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: Geschichten aus der fröhlichen Welt der Wissenschaft

Campus-Nachrichten

Dass die segensreichen Erfindungen des Blitzableiters und der Eismaschine, die Perfektionierung des Schnellkochtopfs und der Magnetismus Mesmers in engstem Zusammenhang zu Immanuel Kants faustischem Ringen um das ominöse „Ding an sich“ standen, ist eine ziemlich durchgeknallte Idee, auf die man natürlich nicht wissenschaftshistorisch, sondern nur als phantasievoller Erzähler kommen kann. In seinem Kant-Roman „Das Ding an sich“ brennt Klaas Huizing jedenfalls ein Erzählfeuerwerk der amüsantesten Art ab, eine literarische Fallstudie über Wege und insbesondere Irrwege akademischen Spekulierens.

Gäbe es das Berufsbild des arbeits- und erfolglosen Akademikers nicht längst, dann müsste es in jedem Fall für Huizings fiktiven Erzähler erfunden werden: „Nach ausgedehnten (leider von keiner Forschungsgemeinschaft geförderten) Studienreisen und der mühevollen Auswertung der von mir in den (oft ungeheizten) Archiven aufgestöberten Quellen (diese Jahre wirken in meinem wissenschaftlichen Lebenskauf wie eine Leerstelle, ich bin siebenunddreißig und noch immer nicht promoviert, mein ältester Freund hat bereits einen Lehrstuhl, und jene Freundin . . . ist längst Oberstudienrätin und zweimal geschieden) . . .“

Von solchen Typen und ihren Gegenstücken, den eitlen, arrivierten, karrieregeilen Professoren, lebt sehr wesentlich das Genre des Campus-Romans, dem wir so großartige Werke wie Nabokovs „Pnin“ und so flache Romane wie Schwanitz’ „Der Campus“ verdanken. Vollends in die Niederungen des Trivialen gerät man jedoch mit Heidi Rehns „Das Institut“, ein zwar nicht ganz ungeschickt erdachtes Intrigen- und Ränkespiel um Machtstrukturen und sexuelle Ausbeutung an einer Universität, das jedoch auf einem sprachlichen Niveau daherkommt wie eine Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Insbesondere die hölzernen Dialoge vermitteln nicht den Eindruck, unter Intellektuelle, sondern unter Vollidioten gefallen zu sein – was natürlich nicht unbedingt ein Widerspruch sein müsste.

So richtig spannend wird es für die Damen und Herren der Wissenschaft natürlich erst, wenn sie, aus welchen Gründen auch immer, der Geborgenheit ihrer Alma Mater den Rücken kehren und vom Campus in die große, weite Welt ziehen. Der Schweizer Professor und Romancier Jacques Neirynck legt mit „Die letzten Tage des Vatikan“ einen Roman vor, in dem so eine wissenschaftliche Dienstreise erfreulicherweise auch für den Leser zum Abenteuer wird.

Ein Nobelpreisträger für Physik wird vom Vatikan beauftragt, das Alter des Turiner Grabtuchs zu bestimmen. Dass der Vatikan dann das Ergebnis dieser Untersuchung zu unterdrücken versucht, macht einen der Stränge des sehr vielschichtigen Werks aus; ein anderer, vielleicht der interessanteste, besteht darin, den berühmten Gödelschen Satz der Mathematik ironisch auf die Theologie zu übertragen. Der Held nämlich glaubt, „nachgewiesen zu haben, dass es Lehrsätze gibt, die sowohl richtig als auch falsch sind: Leider war auch dieses fundamentale Theorem selbst sowohl richtig als auch falsch.“

Der Wissenschaftsbetrieb, insbesondere die Evolutionstheorie und die Psychologie, sind Gegenstand von Will Selfs Roman „Die schöne Welt der Affen“, einer sehr giftigen und sehr komischen Großsatire. Nach einer Nacht voll Suff und Sex und Drogen wacht ein Künstler auf und versteht die Welt nicht mehr – seine Freundin ist zur Schimpansin geworden, alle anderen Menschen haben sich ebenfalls in Affen verwandelt. Der Künstler hält sich nach wie vor für einen Menschen, was die Ärzte, Affen natürlich, die ihn behandeln, für einen interessanten psychischen Defekt halten. Die Welt also als Affenhaus und mittendrin – die Wissenschaft. Quod erat demonstrandum.

KLAUS MODICK

Klaas Huizing: „Das Ding an sich“. btb. 237 Seiten, 17 DMHeidi Rehn: „Das Institut“. rororo. 267 Seiten, 14,90 DMJacques Neirynck: „Die letzten Tage des Vatikan“. rororo. 396 Seiten, 16,90 DMWill Self: „Die schöne Welt der Affen“. rororo. 507 Seiten, 19,90 DM