: Lost Elterngeneration
■ Die Melodicore-Veteranen Bad Religion simulieren im Stadtpark kalifornische Verhältnisse ■ Von Alexander Diehl
Eigentlich haben sie alles wichtige gleich zu Beginn gesagt: 1980 brachten die Südkalifornier Bad Religion ihre Debüt-EP heraus, zwei Jahre darauf ein Album mit dem schönen Titel How Could Hell Be Any Worse (im dazugehörigen Quasi-Titelstück noch um „Fuck Armageddon ... This Is Hell“ ergänzt). Musikalisch unterschied sich das kaum von den genölten Rotzigkeiten von Dutzenden Garagenbands zwischen Orange County und Hermosa Beach, und wie die black holes des Sunshine State noch alle hießen. Mehr scheppernder als fräsender Punkrock, der seine Rock'n'Roll- und Surf-Vegangenheit nicht verleugnen und die Hardcore-Werdung kaum erwarten konnte.
Der Herkunft vieler Akteure (und der wenigen Akteurinnen) gemäß beklagte man sich über die Ödnis der in Kalifornien „Vorstadt“ genannten Flächenzersiedelung, die Ausgrenzung Jugendlicher aus allem Spaßbringenden, und worüber materiell abgesicherte Generationskonflikte noch so entflammen mochten. (Nur selten ging es um mehr, wenn sich mal nicht bloß weißer männlicher Mittelstands-offspring in Bands zusammenrottete).
Bad Religion erkannten in ihrer Heimatstadt LA die Hölle, in der Administration die „Voice Of God“ und „Oligarchy“, sich selbst schließlich als „White Trash 2nd Generation“. In allem jugendlichen Eifer zeugten diese Tiraden von einer gewissen Reflektiertheit – und das meistgecoverte Bad Religion-Stück, „We're Only Gonna Die“, (im Text heißt es weiter „...from our own arrogance“) konnte eben auch als vergeichsweise einsichtiger Kommentar zu Szenenbildung und Klüngel im eigenen Umfeld verstanden werden.
Nachdem 1983 das musikalisch überambitionierte Album Into The Unknown alle Gefolgschaft vergrault hatte, verschwand die Band ebenda: im Ungewissen. Die eine oder andere Entgiftung später besann man sich auf die eigenen Stärken, legte Lagerfeuergitarren und Synthies wieder beiseite, um 1988 schließlich die eigentliche Hochphase der Bandgeschichte zu launchen.
Suffer griff inhaltlich die pointiert-liberale Kritik an kalifornischen Verhältnissen wieder auf, zum Golfkrieg sollte dann sogar eine Kollaborations-7“ mit dem ideologiekritischen Linguisten Noam Chomsky erscheinen. Klanglich waren alle Elemente beisammen, mit denen die Band fürderhin in schöner Regelmäßigkeit nahezu jährlich ein Album füllte: solide und flott durchgeklopften Melodicore, glattproduzierte Föhngitarren und regelmäßg-berechenbare Gitarrensoli, die „oozin' ahs“ genannten Backround-Chöre (die Band konnte nun mal nicht aus ihrer kalifornischen Haut); die folgenden Jahre über konnte die Band mit z.T. direktvertriebenen ansehnlichen Absatzzahlen auch das gitarristeneigene Epitaph-Label ernähren, ehe selbiges Mitte der 90er-Jahre vom allgemeinen Alternative-Interesse großer Käuferschichten erfasst wurde und mit The Offspring gar in den Charts landete. Die Bad Religion–Mitglieder hatten sich indes von ihren diversen akademischen Karrieren verabschiedet und beschlossen, als Punkrocker alt zu werden, wobei gutdotierte Major-Verträge hilfreich schienen. Eine zaghafte Öffnung gegenüber Grunge (inklusive Gastauftritten von Pearl Jams Eddie Vedder) hatte bereits auf dem letzten Indie-Album angekündigt, wohin es gehen könnte: Wiederholt geäußerte Beatles–Vorlieben und eine als Bildungsattribut verstandene, indes nicht übertriebene stilistische Offenheit lösten enge Punkdefinitionen ab, parallel dazu vergrößerten sich die Auditorien bei Stadionkonzerten und Festivaltourneen.
Die End-90er-Version von hat mit dem singenden Evolutionsbiologen Greg Graffin nur noch ein Gründungsmitglied dabei, Gitarrist Greg Hetson war seinerzeit von den benachbarten Circle Jerks gewissermaßen ausgeliehen. Dafür darf der zweite Gitarrist Brian Baker als zeitwiliges Mitglied von u.a. Minor Threat und Dag Nasty zu den Leistungsträgern des US-Hardcore gezählt werden. Die Band hat sich in einem semi-Headliner-Status halbwegs gemütlich eingerichtet, alle musikalischen Variationsanwandlungen können das eingespielte und weiterhin leidlich erfolgreiche Gefräse kaum anfechten. Nachzuhören ist das auf dem jüngsten, immerhin von Todd Rundgren produzierten Album The New America. Die Protagonisten gehören nach 16 Jahren längst zur Eltern- und Lehrergeneration, vor deren Vorgärten und Autowäschen sie früher auszuspucken pflegten, aber damit stehen sie ja weißgott nicht allein.
heute, 19 Uhr, Stadtpark
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