Berliner Blick

Der lange TV-Abend „blick.berlin.doc“ zeigt die Stadt als Dokumentarfilm (Sa, 20.15 Uhr, SFB)

Eine Stadt ist immer ein Mysterium – egal welche, gleich wo. Einfach, weil es sie gibt. Weil es Menschen gibt, die sich in diesen mäßig zivilisierten Ameisenhaufen einnisten, mit ihren Wünschen, Träumen und Erinnerungen, und diesen kollektiv halluzinierten Gemeinwesen ein Gesicht geben. Manchmal auch eine Geschichte.

Wer der Stadt nicht nur historisch, architektonisch, technisch oder soziologisch beikommen will, muss weit ausholen. Sehr weit. So weit, dass Naheliegendes aus dem Blick gerät und stattdessen Wesenhaftes sich mitteilt. Der lange Dokumentarfilm-Abend „blick.berlin.doc“ ist ein solcher Versuch: 102 Ausschnitte aus 59 Filmen von 44 FilmemacherInnen aus vier Jahrzehnten, gegliedert in zehn Themenblöcke zu jeweils 30 Minuten, an- und abmoderiert vom ausgewiesenen Doku-Freund Roger Willemsen. Wer also wissen will, wie Berlin und seine Bewohner (inklusive der Gespenster) ticken, sollte sich am Samstagabend die Zeit nehmen, anstatt etwa in der Kneipe selbst Feldstudien zu betreiben: Fünf Stunden dauert diese Tour de Force durch Geschichte und Geschichten der Hauptstadt. Das ehrgeizige Unterfangen ist eine Kooperation des SFB mit der federführenden Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm/ag.dok, deren Redakteure Gerlinde Böhm, Gerd Conradt und Ortrud Rubelt hier eine wahre Sisyphosarbeit geleistet haben.

So gliedern zwar Themenblöcke den Abend, lassen aber konzeptuell alles offen: „Milljöh“, Erinnern, Liebe, Frauen und Männer, Menschen und Steine, Protest und Utopie, Jugend und Nacht, Musik – im Vordergrund steht der Blick auf die Stadt, darüber legen sich als Folie die Visionen und Hoffnungen der Blickenden. 28 beteiligte Filmemacher erläutern ihre Dokumentationen und ihre jeweiligen Methoden.

Ob auf 8-, 16- oder 35-Millimeter-Film, per Video oder mit der DigiCam: technische Handschrift, subjektive Sichtweisen und politische Zielsetzungen der MacherInnen könnten unterschiedlicher kaum sein – und kommen gerade durch diese Vielfalt dem Ideal des filmischen Kaleidoskops verdächtig nahe.

Damit sich die ZuschauerInnen in diesem ambitionierten urbanen Bilderwirbel nicht allzu verlassen fühlen, haben sich die Verantwortlichen mit Roger Willemsen einen prominenten Präsentatoren angelacht, der auch intellektuellere Themen mit dem Charme eines Privatdozenten zu verkaufen versteht. Willemsen wird aus dem neuen Panoramazug der Berliner S-Bahn moderieren, die, schöne Idee, ab 20.15 Uhr in die Nacht fährt.

In diesen Bildern von Ost, West, Jugend, Alter, Fronten, Brücken, Straßenkampf, Hinterhöfen und Wohnzimmern, von Vergangenem und Gegenwärtigem, von Menschen und immer wieder Menschen wird die Geschichte der Stadt rekapituliert und sanft revidiert: So sieht er aus, der Moloch, gesehen durch die Brille subjektiver Wahrnehmungen.

Schade nur, dass dieser durchaus denkwürdige Fernsehabend all jenen Zuschauern vorenthalten bleibt, die den segensreichen SFB nicht empfangen können. Aber Berlin ist eine große Stadt – vielleicht gibt’s dort ja auch jemanden, der einen Videorecorder hat. FRA