: Dienstleistungsmetropole
Zehn Jahre nach der Wende wurde der Traum wahr. Berlin boomt. Immer mehr Berliner arbeiten als Dienstleister. Vier Beispiele aus dem statistischen Leben derer, die die „Neue Mitte“ bedienen
von UWE RADA
Sie sind flexibel, sie arbeiten frühmorgens und nachts, und sie wollen hoch hinaus. Putzfrauen sind die eigentlichen Gewinnerinnen des „Neuen Berlin“. Allein 7.225 Reinigungskräfte wurden im letzten Quartal 1999 angestellt, und zwar sozialversicherungspflichtig, wie es die neue Arbeitsmarktstatistik des Arbeitsamtes ausweist. Die, die noch flexibler sind, noch länger arbeiten, kommen in keiner Statistik vor. Sie arbeiten schwarz, manche sagen illegal. Und sie sind in der Mehrheit, wie sich das für eine Dienstleistungsmetropole gehört.
Der Zuwachs im Dienstleistungssektor ist deutlich gestiegen, sagt Klaus Pohl vom Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Unter den 1.124.150 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Berlins 1999 (Vorjahr: 1.132.570) arbeiten nicht nur 11,8 Prozent im Handel und 3,7 Prozent bei Kreditinstituten oder im Versicherungsgewerbe. Nein, das Gros der glücklich Beschäftigten, immerhin 458.753, arbeitet in der statistischen Rubrik „sonstige Dienstleistungen“. Sie bilden das Rückgrat der Dienstleistungsmetropole Berlin.
Sie? Klaus Pohl weiß, wer sich hinter den „sonstigen Dienstleistungen“ verbirgt. Es sind Beschäftigte aus den Bereichen Hotel/Gaststätten, Heime, Reinigung, Friseur, Schulen, Steuerberater, Presse, Medien, Verlage, Müllabfuhr, Bestattung, Leihhäuser, Verpackungsgewerbe, Lotterie, Spielbanken, Arbeitnehmerüberlassung, Schausteller, private Arbeitsvermittler, Abfall- und Verpackungsgewerbe. Die Liste ist so lang wie die Zuwächse. 20.000 neue Arbeitsplätze hat es im Bereich „sonstige Dienstleistungen“ gegeben.
Berlin kommt und muss sich, wie die Zahlen zeigen, nicht länger vor Frankfurt, Paris oder London verstecken. 40,1 Prozent plus 11,8 plus 3,7 macht nach Adam Riese 54,7 Prozent – also annähernd so viele wie in den Global Cities der Welt in den dortigen Finanzmärkten, den Rechtsanwaltsbüros oder den anderen „strategischen“ Dienstleistungsberufen arbeiten.
Wen kümmert es da, dass die Berliner Statistiker zum Dienstleistungssektor noch immer den öffentlichen Dienst, die Müllabfuhr oder die Rummelplatzbetreiber zählen. Hauptsache Quote, das ist, was zählt.
Ein Wermutstropfen allerdings bleibt. Nein, es sind nicht die 1,4 Millionen Quadratmeter Bürofläche, die leer stehen, sondern die Fassaden, die diesen Leerstand verhüllen. Es ist auch nicht die Arbeitslosenquote von fast 16 Prozent oder der Wegfall von fast 300.000 Arbeitsplätzen in der Industrie.
Hätten die Berliner Bausenatoren und Senatsbaudirektoren nicht so penibel darauf gedrungen, das „Neue Berlin“ im Look des alten, steinernen zu bauen, hätten nämlich ungleich mehr Putzfrauen großflächige Glasfassaden wienern dürfen. Aber vielleicht reicht es zum Trost, wenn der Wirtrschaftsökonom Stefan Krätke der Dienstleistungsmetropole auch so einen Superlativ verleiht. Berlin, so Krätke, ist die „Hauptstadt der Putzkolonnen“.
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