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Ludwigsfelde zeigt „Geliebte weiße Maus“

Vor 35 Jahren erhielt die Autobahnstadt Ludwigsfelde das Stadtrecht. Anlass war die Aufnahme der Produktion des Fünf-Tonners W 50. Heute gibt es Freiluft-Filmvorführungen. Alte Werbespots zum W 50, Lehrstücke über Milchtankfahrzeuge und Komödien mit Rolf Herricht als Verkehrspolizist

von FALKO HENNIG

Ludwigsfelde erreicht man am besten über die Autobahn, es regnet, prasselt aufs Dach. Die feinen, von den Reifen hochgestäubten Wassertropfen bilden auf der Fahrbahn einen Nebel, als stiege er aus der Autobahn heraus. Vor dem Schönefelder Kreuz der berühmte Ikeastau in beiden Richtungen.

Vor 35 Jahren erhielt die Autobahnstadt Ludwigsfelde das Stadtrecht, Anlass war die Aufnahme der Produktion des Fünf-Tonnen-Lastwagens W 50. Davor waren in den Industriewerken Ludwigsfelde Motorroller gebaut worden, sie hießen Pitty, Wiesel, Berlin und Troll, noch früher in der Nazizeit stellte Daimler Benz hier Flugzeugmotoren her. Ludwigsfelde ist nicht nur vom Hauptarbeitgeber automobilistisch geprägt, der Südring des Berliner Rings durchteilt die Ansiedlung so ziemlich in der Mitte. Am sowjetischen Ehrenmal sind alle Tafeln abgeschlagen, auf dem Gelände lagern Teile für die im Bau befindliche neue Autobahnüberführung quer durch den Ort. Ich spaziere zur neuen Schallschutzmauer. An der Stelle, wo in meiner Kindheit die Autobahn verbotenerweise überquert wurde, ist eine Brücke im Bau, ich klettere rauf und rüber, auf mein früheres Schulgelände. Auf dem Schulhof stehen Fahrzeugfreunde aus der ganzen DDR bei ihren antiken Berlin-, Pitty- und Troll-Rollern.

Best Döner im neuen Rathausgebäude gleich neben den Räumen der Stadtwerke: Ich schlendere mit dem Fleischbrötchen über den leeren Platz, ein Fontanedenkmal zeigt nur den überdimensionierten und eigenartig unproportioniert aufgeblähten Kopf, in dem Schaukasten des Kulturhauses ist ein Gedicht ausgestellt: „Ein Talisman fürs Kulturhaus“:Ab heute ist die Freude groß –Ein Ameisenplüschtier wurdemir geschenkt – als Talisman,das ist famos – (Text: Rosi Büdke, Idee: Carla Karstädt)

Ein Trabbi, beklebt mit Kunstrasen und gelben Blüten, rast vorbei, beschriftet mit „Flower Power“ und „Ossi Power“. Bei der Weiterfahrt an der Poliklinik vorbei erinnere ich mich, wie wir als Kinder den Krankenhausmüll durchsucht haben, auf der Suche nach Einwegspritzen, die wir als Wasserpistole benutzten.

Das Museum befindet sich außerhalb der Stadt, dafür direkt gegenüber dem Eingang des Autowerkes, demnächst soll es in ein Bahnhofsgebäude umziehen. Nach 1989 wurde, ist ausgestellten Zeitungsartikeln zu entnehmen, noch ein IFA Laster hergestellt, doch trotz modernerer Fahrerkabine setzte sich das Ostauto nicht mehr durch, Ludwigsfelde steht seitdem wieder unter dem Mercedes Stern.

Postkarten der Stadt verschiedener Generationen, auf denen sie noch deprimierender wirkt als in Wirklichkeit, die Straße der Einheit, auf einer ist sogar ein Teil des Wohnblocks zu sehen, in dem ich aufgewachsen bin. Die Kaufhalle „Flink fertig“, obwohl längst nicht mehr so heißend, wurde sie auch zu meiner Zeit noch so genannt, oder „Flinki“. Heute ist sie ein Getränkemarkt. Das Rathaus residierte bis Anfang der 90er in schwarzen Holzbaracken, die vorher Behausungen der SS-Bewacher des örtlichen KZs waren. Über dem Eingang zum Werkstor stand früher der Bandwurmtitel: „VEB IFA-Automobilwerke Ludwigsfelde, Stammbetrieb des VEB IFA-Kombinat Nutzkraftwagen“.

