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„Ich brauche keine Maske“

„Vieles von dem, was ich mir als kleiner Junge erträumt habe, ist Wirklichkeit geworden“: Reinhard Mey über Lüge und Authentizität, den deutschen HipHop und das Arschloch, das er auch sein könnteInterview THOMAS WINKLER

Sie haben einmal Ihre Lebensphilosophie mit „Immer weiter“ angegeben. Immer weiter womit?

Immer weiter wachsam sein, die Augen offen halten, neue Dinge erleben, den Horizont erweitern, immer weiter lernen und nie mehr zurück.

Ist Ihnen das denn gelungen?

Ja. Vieles von dem, was ich mir als kleiner Junge gewünscht, ersehnt und erträumt habe, ist Wirklichkeit geworden: Ich verbringe mein Leben damit, dass ich singe. Wenn es Rückschläge gab, habe ich versucht, die nicht zweimal zu erleben, denselben Fehler nicht zweimal zu machen.

Was haben Sie falsch gemacht?

Fehler, die wir alle mal im Laufe unseres Lebens machen. Dass man Dinge falsch bewertet, was weiß ich. Dass ich z. B. in meiner ersten Ehe mehr auf die Signale hätte hören sollen . . . Ich habe mich mal in Leuten geirrt, weil ich gutgläubig bin. Ich gebe jedem einmal die Chance, mich zu hintergehen. Ich gebe mich her, öffne mich, und wer das missbraucht, kann das tun, aber er tut es nur einmal. Ich möchte mich nicht verschließen aus Angst oder Skepsis. Ich will mich selbst dazu erziehen, nichts zu verbergen zu haben.

Braucht aber nicht jeder Prominente im Umgang mit den Medien eine Maske?

Ich brauche keine Maske, weil ich keine Leiche im Keller habe. Es ist mir viel zu anstrengend, eine Leiche im Keller zu verbergen. Es ist einfach so. Es gibt ein paar Medien, mit denen ich keinen Kontakt möchte, weil es rausgeschmissene Zeit ist.

Ist das nicht anstrengend?

Klar, aber die Sachen, die ich geheim oder intim haben will, die sind ja in mir drin oder in der Beziehung zwischen mir und den Menschen, die ich liebe. Aber auch das ist nicht spektakulär. Ich wüsste wirklich nicht, welches Geheimnis ich habe, das mir unangenehm wäre, wenn es rauskäme.

Aber ist der Anspruch, immer perfekt sein zu wollen, nicht zu allzu hoch?

Im Gegenteil: Bescheißen ist anstrengend. Aufpassen, dass man sich nicht verplappert. Um gut zu schummeln, muss man so viel Energie aufwenden, dass man ohne Schummeln viel früher ans Ziel kommt. Wenn ich etwas falsch gemacht habe, braucht man mir keinen Lügendetektor anzulegen, ich werde von allein gelb im Gesicht.

Schlagen Sie denn mal über die Stränge?

Wenn mir danach ist, mich zu betrinken, dann betrinke ich mich. Aber ich sehe zu, dass das nicht geschieht, bevor ich mich ans Steuer eines Kraftfahrzeuges setze. Da bin ich wirklich ganz eisern. Es macht mir Spaß, genau 80 Stundenkilometer zu fahren, wenn 80 Stundenkilometer vorgeschrieben sind. Da hat mich schon die Zeit für gescholten, die haben geschrieben: Der ist so gerade, dass er sich sogar noch an die Geschwindigkeitsbegrenzung hält. Ich fand das bezeichnend für einen Geist, der Kreativität nur da vermutet, wo man sich über die Spielregeln hinwegsetzt.

Das Kommerzfernsehen regt Sie so sehr auf, dass Sie sogar eine Kolumne für die Bild geschrieben haben. Warum?

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Gewaltdarstellung in den Medien zur Gewaltnachahmung führt. Wenn diese filmischen Darstellungen nicht zur Nachahmung führen würden, dann würden alle filmischen Darstellungen nicht zur Nachahmung führen und dann würde es auch keine Werbung mehr geben. Es ist gar keine Frage, dass Kinder, die damit aufwachsen, dass Menschenabschlachten selbstverständlich wird, Realität und Fiktion nicht mehr auseinander halten können. Ich empfinde manche Gewaltdarstellungen als Aufruf zur Gewalt.

Da sind Sie sich mit CSU-Hardlinern einig . . .

Die Grenzen verschwimmen.

Sind Sie für Zensur?

Man muss das Fernsehen kontrollieren, sonst zeigen Pro 7 und RTL 2 übermorgen Exekutionen. Was ist noch erlaubt, und wer soll das festlegen? Das ist ein Problem. Aber man kann doch nicht davor kapitulieren, dass das Niveau immer weiter absinkt, die Gewaltdarstellungen immer brutaler werden, das kann man nicht hinnehmen.

In Ihrem Lied „Heimatlos“ heißt es: „Man merkt erst beim Verkehrslagebericht, das ist das Land, in dem man angeblich deine Sprache spricht.“ Wollen Sie eine Quote für deutsche Musik im Radio?

Ich habe damals, als die Diskussion aufkam, gesagt, Reglementierungen sind der falsche Weg. Aber ich finde es schon bedenklich, dass so viel Schrott gespielt wird. Ich höre das Radio, das meine Kinder hören, und das ist zu mindestens 90 Prozent amerikanischer Schrott und nur zu 5 Prozent deutscher Schrott. Die Medien bringen, was die Leute sehen und hören wollen.

Glauben Sie wirklich an eine große Verschwörung gegen das deutsche Liedermachertum?

Ich sage nicht, es gibt eine Verschwörung gegen das Liedermachertum, aber gegen die deutsche Sprache. Wir müssten uns wohl mal die Playlist eines Radiosenders ansehen. Dass deutscher HipHop so erfolgreich ist, das lässt einen optimistisch in die Zukunft blicken.

Haben Sie nicht manchmal Lust, Erwartungen zu enttäuschen?

Natürlich kann man das, aber dann verliert man doch nicht seine Authentizität. Wenn ich morgen Lust habe, das authentische Arschloch raushängen zu lassen, dann mache ich das, aber es ist authentisch.

Aber Sie haben genau das nie getan.

Ich bin im Gleichgewicht, im Einklang mit mir. Das war ich schon immer, und wenn ich es nicht war, dann habe ich offensichtlich daran gearbeitet, dieses Gleichgewicht herzustellen.

Das einzige Mal, dass Sie so etwas wie einen Skandal ausgelöst haben, war der Anti-Wehrpflicht-Song „Nein, meine Söhne geb ich nicht“. Jetzt wird tatsächlich über die Abschaffung der Wehrpflicht diskutiert.

Ich bin froh darüber, dass ich bei einer gewissen Zahl von jungen Männern den Entschluss gestärkt habe, den Kriegsdienst zu verweigern. Ich war immer der Meinung, dass es keine großen Veränderungen von heute auf morgen gibt, aber natürlich verändern Gedanken die Welt.

Zitat:

ÜBER PROMINENZ„Ich gebe mich her, öffne mich, und wer das missbraucht,kann das tun“

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