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wahlkampf 2004Diepgen bleibt, wenn Gysi rennt

Die Rolle wäre Gregor Gysi auf den Leib geschneidert: Im Wahlkampf um das Amt des Regierenden Bürgermeisters könnte der PDS-Popstar alle Register ziehen: als brillanter Redner, der Politik aus Leidenschaft betreibt. Die Berliner WählerInnen würden 2004 geboten bekommen, was sie schon lange missen mussten: einen Wahlkampf, der nicht müde Pflicht, sondern inspirierte Kür ist.

Die CDU greift das Gedankenspiel bereits begierig auf. Denn der Koalitionspartner SPD dürfte Mühe haben, einen Kandidaten aufzustellen, der neben Gysi bestehen kann. In der CDU hingegen ließen sich die Verhältnisse ganz im Sinne Diepgens zementieren: Ganz selbstverständlich redet CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky von einem Duell Diepgen–Gysi. Als hätte es in der CDU niemals Überlegungen geben, 2004 den Generationswechsel zu wagen und mit einem deutlich jüngeren Kandidaten in den Wahlkampf zu ziehen. Gegen Gysi, da müsste Diepgen noch mal ran, denn ein Kronprinz mit dem nötigen Format ist nicht in Sicht.

Kommentar vonDOROTHEE WINDEN

Schon stilisiert Landowsky den Wahlkampf zur „Richtungsentscheidung“ zwischen dem „bürgerlich-liberalen Weg“ und dem „sozialistischen Weg mit kommunistischem Flair“. Mit einer solchen Polarisierung hofft die CDU offenbar, noch einmal ihr Westberliner Wählerpotenzial voll auszuschöpfen. Und weil ein rot-rot-grünes Bündnis verhindert werden muss, unterstellt Landowsky den Berliner Grünen das Scheitern an der Fünfprozenthürde. Diese Prognose ist zwar unrealistisch, doch nur so ließe sich eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün verhindern.

An der mangelnden Akzeptanz der Bevölkerung würde es jedenfalls nicht mehr scheitern: Selbst 63 Prozent der CDU-Anhänger befürworten eine Kooperation anderer Parteien mit der PDS. Bei der SPD sind es sogar 83 Prozent. Nun bedeutet eine Kooperation noch keine Koalition. Doch bis zur Wahl in vier Jahren könnte auch dieser Vorbehalt fallen.

Für Gysi hätte eine Berliner Kandidatur nur einen Haken: Falls die PDS in der Opposition bliebe, müsste er seinen Sitz im Bundestag gegen die harte Bank in einem Provinzparlament tauschen – wahrlich keine reizvolle Perspektive. Mit der Aussicht auf eine Senatsbeteiligung böte sich hingegen eine historische Chance: Gysi könnte der erste Vizebürgermeister der PDS in der vereinigten Stadt werden. Für ihn wäre es auf absehbare Zeit die wohl einzige Gelegenheit, als Senator eine Regierungsaufgabe zu übernehmen.

Gysi sieht sein politisches Ziel darin, an einer Normalität zwischen Ost und West in Deutschland mitzuwirken. Dazu böte der Wahlkampf 2004 reichlich Gelegenheit: Er wäre das entscheidende Duell zwischen der CDU als Repräsentantin des alten Westberlin und den progressiven Kräften des neuen Berlin der Einheit.

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