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Das vorletzte Aufgebot

Auf Kanzlers Reise durch den Osten trifft Gerhard Schröder eingeborene Sportler. Smalltalkend isst man sich durch drei Gänge und stellt gesättigt fest: Man hätte auch aufeinander verzichten können

aus Rheinsberg MARKUS VÖLKER

Dieses Fax traf nicht in der Redaktion ein: Gerhard Schröder trifft ausgewählte Sportler aus den alten Bundesländern auf Gut Kaden, um die Besonderheiten des Sports in Westdeutschland kennen zu lernen. Es hieß auch nicht: Sport hat in Westdeutschland aus seiner Vergangenheit heraus einen anderen Stellenwert, wird anders wahrgenommen. Im Gegenteil.

Gerhard Schröder ist auf Ostreise, und seine gewieften Location-Scouts hatten nach Kleinzerlang bei Rheinsberg in der mecklenburgischen Seenplatte geladen. Zum Treff mit „24 ausgewählten Sportlern aus den neuen Ländern.“ Gedanken sollten ausgetauscht werden. Nettigkeiten. Unverfängliches. Ein kleiner Hafen nach norwegischem Vorbild wurde in den vergangenen Jahren in Kleinzerlang in den Schlick gebaggert. Drumherum gruppieren sich ein Hotel und kleine Häuschen. Ein künstliches Arkadien. Ein Idyll für betuchtere Wassersportfreunde.

Joachim Streich bereitete sich besonders auf den Kanzler vor. Der frühere Fußball-Nationalspieler hatte ein paar Gläser über den Durst getrunken und resümierte in der Hotellobby, bevor er sich in illustrer Runde Zanderterrine mit Rauchaal, Forellenschleifen in Krebs-Dillsauce und Grießflammeri mit Erdbeeren einverleibte: „Naja, hier wird nicht viel bei rumkommen.“ Und merkte zungenschwer an: „Damals war auch nicht alles schlecht.“ Gewiss. Ging und setzte sich zu vertrauten Gesichtern. Zu Dagmar Hase, Astrid Kumbernuss und Hans-Georg Moldenhauer, dem Ostfußballchef, mit dem er am Abend zuvor den Pokalsieg der Magedeburger gegen Köln durchgespült hatte. Da saß das kleine Häuflein Ostsportprominenz, dass sich zusammenkratzen ließ. Nur sechs Olympiateilnehmer kamen überhaupt. Viele sagte ab, darunter die Leichtathletin Grit Breuer.

Es wurde schließlich das letzte Aufgebot bestellt. Die Landessportbünde von Thüringen bis Berlin, heißt es, mussten einige Überzeugungsarbeit leisten, um Wintersportler wie den deutschen Juniorenmeister im Short Track, André Hartwig, zur Fahrt in die Endmoränenlandschaft zu mobilisieren. Oder Tatjana Hüfner, Juniorenweltmeisterin im Rodeln. In kurvenreicher Kinderschrift schrieb sie dann aber brav ins Gästebuch: „Recht herzlichen Dank für die nette Einladung. Ich freue mich.“ Der Bogenschützin Wiebke Nulle riet man auf die Schnelle, bitte keine löchrige Jeans anzuziehen. Weitere Bedingungen: keine.

„Ich hab mich hier nicht aufgedrängt“, sagte Kumbernuss. Sie sei ihrem Trainer Dieter Kollark sogar ein bisschen böse, dass er mitten in der so wichtigen Vorbereitungsphase auf Olympia einfach zugesagt habe und sie deswegen ihren Trainingsplan umstellen musste. Und Schröder? „Ist nicht so, dass ich in Ohnmacht falle. Er hat was geschafft, ich hab was geschafft.“ Er hat die Bundestagswahlen gewonnen, sie viele Medaillen im Kugelstoßen. „Eigentlich wollte ich nur gut essen.“

Sie tafelte neben Schröder. Dagmar Hase ein wenig weiter entfernt. Schröder konnte das Namensschild nicht lesen. Die Frage: Wer sind Sie? Hase: Schwimmerin, ehemalige. Er: Eine erfolgreiche. Die Olympiasiegerin: Na ja. Nachher sagte Hase: „Wir mussten ihm einiges erklären, er kennt sich nur im Fußball aus. Das ist ein bisschen schade.“ Das Meeting sei letztlich nur eine PR-Aktion für den Kanzler gewesen. „Das hat ihm mehr Prestige gebracht als uns.“ Kumbernuss ärgerte sich gedämpft über des Kanzlers Fauxpas. Wenn Schröder schon zum Dinner lade, dann müsse er doch wissen, mit wem er am Tisch sitze. Oder wenigstens die Einflüsterer.

Gern wären sie ihre Probleme losgeworden: Nicht nur der Spitzensport solle gefördert werden; anstelle maroder Sportstätten müssten moderne stehen; die Finanzierung der Trainer sei so nicht mehr tragbar. Aber geplaudert wurde zumeist unter den Sportlern. Die Hockey-Spielerin Natascha Keller aus Berlin meinte gar: „Ob der da war oder nicht, war fast egal.“ Zu anonym, zu oberflächlich sei das alles abgelaufen.

Wenigstens Wiebke Nulle war’s zufrieden. Sie darf nicht nach Sydney, obwohl sie in der Weltrangliste der Bogenschützinnen vorn liegt. In der Qualifikation scheiterte die 19-Jährige mit einem einzigen Ring. Sie trug Schröder („Er war etwas schockiert.“) den Fall vor. Der versprach, ein Zuschauerticket zu besorgen. Also doch was. Nulle: „Die eine Staatsinnen ..., äh, wie heißt das gleich, na ja, so eine halt hat sich meine Nummer aufgeschrieben.“ Jetzt will sie den Urlaub in Irland stornieren.

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