: Anarchie am Bau
■ Cinopolis: Die Filme des Künstlers Gordon Matta-Clark im Lichtmesz
Gordon Matta-Clark (1943- 1978) ist einer der radikalsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Zwar hat er keine Augen durchgeschnitten, wie Luis Bunuel in Ein andalusischer Hund (1928) oder Menschen gleich ganz zerlegen lassen wie Tobe Hooper in The Texas Chainsaw-Massacre (1975). Er hat Häuser zersägt und durchbohrt, sogenannte Cuttings vorgenommen, und das auf Film festgehalten. Ziel dieser Arbeiten, mit denen er in den frühen Siebzigern bekannt wurde, war, die von Architekten vorgegebene Trennung von innen und außen aufzuheben, aufzuzeigen, wie abgetrennt von ihrer Umwelt die Menschen in ihren Häusern lebten und arbeiteten.
Als ausgebildeter Architekt hat Matta-Clark – er war der Sohn des spätsurrealistischen Malers Roberto Matta – nie in seinem Beruf gearbeitet. Vielmehr fühlte er sich um 1970 von Kunstströmungen wie der Land-Art angezogen, von dem Versuch, an konkreten Orten Vorgegebenes durch eigene Eingriffe zu verändern. Statt also nach dem Funktionalitätsprinzip Häuser zu bauen, verwendete er diese - wie ein Bildhauer seinen Steinblock - lieber als Ausgangsmaterial für seine Kunst.
Dass er sich mit seiner anarchitecture bei der Architektenzunft nicht gerade beliebt machte, versteht sich, zumal er 1976 bei einer Tagung des Institute for Architecture & Urban Studies, seinen Protest gegen geschlossene Raumcontainer dadurch ausdrückte, dass er erstmal mit einem Luftgewehr alle Fensterscheiben des Konferrenzraums durchschoss. Matta-Clarks Filme, von denen heute in der Reihe Cinopolis eine Auswahl im Lichtmesz läuft, sind meistens die einzigen Zeugnisse seiner Arbeit. Denn zu seinem Leidwesen durfte er nur verlassenen Gebäuden mit seiner Motorsäge zu Leibe rücken, die meist kurz darauf abgerissen wurden.
Einer angewandten Dekonstruktion schaut man in diesen zum Teil stumm auf Super 8 oder 16mm gedrehten Filmen zu. So zeigt Bingo/Ninth wie Matta-Clark die Fassade eines typischen Vorstadthauses zunächst in neun Quadrate unterteilt und dann nach und nach acht davon entfernt um nur das neunte als Erinnerung an den ursprünglichen Zustand stehen zu lassen. (Die drei noch erhaltenen Mauerstücke sind, zusammen mit drei kurzen Videos, in der Ausstellung HausSchau in den Deichtorhallen zu sehen).
In Splitting interpretiert Matta-Clark das Vorstadtidyll völlig neu, indem er ein Haus einfach in der Mitte durchschneidet. In Freshkill ist es sein eigenes Auto, das er von einem Gebrauchsgegenstand in ein Kunstobjekt transformiert. Eine von Matta-Clarks komplexesten Arbeiten wird von den belgischen Filmemachern Eric Convents und Roger Steylaerts in Office Baroqe dokumentiert: Durch gezielte Schnitte ergeben sich da in einem verlassenen Bürogebäude in Antwerpen völlig neue Perspektiven.
Eckhard Haschen
heute, 21,15 Uhr, Lichtmesz, Einführung: Lasse Ole Hempel
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