewaltig. „Das kann sich keiner leisten“, ist Ingrid Just überzeugt. Sie ist Objektleiterin der Firma GfG (Gesellschaft für Gebäudereinigung) und für die Reinigung des Bremer Warenhauses Karstadt zuständig. Pünktlich um sechs Uhr treten „ihre Leute“ hier allmorgendlich den Dienst an. Ausgestattet mit Wischmopp, Sauger und Poliermaschine begeben sie sich auf die dreieinhalbstündige Jagd, den Feind stets vor Augen: Schmutz – in den verschiedensten Varianten.
„Der Putzablauf ist strikt organisiert“, erklärt Klaus Laderer, Organisationsleiter der Karstadt Warenhaus AG. Die Angestellten der GfG kümmern sich täglich nur um die Pflege der Bodenflächen. Für besondere Arbeiten, wie Kassen säubern, werden Sonderstunden berechnet: 400 Mark pro Monat.
Um das Kaufhaus sauber zu halten, sind 36 Reinemacher jeden Tag im Einsatz. Vier von ihnen pro Etage. Teppiche saugen und Papierkörbe leeren steht dort auf dem Programm. Die Linoleumböden werden gemoppt oder mit riesigen Wischmaschinen gesäubert. Hört sich alles sehr einfach an. Strenge Vorschriften erschweren allerdings die Arbeit. Denn überall auf den Böden liegen Kleidungsstücke verstreut, die von den Kunden auseinandergerissen wurden. „Den Mist muss ich dann wegräumen“, erzählt Just. Denn das Aufheben der Ware ist der Putzkolonne nicht gestattet. „Das heißt dann gleich, die würden klauen.“ Besonderes unbeliebt: der Schnäppchenmarkt. Hier sieht's aus, als hätte ein Tornado gewütet: Hemden, Blusen, T-Shirts liegen verstreut auf und unter den Verkaufsständern. Aber damit nicht genug. Einige Abteilungen gleichen einem Hindernisparcours. Im Weinkeller stehen, auf Fässern kunstvoll drappiert, Pyramiden aus Flaschen, an denen sich die Putzfrauen mit akrobatischem Geschick vorbeischlängeln müssen. „Das nennt man Deko“, so Just trocken. „An uns wird dabei nicht gedacht.“ Da fällt schon mal ab und zu was zu Boden. „Sehr ärgerlich, weil wir das bezahlen müssen.“ Und noch etwas erhitzt ihr ruhiges Gemüt: „Wir arbeiten bei halber Beleuchtung und die Lüftung ist auch aus“, beschwert sie sich. „Karstadt muss sparen, das geht am besten bei uns.“
Doch ihre Angestellten scheinen zufrieden. „Ich bin froh, dass ich überhaupt Arbeit habe“, sagt Körkmaz Akjütz. Seit sechs Monaten fährt der Türke für 14,62 Mark die Stunde mit einer Wischmaschine durch Karstadts Gänge. Im Friseursalon fegt Radtka Manasijeska die Haarschnippel vom Vortag zusammen. Auch sie kann nicht klagen. „Gute Chefin“, lobt die Jugoslawin.
Irmgard Just pflegt einen freundlichen Umgang mit ihren Mitarbeitern. Dazu gehört auch, dass sie all ihre Angestellten beim Namen kennt, diese sogar buchstabieren kann. Bei Namen wie „Vigneswaran“ und „Rafaeloski“ gar nicht so einfach.
„Vertrauen gegen Vertrauen“, lautet auch die Devise von Klaus Laderer. Tägliche Taschenkontrollen fallen daher weg. „Da Diebstähle eher selten vorkommen, kontrollieren wir nur zwei- bis dreimal im Jahr.“
Was ist aber nun mit der Ware, die täglich durch tausende von schmutzigen, schmierigen Fingern wandert? „Dafür sind die Verkäuferinnen in den einzelnen Etagen selbst zuständig“, erzählt Just. Und damit's dabei auch professionell abläuft, hat sie eigens für die Ausstattung mit Staubwedeln gesorgt.
Für die Hygienebereiche des Warenhauses, wie Lebensmittelabteilung und Toiletten, gelten andere Vorschriften. Gesetze schreiben–s vor: Hier wird bis zu dreimal täglich der Feudel geschwungen. „Bei uns macht das ein Drittel der Reinigung aus“, erzählt Laderer. Was ist aber, wenn dem unvorsichtigen Kunden das Marmeladenglas aus den Händen gleitet? „853“, tönt es dann aus den Lautsprechern, was so viel heißt wie: „Tagesfrau bitte in der Zentrale melden.“ Bis zu drei dieser besagten Frauen sind während der Geschäftszeit in den Nebenbereichen (Büroräumen) beschäftigt, stehen bei „Notfällen“ auf Abruf bereit. Zusätzlich laufen sie „Patrouille“ – immer wachsam und mit dem Ziel, Schmutz und Dreck den Garaus zu machen.
Über eine Millionen Mark kostet der Karstadt AG das Putzvergnügen jährlich. Klaus Laderer sieht's gelassen: „Je mehr Flusen am Abend auf dem Boden liegen, um so besser war das Geschäft.“
Silke Katenkamp
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