Ein junger Mann erklärt ein Daimler-Benz-Flugzeugtriebwerk aus den 30ern, das aus einer verunglückten Maschine rekonstruiert wurde. In einem anderen Raum alte Reklamen: „Schwingsitze Modellreihe 050, stoßgedämpft, zentralgefedert, wartungsfrei“, IFA mobil DDR, Riesen-Streichholzschachtel mit einem L 60: „Konzentrierte Kraft“, ein Teller vom Verkehrssicherheitsaktiv, VEB IFA-Automobilwerke Ludwigsfelde, Streichholzbrief „Nutzfahrzeuge aus Ludwigsfelde“, ein aus mehreren Kreisen bestehender ewiger Kalender „IFA W 50, ständig im Einsatz“, Gläser, grüne Stirnsonnenschirme, Brieföffner IFA-Nutzkraftwagen, Geländewagen P3.

Im Gang in Glasvitrinen verschiedenste Modelle, IFA-L60-Allradfahrzeuge mit Ganzstahlpritsche und Plane, Tropenausführung. Erinnere mich an dieses angeblich sensationelle Explosionsverfahren zur Achsenschmiede, mit dem die zuständigen Ingenieure damals in den frühen 80ern sogar in der Aktuellen Kamera waren. Väter zeigen ihren flaumbärtigen Söhnen die alten Motorroller: „Auf so ’nem Ding hab ich meine Fahrerlaubnis gemacht.“

Nach acht gibt es Bauchtanz, standesgemäß für eine Automobilbauerstadt ist die Bühne eine Laderampe. Alle Tänzerinnen verschwinden, der Tanzlehrer vom Tanzstudio Aladdina mit einer Handtrommel und eine neue Solotänzerin führen einen kleinen Musiksketch auf, sie tanzt so aufreizend und wackelt mit ihrem Po immer näher zu ihm, bis er ihr einen Klaps gibt. Sie rauscht beleidigt spielend ab, er trommelt und trommelt allein weiter, bis sie durch die Perkussionskünste versöhnt und angelockt doch wieder tanzt. Ein Backenbärtiger verkündet am Mikrofon: „Wem das nicht gefallen hat, mit dem stimmt was nicht, das kann kein Mann sein.“

Endlich ist es dunkel genug für die angekündigten Filme, ein Laken an der Hauswand bildet bei noch ungefähr 40 Zuschauern die Leinwand. Der erste ist ein Werbefilm für den W 50, die Laster rollen über LPG-Felder. Ein mit Sitzbänken ausgestatteter Fünftonner holt Camper verschiedener Hautfarben von ihrem Zeltplatz ab. Dann abenteuerliche Aufnahmen, bei der die Kamera unter der Achse des allradgetriebenen Fahrzeugs angebracht ist, Kipper fahren durch den Tagebau, kippen nach links, nach rechts, nach hinten. Durch ein Marzahner Neubaugebiet, Autobahnen, Birkenwälder, Potsdam im Abenddämmer. Nach einer Weile sehen die eigentümlichen Fahrzeuge mit den kastenförmigen Fahrerhäusern richtig lustig aus, krönender Abschluss des Reklamestreifens ist der Werbeslogan „kraftvoll, vielfältig, umkompliziert“.

Der zweite ist ein Lehrfilm über ein Milchtankfahrzeug, mahnend erklärt darin Dr. Sonntag vom Institut für Milchforschung Oranienburg: „Das Milchtankfahrzeug ist das wichtigste technologische Glied.“ Letzter Film ist die Musikkomödie aus den 60ern mit Rolf Herricht als Verkehrspolizist und damit „Geliebte weiße Maus“, Beifall gibt es, als die Heldin auf ihrem rot-weißen Motorroller Troll durchs Bild fährt, immerhin das letzte hier in Ludwigsfelde produzierte Zweirad. Ich fahre zurück nach Berlin über die gespenstisch leere Autobahn, zu Hause im Fernsehen ein Film mit vielen Autoverfolgungsjagden: Dirty Harry II.

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