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Visapflicht für Ökostrom

Die Braunkohleschutzklausel garantiert der Vereinigten Energiewerke AG (Veag) einen Gebietsschutz. Ostdeutsche können den von der taz-Kampagne empfohlenen Ökostrom deshalb nicht beziehen. Wird die Klausel jetzt gekippt?

von NICK REIMER

Wiedervereinigung? Für den deutschen Strom ein Fremdwort. Auch im elften Jahre nach Mauerfall ist die Grenze zwischen Deutschland Ost und West im Stromnetz noch intakt. Allerdings heißt diese hier nicht „antifaschistischer Schutzwall“ oder „Mauer“, sondern Braunkohleschutzklausel – ein Gesetz, das westdeutschem Strom verbietet „rüberzumachen“.

Genau genommen hat die Geschichte der Klausel schon 1990 begonnen. Damals gründete sich die Vereinigte Energiewerke AG (Veag), die alle einstigen sozialistischen Energie- und Netzkombinate unter ihrem Dach zusammenfasste. 1994 privatisierte die Treuhand, westdeutsche Stromgiganten wurden Eigner. Schwarze Pumpe, Boxberg oder Lippendorf: Über 16 Milliarden Mark steckte die Veag in das Netz und die maroden Kraftwerke. Vier der sieben sind braunkohlebetrieben und zählen heute zu den modernsten der Welt. Von den einst 120.000 Jobs in der realsozialistischen Braunkohleindustrie blieben nur 20.000 übrig. Um wenigstens die zu retten wurde 1998 die Braunkohleschutzklausel eingerichtet.

Mit der Liberalisierung des Strommarktes drängten ostdeutsche Landespolitiker nämlich erfolgreich auf einen gesetzlichen Gebietsschutz. Die Schutzklausel gestattet der Veag, ausschließlich eigenen Strom über das Netz in Ostdeutschland zu vertreiben. Die Europäische Kommission hatte keine Einwände.

Was das alles mit unserer Ökostromkampagne zu tun hat? Nun, alle von der taz empfohlenen Anbieter sitzen im Westen. Was den Leser jenseits der Mauer, der Braunkohleschutzklausel oder wie auch immer man die Stromgrenze nennen mag, nicht weiter zu interessieren braucht. Die im Braunkohleschutzklausel-Land lebenden aber schon: Selbst wenn sie wollten: Zwischen Rügen und Erzgebirge kommt – quasi mangels Visa – der von uns als sauber empfohlene Strom nicht an. Um ihren Absatz zu sichern, beruft sich die Veag, wann immer ein anderer Anbieter Großkunden beliefern will, auf die Schutzklausel.

Verständlich, dass sich gegen eine derartige Diktatur der Widerstand organisiert. So wurde die Veag jüngst gleich dreimal per richterliches Urteil angewiesen, „fremdem“ Strom die Einreise in das Veag-Netz zu gewähren. Leipzigs Stadtwerke etwa wollen statt des teuren Veag-Stromes billigere andere Anbieter nutzen. Stadtwerke-Sprecherin Marion Danneboom: „Mit den neuen Stromlieferern können wir gegenüber der Veag 27 Millionen Mark im Jahr sparen. Das schlägt sich natürlich in einem deutlich niedrigeren Strompreis nieder“.

Veag-Sprecher Albrecht von Truchseß erklärt die gewaltige Preisdifferenz so: „Die Liberalisierung hat bewirkt, dass vor allem die alten, umweltfressenden Schrottmühlen im Westen den billigsten Strom produzieren.“ Diese seien nämlich abgeschrieben, während die Veag mit ihrem Strompreis auch den Zinsdienst für ihre neu gebauten oder modernisierten Anlagen erwirtschaften muss. Auf 40 Jahre ist ihre Laufzeit veranschlagt, mindestens so lange werden sich die riesigen Abraumbagger noch in Lausitzer und mitteldeutsche Erde fressen. Nicht gerade eine beruhigende Vorstellung, wie selbst Veag-Sprecher Truchseß einräumt. „Aber wenn wir die AKWs abschalten wollen, muss der Strom ja irgendwo herkommen.“ Und da seien aus Umweltsicht die modernen ostdeutschen Anlagen optimaler als beispielsweise ukrainische.

Ein noch besseres Substrat gegen Atom- und Braunkohlestrom wäre natürlich der von der taz empfohlene saubere. Es ist aber allenfalls eine hübsche Illusion, dass der Ökostrom absehbar wenigstens ein Zehntel am gesamten Energiehaushalt der Bundesrepublik ausmacht. Derzeit werden nach Berechnung des Öko-Instituts Freiburg 6 Prozent des Gesamtstromes aus erneuerbaren Energien gewonnen.

Immerhin gibt es jetzt auch für Ostdeutsche Interessenten ein Hoffnungsschimmer. Aus kartellrechtlichen Gründen müssen die westdeutschen Stromkonzerne bis Jahresende ihre Veag-Anteile verkaufen. Um die Übernahme der Veag streiten sich seit gestern drei: Nach den Hamburgischen-Electricitäts-Werken (HEW) und dem US-Konzern Southern Energy bekundete gestern auch die Energie Baden-Württemberg (EnBW) ihr Interesse. Das Bundeswirtschaftsministerium will beim Verkauf die Braunkohleschutzklausel durch ein so genanntes Stabilitätsmodell ablösen. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller nennt die drei Verpflichtungen, die dieses Modell beinhaltet: „Erstens, dass langfristig jährlich 50 Terrawattstunden Strom aus ostdeutscher Braunkohle erzeugt werden. Zweitens, dass diese Strommenge auf Risiko der Veag verkauft wird. Drittens, dass Ostdeutschland voll in den Stromwettbewerb integriert wird, also ohne die Schutzklausel.“

Ökostrom käme dann „visafrei bis Hawaii!“ Man muss sich nur rechtzeitig anmelden.

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