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AL GORE HAT AUF DEM KONVENT DER DEMOKRATEN ÜBERZEUGTHerz und Hirn

Al Gore stand bei seiner großen Rede auf dem Konvent der Demokraten vor einer ganz anderen Aufgabe als George Bush jr. zwei Wochen zuvor bei den Republikanern. Gore brauchte nicht zu beweisen, dass er Ideen hat, aber mit seiner Schlussrede musste er zeigen, dass auch er, der Berufspolitiker, ein Herz hat. Bush hingegen, der, von konservativem Mitgefühl motiviert, stets sein „Herz sprechen“ lässt, musste beweisen, dass er intellektuell etwas zu bieten hat.

Also hielt Bush eine geschliffene, ja philosophische Rede, und Al Gore versuchte sich erst gar nicht in rhetorischen Kunstgriffen. Während sich der Provinzgouverneur Bush als politischer Denker präsentierte, stellte sich der Politikersohn Gore als jemand dar, der tiefe Wurzeln im Boden der Bergwelt Tennessees hat. Es scheint, als wären auf der politischen Bühne Amerikas die Möglichkeiten unbegrenzt, sich seine Masken und Rollen auszusuchen. Nur: Der philosophische Denker Bush ist genauso erlogen wie der Mann des Volkes Gore.

Doch während niemand glaubt, dass Bush seine Reden selbst schreibt, zweifelt niemand daran, dass Gore selbst schreiben kann, was er öffentlich verliest. Zudem fiel Gores schmucklose Rede angenehm bescheiden und konkret aus. Sie lebte glaubhaft von dem, was Gore als Politiker bei Begegnungen mit Bürgern erlebt und gelernt hat. Was er verspricht, ist wenig visionär, dafür aber konkret, überschaubar, solide und ziemlich genau das, was die Wähler sich zur Zeit am sehnlichsten wünschen. Gores Rede lebte auch vom Kontrast zu Bushs gestanzten Floskeln. Gores Vorstellung seiner Programmpunkte am Beispiel einfacher Menschen kontrastiert mit Bushs hohlen Formeln von compassionate conservatism und von „Prosperität mit tieferem Sinn“.

Gore hat mit seiner populistischen und anschaulichen Rede nicht nur sich und sein Programm vorgestellt, sondern zugleich Bush als Schaumschläger bloßgestellt. Dass Bush sich von diesem Schlag erholt, ist nicht ausgeschlossen, aber zunächst dürfte Gores Rede amerikanische Wähler daran erinnert haben, dass Bush, der sein Lebtag noch nie gearbeitet hat, kein Programm und noch weniger Erfahrung hat. Gore hingegen kann Amerikas gegenwärtige Prosperität sichern und etwas gerechter verteilen.

In der US-Politik geht es in erster Linie nicht um Authentizität, sondern darum, Wahlkämpfe zu gewinnen. Nachdem die Kontrahenten sich der Öffentlichkeit präsentiert haben, sind nun die Bürger dran. Und die werden die Geschicke Amerikas eher Al Gore anvertrauen, dessen Aussichten nach dem Abschluss des Demokratischen Parteitags in Los Angeles steigen werden. PETER TAUTFEST

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