piwik no script img

Genuss kommt auf den Stundenplan

Vom September an gibt’s an zwölf italienischen Schulen Geschmacksunterricht

Lesen: gut, Mathematik: befriedigend, Geschmack: sehr gut. Was wäre, wenn die Schüler künftig auf der Penne nicht nur das Einmaleins und Rilkes Herbstgedichte lernten, sondern auch Küchendüfte interpretierten und Aromen schnüffelten? Wenn sie bei einer Klassenarbeit drei Kartoffelsorten aufzählen und die Rezeptur zweier traditioneller Gerichte ihrer Region aufschreiben oder mit verbundenen Augen vier von fünf Obstsorten erkennen sollten? In Italien gibt es ihn jetzt: den kultusministeriell abgesegneten Geschmacksunterricht an Schulen.

Die Regierung in Rom genehmigte den aufgeklärten Genießern von Slow Food als Pilotprojekt ein kulinarisches Erziehungsprogramm. In zwölf italienischen Städten in der Region Piemont wurden zunächst die Lehrer auf ihre neue Aufgabe vorbereitet. Sie sollen mit den Kindern künftig nicht nur über Bulimie und Essstörungen reden – dieses Thema gehörte bisher schon zum Unterrichtsprogramm –, sondern auch über Tischkultur, die Herstellung und Qualität von Nahrungsmitteln, über Genuss und Geschmack. Angesichts des Verfalls kulinarischer Sitten sahen sich die Slow-Food-Leute zu dieser Initiative gezwungen. Denn immer mehr Kinder glauben, dass Ananas mit Löchern in Weißblechdosen wachsen. Und bei grünem Apfelaroma denken sie sofort an Shampoo.

Inzwischen sind die Lehrer präpariert, und auch das Unterrichtsbuch liegt fertig gedruckt vor („Dire, fare, degustare“ – reden, handeln, schmecken). Mit Beginn des neuen Schuljahrs im September wird der Geschmacksunterricht tatsächlich beginnen, eine Benotung ist allerdings nicht vorgesehen. Regelmäßig sollen Produzenten von Wein, Obst und Gemüse in den Unterricht eingeladen werden.

In der Bundesrepublik hat Slow Food ähnliche Ambitionen. Gemeinsam mit der Fachhochschule in Fulda und der Ernährungsexpertin Angelika Meier-Ploeger wurde ein Sinnes- und Geschmacksparcours entwickelt: „Fühlen, wie es schmeckt“. Kinder hören Knäckebrot knacken, ertasten Äpfel und Birnen mit verbundenen Augen, probieren unterschiedliche Puddingsorten, riechen und essen. Der Parcours ist für Schulen und Kindergärten konzipiert, hat aber auch auf Großveranstaltungen öffentliche Auftritte wie jetzt beim bundesweiten Käsemarkt von Slow Food, der vom 1. bis 3. September in Nieheim bei Paderborn stattfindet.

Der Parcours werde zwar überall sehr gut aufgenommen und die Arbeit mit Kindern auch als notwendig angesehen. Aber, so Slow-Food-Geschäftsführer Andrea Arcais, „wir sind noch weit davon entfernt, dass dieses Thema bildungspolitisch wirklich ernst genommen wird“. man

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen